Die Identitären rund um Martin Sellner sind in Österreich seit Jahren ein Problem. Dessen Verbindungen reichen bis nach Deutschland.
APA/ Erwin Scheriau

Der rechtsextreme Aktivist Martin Sellner dürfte nicht der einzige Österreicher gewesen sein, der vergangenen November an einem rechten Geheimtreffen mit AfD-Politikern in Potsdam teilgenommen hat.

Dem STANDARD liegen Unterlagen, die von "Correctiv" bereitgestellt wurden, vor, denen zufolge Einladungen auch nach Kärnten verschickt wurden: an einen Chirurgen und dessen Ehefrau. Zumindest der Mann hat vermutlich auch bei dem Treffen, bei dem über verfassungswidrige Deportationspläne fantasiert wurde, teilgenommen. Er reagierte auf mehrfache telefonische Anfragen nicht. Seine Frau ist politisch auf Gemeindeebene bei der Kärntner ÖVP engagiert.

Familiäre Beziehungen

Die Landespartei distanzierte sich von "Kundgebungen" dieser Art, wollte auf Anfrage aber nicht kommentieren, ob sie das Gespräch mit ihrer Unterstützerin gesucht hat, betonte für sich aber: "Der Partner einer Ersatzgemeinderätin steht in keinem Zusammenhang mit der ÖVP Kärnten." Der Arzt dürfte familiäre Beziehungen zu Deutschen haben, die sich in rechten Kreisen engagieren. Beobachtern der Szene in Österreich ist er bislang noch nicht aufgefallen.

Der prominenteste Österreicher beim Geheimtreffen bleibt – zumindest vorläufigen Recherchen zufolge – also Martin Sellner. Der langjährige frühere Chef der "Identitären Bewegung" (IB) soll dort sein Konzept der sogenannten "Remigration" erläutert haben. Einem Bericht der Rechercheplattform Correctiv zufolge habe Sellner drei Zielgruppen für Massendeportationen ausgemacht: Asylwerber, Ausländer mit Bleiberecht und jene, die nicht "assimiliert" seien – also deutsche oder österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger.

Sellner sah seine Darstellung "verkürzt", es sei um keinen "geheimen Masterplan" gegangen.

Positiv über den historisch durch Rechtsextreme pervertierten Begriff der "Remigration" sprach am Mittwoch in der ORF-ZiB 2 auch FPÖ-Chef Herbert Kickl: Man könne Staatsbürgerschaften ja auch wieder entziehen, wenn Personen sich gesellschaftsfeindlich verhielten. Auch der blaue Generalsekretär Christian Hafenecker stößt sich an derlei Begriffen nicht: Die Aufregung über das Treffen rechter Politiker in Potsdam empfindet Hafenecker als "völlig unverständlich" und verteidigte es als "patriotisch".

"Frontalangriff"

Das löste in Österreich scharfe Kritik durch die anderen Parteien aus. Für SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder habe sich Kickl mit keiner Silbe "von diesen völkisch-nationalistischen" Umsturzplänen distanziert. Er trage den "rechtsextremen Frontalangriff auf Demokratie, Grund- und Freiheitsrechte" mit.

Bini Guttmann, Präsident der European Union of Jewish Students, wird auf X (vormals Twitter) deutlich: "'Remigration' ist übrigens ein rechter Kampfbegriff. Gemeint sind Deportationen." Die grüne Generalsekretärin Olga Voglauer sprach ebenso von "menschenverachtenden Deportationsfantasien" und der FPÖ als "verlängertem Arm der Identitären".

Dass sich Mitglieder der FPÖ für die Ideen der Identitären erwärmen, ist nicht neu. Auf höheren Funktionärsebenen ging man anfangs noch auf Distanz, während sich die Kreise der blauen Parteijugend und der IB ideologisch und teilweise auch personell überschnitten.

Ein Vorstandsbeschluss der Partei hielt sogar fest, dass FPÖ-Funktionäre keine Mitglieder bei den Identitären sein dürften. Doch obwohl die Symbole der Identitären mittlerweile verboten wurden und sie Verfassungsschützer beobachten, schlug Kickl spätestens 2021 sanfte Töne gegenüber der Splittergruppe an: In einem Interview mit Puls 24 -Infochefin Corinna Milborn nannte Kickl die IB ein "unterstützenswertes Projekt" und eine "NGO von rechts", was ihm sicherlich Applaus innerhalb der Parteijugend einbrachte.

Im Vorjahr verglich Kickl die Identitären im ORF-Sommergespräch gar mit der Umweltschutzorganisation Global 2000. Und im STANDARD sah Kickl seine FPÖ als geistigen Vorreiter: "Wenn Sie ein bisserl zurückdenken, haben wir unsere Politik mit dem Volksbegehren 'Österreich zuerst' schon unter Jörg Haider gemacht. Da hat es noch gar keine Identitären gegeben." (Fabian Schmid, Jan Michael Marchart, Colette Schmidt, 11.1.2024)