Neugierig wären wir schon, welche Schlag- oder Stichwörter da auf den handgeschriebenen Zetteln vor Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer notiert sind. Vielleicht: "Karl, du schaffst das! Karl, lass dich nicht unterkriegen" oder "Karl, einfach weiterreden, auch wenn Armin Wolf vehement versucht, dich in deinem Redefluss zu unterbrechen".

Oder stand da: "Karl, du musst Armins Wolfs Fragen nicht beantworten, wenn sie dir nicht ins Konzept passen"? Möglich auch: "Karl, lass deine Hände sprechen, bewege sie so viel wie möglich, das wirkt dynamisch, staatsmännisch."

Wir werden es wohl nicht erfahren. Nehammers Körpersprache liefert jedenfalls wieder die perfekte Vorlage für eine Maschek-Einlage. Auch wenn Nehammer diesmal bei Armin Wolf im "ZiB 2"-Gespräch nicht so aggressiv war wie beim Gespräch mit Martin Thür vor genau einem Jahr – Kommunikationswissenschafterinnen sahen damals ein Interview wie einen "Boxkampf" –, sein Lächeln wirkte auch diesmal nicht so, als komme es von Herzen.

Zähne zeigen oder Lächeln? Kanzler Karl Nehammer war Donnerstagabend zu Gast in der
Kanzler Karl Nehammer war Donnerstagabend zu Gast in der "ZiB 2".
Screenhot: Tvthek.orf.at

"Es gibt noch viel zu tun", sagt Nehammer. Da hat er recht. Die Regierung soll also bis zum Ende der Legislaturperiode arbeiten, er bleibt weiterhin beim Wahltermin im Herbst und werde auf jeden Fall ÖVP-Spitzenkandidat sein. Gleich bei der ersten Frage hat Wolf gut zu tun, Nehammer in seiner Aufzählung dessen zu stoppen, was die Regierung schon bisher auf den Weg gebracht hat.

Noch häufiger muss Wolf seine Hand beim Thema EU-Wahl heben als Zeichen und Versuch, den Kanzler zu stoppen. "Ich unterbreche Sie nur sehr ungern", sagt Wolf da höflich und erntet als Antwort: "Ich weiß, aber lassen Sie mich zu Ende reden."

Statt einer Antwort auf die Frage, bei welchem Wahlergebnis er als Parteivorsitzender die Verantwortung übernehmen und zurücktreten würde, hält Nehammer einen Vortrag über die Kernaufgaben der EU, den Außengrenzschutz, den Asyl- und Migrationspakt.

Eine konkrete Zahl zum Wahlziel bekommt Wolf nicht, nur so viel, dass das Ziel ein "gutes Ergebnis" sei. Den ÖVP-Spitzenkandidaten für die EU-Wahl kennt er, will ihn aber noch nicht bekanntgeben.

Strategisch notwendiger Unsinn

Später will Wolf wissen, ob die Bargelddebatte im Sommer ein Beispiel für SNU – also für den strategisch notwendigen Unsinn in der Medienarbeit – gewesen sei. Wenig überraschend verteidigt Nehammer diesen Vorstoß, der ja für viel Kopfschütteln gesorgt hat. "Hier unterscheidet sich wieder ganz klassisch Theorie und Praxis", sagt er, wenn über 80 Prozent Bargeld gut finden, dann sei es seine Aufgabe, das Thema auf eine Bühne zu bringen.

Weiter geht es mit dem Thema U-Ausschuss. Diese seien gegen die ÖVP instrumentalisiert worden, mit dem U-Ausschuss gegen die Opposition soll "die gesamte Breite politischer Verantwortung" aufgeklärt werden. Er sei für eine Übertragung im TV, Datenschutzfragen müssten jedoch beachtet werden. Auch hier erwähnt er wieder den Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Wäre er als Auskunftsperson vorgeladen, dann würde er einer Übertragung jedenfalls zustimmen.

ZIB 2: Bundeskanzler zieht Jahresbilanz
ORF

Im "ZiB 2"-Gespräch geht es dann auch um Signa-Provisionen für Sebastian Kurz (hier werde eine "Neiddebatte" geführt), den Unterschied zu Alfred Gusenbauer ("Der hatte nicht nur eine Aufsichtsratsfunktion, sondern war auch beratend tätig") und auch darum, ob Kurz ÖVP-Mitglied bleiben könnte, wenn er verurteilt werden würde (Nehammer: "Bis zum Abschluss des Verfahrens stellt sich diese Frage nicht").

Und natürlich geht es auch um Corona, Nehammer sieht hier Fehler ("Die Impfpflicht konnten wir nicht mehr ausreichend erklären"), entschuldigen will er sich aber nicht. Das Ziel der Regierungsmitglieder sei gewesen, Menschenleben zu retten.

Nehammers Tipps für Wolf

Lange beschreibt Nehammer die Corona-Politik, Wolf bittet um kürzere Antworten, "schwierig bei komplexen Themen" findet das der Kanzler, der auch beim Thema Inflation wortreich die Maßnahmen der Regierung erklärt und Wolf hier immer wieder unterbricht und ihm auch eine eine "verkürzte Darstellung" in der Fragestellung vorwirft.

Es sei schwer, "ein Argument zu Ende zu führen, wenn Sie ständig intervenieren", beschwert sich da Nehammer und hat auch gleich Tipps für Armin Wolf parat: "Lassen Sie mich antworten, oder stellen Sie die Fragen alleine und lassen den Seher sich selbst ein Bild machen." Im Sinne des ORF-Publikums schlägt er Wolf vor: "Wir müssen uns irgendwie einigen über ein Prozedere, weil sonst wird es schwierig zum Zuhören."

Armin Wolfs Unterbrechungsversuche in der
Armin Wolfs Unterbrechungsversuche in der "ZiB 2" beim Interview mit Karl Nehammer.
Screenshot: TVThek.orf.at

Seine Position rüberzubringen schafft Nehammer am besten beim Thema Nahost, "die Hamas ist zu zerstören, der Terror hat zu enden, und es ist wichtig, dass die Frage der Zweistaatenlösung wieder politisch wird, aber ohne Hamas".

Koalition mit FPÖ ohne Kickl nicht ausgeschlossen

"Eine eigenartige Zuspitzung der Frage" sieht Nehammer auch, als Wolf wissen will, warum die ÖVP in drei Bundesländern mit einer in ihrem Wesen korrupten Partei koaliert. Die FPÖ sei eine vielfältige Partei und die Politik in den Bundesländern nicht jene des Bundes, so Nehammer. Eine Koalition mit FPÖ-Obmann Herbert Kickl schließt er aber erneut aus, er betont einmal mehr, dass Kickl ein "Sicherheitsrisiko" sei. Eine Koalition mit der FPÖ ohne Kickl schließt er nicht aus.

Rund eine halbe Stunde dauert das "ZiB 2"-Gespräch, viel Neues ist darin nicht zu erfahren, vielmehr verteidigt Nehammer bekannte Botschaften und Positionen. Und das mit wilden Gesten und mit teils ermüdend langen Antworten.

Vielleicht stand ja auf seinem Spickzettel: "Viel und lange reden, auch wenn es der Inhalt nicht hergibt. Und Armin Wolf Tipps für seine Interviewführung geben." Mission accomplished. (Astrid Ebenführer, 12.1.2024)