SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler und ÖVP-Chef Karl Nehammer kämpfen um Platz zwei, könnten nach der Wahl aber aufeinander angewiesen sein.
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Es soll ein arbeitsreiches Wochenende werden in der SPÖ-Zentrale. Andreas Babler wird seine wichtigsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treffen. Thema: Wahlkampf-Strategien. Welche Forderungen kommen an? Es müssen Slogans gefunden werden.

Zuerst steht im Juni die EU-Wahl an, dann die Nationalratswahl, die spätestens im September abgehalten wird – womöglich früher. In der Löwelstraße, dem roten Headquarter, will man jederzeit gewappnet sein. Viel Zeit blieb Babler ohnehin nicht zur Eingewöhnung in seinen neuen Job. Viele parteiorganisatorische Vorhaben müssen vorerst liegen bleiben. Denn es gibt unzählige wahltaktische Entscheidungen zu treffen für dieses Superwahljahr. Alles scheint möglich 2024 – im Guten wie im Schlechten.

Kein Kanzler Kickl

Auch in der ÖVP laufen die Vorbereitungen – und es werden diverse Überlegungen angestellt, wie es mit der Volkspartei weitergehen kann und wie nach der Nationalratswahl. Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer und der türkise Klubchef August Wöginger sollen immer intensiver darüber nachdenken, wie man der SPÖ wieder näher kommen kann. Denn die ÖVP-Spitze schließt es aus, FPÖ-Chef Herbert Kickl zum Kanzler zu machen – zumindest wird das behauptet. Und das würde bedeuten: An den Sozialdemokraten kommt die ÖVP nicht vorbei, um eine Mehrheit zu finden und eine Regierung zu bilden.

Karl Nehammer ist Kanzler und will das auch bleiben. Doch momentan kämpft der ÖVP-Chef um Platz zwei.
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Aber: Kann das klappen? Können ÖVP und SPÖ, nachdem in den vergangenen Jahren sehr viel Porzellan zerschlagen wurde, wieder zusammenfinden? Unter welchen Bedingungen? Und unter welchen Umständen nicht? Die kurze Antwort lautet: Es ist kompliziert.

Seitens der SPÖ ist nicht einmal klar, ob Babler überhaupt mit der ÖVP zusammenarbeiten würde – das ist der erste Fallstrick. Mit "einer ÖVP, so, wie sie jetzt beinand’ ist", würde er nicht koalieren, erklärt der SPÖ-Vorsitzende in unterschiedlichem Wortlaut in fast jedem Interview. Aber was bedeutet das?

In der SPÖ hört man recht einhellig: Natürlich würde Babler grundsätzlich mit der ÖVP koalieren. Aus seinem Team heißt es aber: Dafür seien Zugeständnisse der Türkisen notwendig. "Die ÖVP müsste zeigen, dass sie mit dem System Kurz bricht, wieder zur sozialpartnerschaftlichen Tradition zurückkehrt und echtes Interesse an einer Zusammenarbeit hat", sagt Patricia Huber, eine von Bablers Chefstrateginnen. Die Wiedereinführung einer Erbschaftssteuer hat Babler selbst zur Koalitionsforderung erhoben. Neben inhaltlichen Punkten werde es aber auch um die Bereitschaft der ÖVP gehen, Ministerien aufzugeben, heißt es. Man denke dabei an ein rot-geführtes Finanzministerium oder daran, dass das Innenministerium an die SPÖ fällt.

Damit er mit der ÖVP kann, müssten sich die Türkisen verändern, heißt es aus dem Umfeld von SPÖ-Vorsitzendem Andreas Babler.
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Einfach würden Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ also definitiv nicht. "Anders als in der Parteispitze ist es in der Basis eine absolute Minderheitenmeinung, dass eine Wiederbelebung der großen Koalition eine gute Idee wäre", sagt ein türkiser Funktionär. Auf die Grünen habe man in Klimafragen zugehen können. "Aber wo sollen wir bitte auf Babler zugehen?", fragt er. "Bei einer Erbschaftssteuer? In Migrationsfragen? Im Staatsbürgerschaftsrecht? Das geht doch alles nicht und wäre nur Wasser auf den Mühlen der FPÖ."

Kein gemeinsames Ziel

Sollte Kickl, wie es Umfragen prognostizieren, auf Platz eins landen, müsste eine Koalition aus SPÖ und ÖVP ein "mutiges Programm" anbieten, sagt Politikexperte Thomas Hofer. Eine Zusammenarbeit wie in vergangenen rot-schwarzen Koalitionen sei nicht denkbar. Damals hätten Volkspartei und SPÖ nicht auf gemeinsame Ziele hingearbeitet, sondern sich vor allem damit gerühmt, Vorhaben des anderen zu verhindern. Ein Verwalten der Republik unter Ausschluss der FPÖ sieht Hofer als "nächstes Wachstumsprogramm" für die Blauen.

Doch die Vertrauensbasis zwischen Volkspartei und Sozialdemokraten ist schlecht. Babler und Nehammer sollen sich zwar bereits getroffen haben und sich immer wieder austauschen, das Misstrauen ist dennoch groß. Rivalitäten aus dem Kampf ums Kanzleramt zwischen Christian Kern und Sebastian Kurz sitzen bis heute tief. Für viele Türkise ist Babler nichts anderes als ein radikal linker Marxist. Und dennoch: In beiden Parteien keimt der Gedanke, dass man nach der Wahl womöglich aufeinander angewiesen sein könnte.

Man muss dazu sagen: Derzeit ginge sich eine Zweierkoalition gar nicht aus. In der jüngsten Market-Umfrage im Auftrag des STANDARD ist die FPÖ mit 30 Prozent weit abgeschlagen in Führung. Die SPÖ kommt auf 25, die ÖVP auf 21 Prozent. Mehrheit ist das keine. Ein Dritter müsste her. Darüber, wer das sein soll, ist man sich ebenfalls uneinig. Rund um Babler wird eine Dreiervariante mit den Grünen bevorzugt, in der ÖVP hingegen eher ein Bündnis mit den Neos, das man dann als neue Variante verkaufen könnte.

Doch wer sind in ÖVP wie auch SPÖ eigentlich die Befürworter und Gegner einer "großen Koalition", die wohl eher eine Koalition des Zweitplatzierten und Dritten wäre?

Wiens roter Landesparteichef und Bürgermeister gilt als Großkoalitionär. Besonders mit dem Wiener Wirtschaftskammer-Chef Walter Ruck sagt man Michael Ludwig ein gutes Verhältnis nach.
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In der SPÖ Wien wird recht offenherzig für eine rot-türkise Regierung Stimmung gemacht. Bürgermeister Michael Ludwig gilt trotz seines Pakts mit den Neos als Großkoalitionär – zumindest auf Bundesebene. Darüber hinaus machen sich mehrere andere rote Landeschefs für eine Öffnung in Richtung ÖVP stark – allen voran der Tiroler Georg Dornauer und zuletzt Niederösterreichs SPÖ-Chef Sven Hergovich. In der ÖVP gelten neben der Bundesparteispitze etwa Tirols Landeshauptmann Anton Mattle und Wiens ÖVP-Chef Karl Mahrer als Befürworter der Zusammenarbeit.

Die Parteichef-Frage

Eine weitere offene Frage ist: Wer wird ÖVP und SPÖ bis dahin überhaupt anführen? "Dass sowohl Babler als auch Nehammer nach der Wahl noch die bestimmenden Kräfte in ihren Parteien sind, ist eher unwahrscheinlich", sagt Hofer. Sollte die FPÖ als Erste ins Ziel gehen, sieht der Politberater vor allem den Dritten in Gefahr: "Wenn der amtierende Kanzler nur auf Platz drei käme, müsste er sich selbst hinterfragen – bei Babler gilt Ähnliches." Das bestreitet auch kaum jemand in den beiden Parteien.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler gilt innerhalb der ÖVP immer wieder als mögliche Kandidatin für Spitzenposten.
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Logische Nachfolger stehen nicht wirklich parat. In der ÖVP gilt Karoline Edtstadler als potenzielle Kandidatin für den Parteivorsitz. Sollte Babler die Erwartungen seiner Partei nicht erfüllen, gibt es derzeit keinen Hoffnungsträger. Oder würde doch Hans Peter Doskozil noch einmal in den Ring steigen? Wesentlich einfacher umsetzbar würde eine "große Koalition" dadurch wohl auch nicht. (Katharina Mittelstaedt, Oona Kroisleitner, 12.1.2024)