Mit Netflix sollte alles gut werden: ein Streamingdienst, über den man so gut wie alles, was man sehen will, beziehen kann, und das noch dazu zu einem halbwegs vernünftigen Preis. So zumindest die in früheren Jahren präsentierte Vision. Eine Vision, mit der man auch ein die Branche seit langem begleitendes Phänomen loswerden wollte: die Onlinepiraterie, also die Verbreitung von illegitimen Kopien aktueller Filme und Serien.

Erfolge

Eine Zeitlang sah es tatsächlich so aus, als könnte dieser Plan aufgehen. Die Bequemlichkeit der digitalen Verfügbarkeit und der zunächst überschaubare Preis führten dazu, dass die Onlinepiraterie tatsächlich abnahm. Etwas, das der Industrie zuvor jahrelang mit drastischen Drohkampagnen und aufwendigen Gerichtsverfahren nie gelungen war. Nicht ganz überraschend stellte sich heraus: Der einfachere, bessere Service gewinnt, dafür sind die Menschen dann auch bereit, etwas Geld hinzuwerfen.

Ein Pirat
Piraterie ist nicht bei allen beliebt, bei manchen um so mehr.
Disney

Doch dieser Streamingtraum hat sich in den vergangenen Jahren für viele in das genaue Gegenteil verkehrt: eine regelrechte Streaminghölle. Von der Idee einer Plattform, wo man alles bekommt, ist die aktuelle Realität weiter weg als je zuvor. Es hat eine Zersplitterung des Markts stattgefunden, in der eine unaufhaltsam weiterwachsende Schar an Diensten um die Gunst der Konsumentinnen und Konsumenten buhlt. Eine, die für die so Umworbenen vor allem eines ist: viel, viel teurer. Und mühsamer noch dazu.

Kehrtwende

Das Ergebnis ist genau das, was zu erwarten war: Nachdem die Onlinepiraterie im Jahr 2021 einen Tiefpunkt erreicht hat, zieht sie derzeit wieder an. Das geht aus einer bereits vor einigen Monaten veröffentlichten EU-Studie hervor. Während das Kopieren von Musik dank der Verfügbarkeit von zahlreichen Streamingdiensten mit einem umfassenden Angebot tatsächlich kaum mehr eine Rolle spielt, ist gerade bei TV-Piraterie derzeit ein deutlicher Aufschwung bemerkbar.

Die Gründe dafür sind kein Geheimnis: Serien sind mittlerweile über so viele Anbieter verstreut, dass es kaum mehr leistbar ist, für all jene Dienste monatlich zu zahlen, bei denen man gern den einen oder anderen Titel sehen möchte. Und auch wenn unbestritten ist, dass niemand alles sehen muss, die Verlockung, eine Serie herunterzuladen, anstatt extra für diese noch ein weiteres Abo abzuschließen, ist natürlich groß. Zumal es oft nicht einmal möglich ist, diese Serien einzeln woanders zu kaufen, da die Streamer natürlich Exklusivität haben wollen.

Piraten sind die besten Kunden

Einen der besten Kenner der Szene, Torrentfreak-Gründer Ernesto Van der Sar, überrascht all das nicht, wie er gegenüber "Daily Beast" betont. "Die Ironie an der ganzen Sache ist, dass jene, die am meisten zahlen, auch die sind, die am ehesten Piraterie betreiben." Und das aus einem simplen Grund: "Sie können einfach nicht für alles zahlen, was sie gern sehen wollen."

Eine Erkenntnis, die nicht ganz neu ist. Schon in früheren Jahren hatten Studien dieses Phänomen mehrfach belegt. Und auch in der Filmindustrie ist das einigen durchaus bewusst. So zeigte sich der damalige HBO-Boss Jeff Bewkes im Jahr 2013 regelrecht begeistert über im Internet kursierende Kopien von "Game of Thrones". Diese seien die beste Mundpropaganda, die man sich vorstellen könne, und im Endeffekt wertvoller als ein Emmy. Natürlich hätte man lieber, dass Leute ein Abo abschließen, der Download befeuere den Hype aber weiter, und das sei gut für die Serie.

Kein Geheimnis ist, dass manche Filmregisseure das sehr ähnlich sehen. So hatte etwa Werner Herzog am Rande eines Schweizer Filmfestivals 2019 betont, dass Piraterie die erfolgreichste Form der weltweiten Filmdistribution sei. Und auch wenn es ihm natürlich lieber sei, dass die Leute für seine Filme zahlen – wenn das aus welchen Gründen auch immer nicht gehe, sei Piraterie für ihn in Ordnung.

Verschollen im Rechtelimbo

Herzog spielt dabei auch auf ein weiteres Problem an, das der digitalen Rechte. Die Realität ist nämlich, dass es viele Dinge einfach gar nicht in einer digitalen Version gibt. Wer etwa einen Film wie "28 Days Later" schauen will, hat derzeit legal nur die Option, eine Blu-Ray oder DVD zu kaufen, online ist er aus den Angeboten verschwunden. Ähnlich sieht es bei vielen Filmklassikern aus.

Das Streamingzeitalter hat an dem altbekannten Rechteproblem der Branche nur wenig geändert, es hat nur ein neues Phänomen produziert: die Realität, dass man – im Gegensatz zu klassischen Datenträgern – nichts wirklich besitzt und Titel einfach verschwinden können. Einen richtigen "Kauf" gibt es eigentlich nicht mehr.

Nichts ist für ewig, Streamingtitel am wenigsten

Zudem finden sich viele Titel oft nur vorübergehend auf den Streamingplattformen. Ein besonders drastisches Beispiel dafür lieferte im Vorjahr HBO, als zahlreiche Shows nachträglich von HBO Max entfernt wurden – darunter auch noch relativ junge und populäre Titel wie "Westworld". Der Contentchef der Plattform stellte damals klar, dass es nie so gedacht war, dass teure Titel wie "Westworld" einfach ewig über ein All-in-One-Abo erhältlich sein werden – so habe Fernsehen noch nie funktioniert. Eine für die Kundinnen und Kunden ziemlich unerfreuliche Perspektive.

Angesichts dieser Realität mögen manche den neuen Anstieg der Piraterie beklagen. Überraschend ist er aber nicht. Die Kopie zu Hause verschwindet nämlich nicht so einfach von einem Tag auf den anderen. (Andreas Proschofsky, 12.1.2024)