Goldmünze
Das Ausmaß von Vermögen wird wie ein Geheimnis gehandhabt: Valide Daten sind rar.
imago stock&people

Der Auftritt sorgte für Aufsehen: Diese Woche hat Marlene Engelhorn erklärt, warum sie 25 von ihrer Großmutter geerbte Millionen Euro an die Allgemeinheit "rückverteilen" – ergo: verschenken – will. Sie habe für das Geld keinen Tag gearbeitet und für den Erhalt keinen Cent an Steuern gezahlt, argumentiert die 1992 geborene Wienerin. Das sei ebenso ungerecht wie der Umstand, dass Vermögen hierzulande äußerst ungleich verteilt sei.

Was Engelhorn bekrittelt, unterfüttert die Europäische Zentralbank (EZB) mit brandneuen Daten. Ihre online veröffentlichten "Distributional Wealth Accounts" (DWA), an denen die österreichische und andere Nationalbanken mitgearbeitet haben, sind nicht gerade benutzerfreundlich aufbereitet, bergen aber brisante Ergebnisse: Die Oberschicht hält demnach einen größeren Anteil am Vermögen als bei früheren Analysen ausgewiesen.

Video: Millionenerbin Engelhorn lässt Bürgerrat 25 Millionen Euro verteilen.
APA

Unterschätzte Spitze

Schon bisher hat die Nationalbank (OeNB) regelmäßig Daten für Österreich geliefert. In der jüngsten Auflage kam ihr Household Finance and Consumption Survey (HFCS) zum Schluss, dass die wohlhabendsten fünf Prozent der Privathaushalte 37 Prozent des Nettovermögens hielten. Doch weil die Reichsten mit solchen Befragungen, so aufwendig sie auch sind, mutmaßlich nicht erreicht werden, galten die Ergebnisse als zweifelhaft: Die Vermögenskonzentration an der Spitze werde unterschätzt, so die Kritik.

Die Fachleute der EZB haben versucht, dieses Manko zu beheben. Nach einem statistisch etablierten Verfahren haben sie eine Art Hochrechnung vorgenommen, in der auch die von Medien publizierten Ranglisten reicher Menschen einflossen. Resultat: Die obersten fünf Prozent besitzen demnach gleich 53,5 Prozent des Nettovermögens. Das oberste Zehntel kommt immer noch auf rund 64 Prozent. Die gesamte untere Hälfte der Haushalte vereint hingegen lediglich 3,5 Prozent des Besitztums auf sich.

Der Standard

Zu betonen ist an dieser Stelle: Bei den Ergebnissen handelt es sich um Schätzungen, die nicht mit hieb- und stichfesten Daten, etwa aus einem Vermögensregister, gleichzusetzen sind. Doch ein solches existiert in Österreich nicht.

Auch der internationale Vergleich bietet Befürwortern einer Vermögensbesteuerung Munition, denn gemessen an der Konzentration von Reichtum landet Österreich ganz vorn. Nur noch in Lettland klappt die Schere zwischen den oberen fünf Prozent und der unteren Hälfte weiter auf (siehe Grafik). Im Schnitt der Eurozone hält das obere Zwanzigstel lediglich 43 Prozent des Nettovermögens.

Der Standard

Doch hier ist ebenfalls ein Beipackzettel angebracht. Vergleiche sind wegen der unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Ländern mit Vorsicht zu genießen. So führt auch ein gut ausgebauter Sozialstaat dazu, dass die Statistik eine höhere Vermögenskonzentration ausweist, wie die OeNB-Experten in früheren Analysen feststellten. Denn gibt es beispielsweise ein starkes öffentliches Pensionssystem, in das alle Bürgerinnen und Bürger einzahlen, müssen sie für das Alter kein oder weniger Geld ansparen.

Folge des Steuerverzichts

Arbeiterkammer-Ökonom Matthias Schnetzer glaubt allerdings, dass gerade für die Ballung von Reichtum ganz oben ein anderer Effekt eine größere Rolle spielt. Auch diesem hat sich die OeNB bereits gewidmet: Demnach ist die Bedeutung von Erbschaften für die Anhäufung von Vermögen im Vergleich zu Arbeitseinkommen in keinem untersuchten europäischen Land größer als in Österreich.

Schnetzer, der die gut versteckten neuen EZB-Daten an die Öffentlichkeit gebracht hat, führt den aus seiner Sicht unrühmlichen, weil den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdenden Spitzenplatz Österreichs folglich nicht zuletzt auf den Verzicht einer Erbschaftssteuer und anderer einschlägiger Abgaben zurück. Denn in der Disziplin der Vermögensbesteuerung – das ist altbekannt – zählt Österreich zu den Schlusslichtern. (Gerald John, 12.1.2024)