Werner Schwab Hommage Schauspiel Graz
Mervan Ürkmez und Annette Holzmann deklamieren, Bundespräsident Kurt Waldheim wacht über die beiden im Schauspielhaus Graz.
Stella Kager

"Betrifft: Ermittlungen zum Tode des Schwab Werner. Graz, den 5. 1. 1994. Schwab ist an einer Alkoholvergiftung verstorben und hat die Untersuchung einen Blutalkoholwert von 4,1 Promille ergeben. Hinweise auf einen Selbstmord des Werner Schwab konnten nicht ermittelt werden." So der Polizeibericht.

Der Dramatiker starb vor dreißig Jahren in der Silvesternacht. Aus diesem Anlass widmet ihm das Schauspielhaus Graz jetzt die Produktion Schwabgasse 94. An besagter Adresse findet sich eine Art Gemeindebau-Slum, eine Favela aus Sperrmüll. In den in- und übereinandergeschachtelten Wohnhöhlen des Schreckens – und besonders in den Mülltonnen dazwischen – sind Figuren aus Theaterstücken Werner Schwabs beheimatet.

Da sind die Frau Wurm und ihr Sohn Herrmann mit dem Klumpfuß, der – durchaus nicht unverständlich – so gerne ein weiteres Loch im Mutterkopf anbringen möchte und statt des Drillbohrers doch nur das Geschirrhangerl ergreift. Da ist nebenan die Familie Kovacic mit dem versoffenen Ernährer und wackeren Möbelverdiener, der nach zu viel Alkohol ein wenig "eigen" wird.

"Das war Mord, das war kein familiärer Vorgang", protestiert die Frau Kovacic dennoch mutig, nachdem der Göttergatte den Goldhamster zerquetscht hat. Letzterer wird trotz Trauerkondukts mit Blockflötenmarsch zum leitmotivischen Wiedergänger, er taucht aus Mariedls Abort ebenso unerwartet auf wie als singendes Kuschelmonster.

Gekonnt beiläufig

Regisseur David Bösch, designierter Schauspieldirektor am Landestheater Linz, verschmilzt im Schauspielhaus Graz das Schwab’sche Material zu einem Pandämonium des Allzumenschlichen, vor allem aber zu einer vielschichtigen Hommage an die facettenreiche Sprache des Dichters und Dramatikers. Diese wird von den Ausführenden genussvoll und gekonnt beiläufig – als würden im Gemeindebau alle so reden – auch sprechtechnisch brillant über die Rampe gebracht.

Volksvernichtung und Präsidentinnen stellen einen Gutteil des Personals, das sich auch außerhalb der angestammten Stücke bewegt. Dazu kommen etwa Passagen aus Mein Hundemund oder Lyrisches von poetischer Eindringlichkeit. "Ist es ein Theaterstück, nur weil es schiach ist und brutal?", lautet einmal die Frage. David Bösch zelebriert auf der von Ausstatter Patrick Bannwart kunstvoll zugemüllten Drehbühne keineswegs nur das Schiache und Brutale, auch wenn er ihm mit Witz und Ironie und leichter Hand viel Raum gibt.

Gelegentlich aber hält die Drehbühne inne, und es herrscht nicht Verzweiflung, sondern jene Ruhe, die sogar "die innere Hundsmaulstimme" zum Schweigen gebracht hat: "Eine Ruhe, die nichts weiß von einer Ruhe." Der Schauspieler Rudi Widerhofer, der als Hundsmaulsepp, Dichter und Nationalratsabgeordneter gleich drei fulminante Soli hinlegt, lässt in dieser Ruhe das Publikum tatsächlich den Atem anhalten.

Seelisch verkrüppelt

Irgendwann begegnen einander bei den Mülltonnen der körperlich und seelisch verkrüppelte Herrmann, das Alter Ego des Autors, und die Mariedl, die bejubelte Kloputzerin ohne Gummihandschuhe: Mit Mervan Ürkmez und Annette Holzmann gehen zwei schüchterne junge Menschen aufeinander zu, die für ein paar Sekunden nur eine Zukunft erträumen.

Damit es nicht sentimental wird, poppen wie Schießbudenfiguren im Prater die "Präsidentinnen" Grete und Erna aus zwei Mülltonnen auf. Olivia Grigolli, auch als Frau Wurm von exquisit trauriger Bösartigkeit, ist eine Grete wie aus einem frühen Kottan. Schwester im Geiste ist Karola Niederhuber als Erna mit der luxuriösen Pelzhaube. Als Frau Kovacic wusste sie den Lockenwicklerkopf geschickt wegzuwenden von den Übergriffen des Herrn Gemahl in Gestalt des unverwüstlichen Franz Solar im Fatsuit mit viel Muskeln auf der Brust. Jede Rolle ein Psychogramm! "In Graz geht man nicht ins Theater", sagte Werner Schwab. Da hat er unrecht. (Heidemarie Klabacher, 14.1.2024)