Hammerhai
Immer weniger Haie durchstreifen die Ozeane – trotz internationaler und nationaler Schutzbemühungen.
Foto: REUTERS//Jorge Silva

Greift der Mensch auf zerstörerische Weise in ein Ökosystem ein, sind die Räuber an der Spitze der Nahrungspyramide häufig am stärksten bedroht. Besonders gut lässt sich das am Zustand der weltweiten Haipopulationen beobachten: Laut einer Bestandsaufnahme aus dem Jahr 2021 sind mehr als drei Viertel aller im Meer lebenden Arten von Haien und Rochen in ihrem Bestand gefährdet. Der bisherige Verlust ist enorm: In den vergangenen 50 Jahren sind die Bestände über 70 Prozent geschrumpft.

Immer mehr tote Haie

Man sollte annehmen, dass die in den vergangenen Jahren ergriffenen Schutzmaßahmen zumindest eine Stagnation dieser Entwicklung bewirken würden – doch weit gefehlt: Trotz einer ganzen Reihe von Gesetzen und der Einrichtung von Naturschutzgebieten sterben, im Gegenteil, immer mehr Haie durch Fischerei. So geht eine aktuelle Schätzung davon aus, dass die jährliche Zahl der durch gezielte Jagd oder als Beifang ums Leben gekommenen Haie zwischen 2012 und 2019 von 76 Millionen auf 80 Millionen Tiere gestiegen ist. Mehr als 30 Prozent zählten demnach zu gefährdeten Arten.

Zwar haben viele Länder das sogenannte Shark-Finning, das Abtrennen der Haiflossen, verboten. Doch das hat der im Fachjournal "Science" veröffentlichten Studie zufolge dazu geführt, dass vermehrt auch der restliche Haikörper verwertet wird.

Zahnlose Gesetze?

"In den letzten zwei Jahrzehnten wurden Haie zunehmend als die am stärksten bedrohten Wildtiere der Welt anerkannt und daher einer strengeren wissenschaftlichen und behördlichen Prüfung unterzogen", schreibt die Forschungsgruppe um Boris Worm von der kanadischen Dalhousie University. Zahlreiche Länder haben Gesetze zum Schutz von Haien erlassen, doch bisher ist nicht überprüft worden, ob sie auch wirksam sind.

Das Team analysierte verfügbare Daten zu Haifängen und deren Regulierung, die von einzelnen Fischereien, Ländern und regionalen Fischereimanagement-Organisationen gemeldet werden. Diese Daten ergänzten sie um Interviews mit Haifang-Experten, um schließlich Weltkarten zur Bedrohung von Haien zu erstellen.

Bis auf einige wenige Stellen sind Haie und Rochen weltweit praktisch überall in Gefahr. Die Küstengewässer einiger Regionen sollten die Raubfische aber ganz besonders meiden.
Grafik: Laurenne Schiller

Die Zahl der getöteten Haie stieg demnach von 2012 bis 2019 weltweit um etwa fünf Prozent, obwohl in diesem Zeitraum zahlreiche neue Schutzvorschriften in Kraft getreten seien. Als Hauptursache für den Anstieg der Anzahl getöteter Haie haben die Wissenschafterinnen und Wissenschafter den insgesamt gestiegenen Umfang des Fischfangs ausgemacht. Sie haben auch herausgefunden, welche Regeln tatsächlich helfen, wie Seniorautorin Darcy Bradley von der University of California erklärt: "Vollständige Verbote des Haifangs durch Schutzmaßnahmen wie Haischutzgebiete können erfolgreich sein und verdeutlichen die Möglichkeit, diesen und anderen gebietsbezogenen Schutzmaßnahmen Vorrang einzuräumen."

Sechs Staaten an der Spitze

Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter verzeichneten auch gegenläufige Trends: Bei der Hochseefischerei nahm die Menge der getöteten Haie um sieben Prozent ab – vermutlich deshalb, weil Fischereikonzerne sich um Öko-Label bemühen. Dagegen stieg die Zahl in der küstennahen Fischerei – den 200-Meilen-Zonen der einzelnen Länder – um vier Prozent. Allein um Indonesien herum sind im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2019 jedes Jahr mehr als 15 Millionen Haie getötet worden. Nimmt man die toten Haie in den 200-Meilen-Zonen der Länder Malaysia, Brasilien, Mexiko, Mauretanien und Somalia hinzu, dann sorgt die Fischerei dieser sechs Staaten für 50 Prozent aller weltweit getöteten Haie.

Besonders in Asien gelten Haiflossen als Delikatessen, weshalb den gefangenen Tieren oft nur die Flossen abgeschnitten werden und der Rest des Körpers über Bord geworfen wird. "Wir zeigen, dass eine weitverbreitete Gesetzgebung zur Verhinderung des Finnings von Haien zwar erfolgreich gegen diese verschwenderische Praxis vorgegangen ist, aber die Sterblichkeit insgesamt nicht gesenkt hat", wird Worm in einer Mitteilung der US-amerikanischen University of California zitiert. Stattdessen gelange immer häufiger Haifleisch auf den Markt – oftmals falsch etikettiert, sodass die Konsumenten nicht einmal wüssten, dass sie Hai essen, betont die Forschungsgruppe.

Haifleisch als "Schillerlocke" erhältlich

"Haie gehören zu den weltweit am meisten bedrohten Tierarten. Trotzdem stieg die Zahl der getöteten Tiere aufgrund der intensiven Fischerei dramatisch an", kritisierte auch die Umweltschutzorganisation WWF (World Wide Fund for Nature). "Wir brauchen dringend bessere Kontrollen und müssen besonders Gebiete schützen, die für Haie als Kinderstuben oder zur Fortpflanzung wichtig sind", forderte Simone Niedermüller, Meeresexpertin vom WWF Österreich. Nicht nur in asiatischen Ländern, in denen Haifischflossensuppe als Delikatesse gilt, ist der Handel mit Haifleisch ein Problem. "Auch in Europa wird Haifleisch konsumiert – in Österreich beispielsweise als 'Schillerlocken'. Oft landet es aber auch unter falschem Namen versteckt auf den Tellern", warnte Niedermüller. (red, APA, 12.1.2024)