Aus der Chinabar an der Wien wurde Red Bowl – äußerlich unverändert, aber mit neuem Küchenkonzept.
Aus der Chinabar an der Wien wurde Red Bowl – äußerlich unverändert, aber mit neuem Küchenkonzept.
Gerhard Wasserbauer

Qualität findet zueinander. Okay, in der Politik eher nicht, aber unter Wirten funktioniert’s noch. So wie vor ein paar Monaten, als Simon Hong Xie, der grandiose Koch, Restaurateur (On, Chinabar …) und Gastgeber, seine Chinabar an der Wien weitergeben wollte. Die tolle Lage direkt an U-Bahn und Wienzeile, der massive autofreie Schanigarten unter Bäumen, die schönen alten Fenster, durch die am frühen Abend die Sonne scheint, die weltläufigen Gäste – all das sollte in gute Hände kommen. Es traf sich gut, dass Meisterkoch Zhang Fa Jun und seine Frau Yin Min, die mit der China Kitchen (gleich beim Café Drechsler) ein bei chinesischen wie wienerischen Auskennern gleichermaßen verehrtes Restaurant betreiben, einen zweiten Standort suchten.

Das Lokal wirkt außen unverändert, die Küche haben Zhang und Yin für ihre Anforderungen adaptiert: Wer durch die schmale Durchreiche in die Red-Bowl-Küche blickt, wird im Gewusel der Köche stets eine Batterie von Enten zum Trocknen aufgehängt sehen, wie das für echte, glasierte (und nicht etwa, wie anderswo, schnell, schnell frittierte) Pekingenten unerlässlich ist. Und er wird die dampfenden Nudelstationen erkennen, in denen Jiaozi, handgezogene Biangbiang- und La-Mien-Nudeln gedämpft und gekocht werden. Pekingente wird, "weil wir ein einfaches Marktrestaurant sind", so Yin Min, nicht erst bei Tisch, sondern in der Küche in hauchfeine Lamellen tranchiert. Die Präsentation auf einem mächtigen Tableau samt akkurat in Julienne geschnittener Gurke, Mango und Lauchzwiebel, samt Pflaumensauce und dampfend zarter Palatschinke macht aber auch so viel her. Der Preis ebenso: Eine ganze, saftige, knusprige Ente (reicht locker für zwei bis drei Esser) um 45 Euro, das mutet bei der Inflation an wie Realitätsverweigerung zugunsten der Gäste.

Die Pekingente für 2 Personen reicht locker für zwei bis drei Esser.
Die Pekingente für 2 Personen reicht locker für zwei bis drei Esser.
Gerhard Wasserbauer

Aber es gibt noch ganz andere Verlockungen. Unheimlich würzige, scharfe, dicke Scheiben einer ganz augenscheinlich hausgemachten und -gereiften Wurst nach sichuanesischer Tradition, von der schon ein oder zwei Stück genügen, um den Geist zu wecken und die Säfte ins Fließen zu bringen. Sie steht nicht auf der Karte, ist aber auf Nachfrage meist vorrätig. Oder große, herrlich süße Jakobs­muscheln auf der Schale, ganz kurz ge­braten und auf karamellisiert knofelige Glasnudeln gebettet, ebenso geradlinig wie bestechend. Oder Pak Choi aus dem Wok, so lebendig vom Atem des Feuers, dass er kaum weiterer Würze bedarf. Oder, auf der anderen Seite des Spektrums, Mapo-Tofu, köstlich dicke Würfel vom cremigen Tofu, die mit fermentierter Bohnenpaste, Chili, Sichuanpfeffer und ein bisserl Fleisch in rotem Wahnsinn baden – bitte noch eine Schüssel Reis!

Würzige, scharfe, dicke Scheiben einer hausgemachten Wurst nach sichuanesischer Tradition.
Würzige, scharfe, dicke Scheiben einer hausgemachten Wurst nach sichuanesischer Tradition.
Gerhard Wasserbauer
Mapo-Tofu - dicke Würfel vom cremigen Tofu, mit fermentierter Bohnenpaste, Chili, Sichuanpfeffer und ein bisserl Fleisch.
Mapo-Tofu - dicke Würfel vom cremigen Tofu, mit fermentierter Bohnenpaste, Chili, Sichuanpfeffer und ein bisserl Fleisch.
Gerhard Wasserbauer

So geht es dahin, die hausgemachten Zhong-Jiaozi in schillernd würzigem Öl sind pure Wonneproppen, mit Rind in der Fülle (gibt es auch mit Pilzen, mit Meeresfrüchten, mit Huhn …) ganz besonders. Salat aus knackigen, gequetschten Gurken mit schwarzem Essig, Sesam und vergleichsweise wenig Knoblauch ist dazu eine willkommene Erfrischung.

Und dann die Nudeln

Biangbiang - Nudeln allererster Ordnung, gemeinsam mit scharfer Sauce, knackigem Gemüse, fettem Fleisch und knusprigem Tofu.
Biangbiang - Nudeln allererster Ordnung, gemeinsam mit scharfer Sauce, knackigem Gemüse, fettem Fleisch und knusprigem Tofu.
Gerhard Wasserbauer

Als italienisch geprägter Esser, wie unsereins Wiener sich gerne versteht, lässt sich landläufige Gewissheit hier ganz köstlich zertrümmern: So prachtvoll elastische, bissfeste, nach breiter Pappardelle-Manier ausgewalzte Nudeln wie diese Biangbiang wird man auch südlich der Alpen nur an ganz ausgesuchten Adressen finden. Das sind Nudeln allererster Ordnung, die sich gierig an scharfe Sauce und knackiges Gemüse, an fettes Fleisch und knusprigen Tofu schmiegen. Für solche Nudeln allein hat 2024 sich schon gelohnt. (RONDO, Severin Corti, 12.1.2024)