Wer in der kleinen Spar-Filiale im neunten Bezirk in Wien zum veganen Faschierten will, muss zuerst am echten Fleisch vorbei. An der reichhaltigen Theke mit Schinken, Leberkäse und Schnitzel, die nicht nur das Zentrum des Supermarktes darstellt, sondern auch mit besonders niedrigen Preisen lockt. Rund fünf Euro kostet ein halbes Kilo Faschiertes aus Rind- und Schweinefleisch. Ein paar Meter weiter im Eck des Geschäftes sind dann ein paar Packungen des veganen Faschierten zu finden, das gleich aussieht wie echtes Faschiertes, aber aus Erbsenprotein besteht. Der Preis: ebenfalls fünf Euro – allerdings nicht für ein halbes Kilo, sondern für lediglich 275 Gramm.

Dass pflanzliche Ersatzprodukte teurer sind als die Produkte, die sie ersetzen sollen, trifft auch auf viele andere Fälle zu: Ein Warenkorb aus pflanzlichen Ersatzprodukten, darunter vegane Würste, Aufschnitte, Burger, Käse und Pizza, ist im Schnitt rund 25 Prozent teurer als einer mit äquivalenten tierischen Produkten. Das ergab eine kürzlich erschienene Studie des Vereins Proveg, die das Angebot der wichtigsten Supermärkte in Deutschland untersuchte. In manchen Supermärkten mache der Unterschied insgesamt sogar rund 40 Prozent aus.

Auf den ersten Blick leuchtet das nicht ganz ein. Während Schweine und Rinder in der industriellen Tierhaltung jährlich tonnenweise Futtermittel wie Soja bekommen, was die Herstellung von Fleisch energie- und ressourcenintensiv macht, werden bei Ersatzprodukten Soja, Erbsen und andere Rohstoffe direkt für die Herstellung verwendet. Die Zutaten, die in den meisten pflanzlichen Ersatzprodukten stecken, sind meist auch nicht besonders teuer.

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Das Angebot pflanzlicher Ersatzprodukte ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden. Noch schreckt viele Menschen aber der Preis der Produkte ab.
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Rabatte auf Fleisch

"Es ist schwierig, den Preis von Ersatzprodukten direkt mit jenem von Fleisch zu vergleichen", sagt Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin des Verbands der Lebensmittelindustrie der Wirtschaftskammer Österreich. Denn Fleisch sei in den Supermärkten nach wie vor ein sehr beliebter "Lock-Artikel". Soll heißen: Supermärkte versuchen vor allem mit Rabatten auf Fleisch, Konsumentinnen und Konsumenten in die Filialen zu bekommen. Fleischprodukte seien dadurch oftmals günstiger.

Ein weiterer Grund für den Preisunterschied: Es sei technologisch herausfordernd, Fleischprodukte so nachzubauen, dass die Alternativen diesen in Geschmack und Konsistenz möglichst stark ähneln. "Es braucht entsprechendes Know-how, damit aus einem Pilz ein Schnitzel wird", sagt Koßdorff. Das sei einer der Gründe, weshalb viele Unternehmen und deren Ersatzprodukte noch vor einigen Jahren gescheitert sind. "Der Markt war am Anfang ziemlich gehypt, mittlerweile haben die Unternehmen jedoch viel aus ihren Fehlern gelernt." Pflanzliche Ersatzprodukte seien aber nach wie vor komplizierte Produkte und deshalb teurer.

Steuerliche Ungleichbehandlung

Felix Hnat, Obmann des Vereins Vegane Gesellschaft Österreich, sieht andere Gründe am Werk. "Zwischen tierischen Produkten und pflanzlichen Ersatzprodukten gibt es eine steuerliche Ungleichbehandlung." Während beispielsweise auf Kuhmilch, die als Grundnahrungsmittel gilt, lediglich zehn Prozent Mehrwertsteuer fällig sind, sind es bei pflanzlichen Milchersatzprodukten zwanzig Prozent. Auf der anderen Seite seien besonders Milch und Rindfleisch stärker subventioniert. Für Fleisch aus Massentierhaltung zahlen Konsumentinnen und Konsumenten auch nicht die ökologischen Folgekosten, die beispielsweise durch den Import von Soja aus Regenwaldgebieten entstehen, sagt Hnat.

Fleisch, Umwelt, Kosten
Der Preis von Fleisch spiegelt derzeit nicht die Kosten wider, die durch die Herstellung, die Umweltschäden und den CO2-Ausstoß entstehen, sagen Experten.
APA/GEORG HOCHMUTH

Der höhere Preis pflanzlicher Ersatzprodukte hält wiederum viele Menschen davon ab, diese zu konsumieren. "Die breite Masse der Bevölkerung ist bei den derzeitigen Preisen eher nicht bereit, diese zu kaufen", sagt Christian Garaus, Wissenschafter am Institut für Marketing und Innovation der Universität für Bodenkultur Wien (Boku). Würde der Preis auf circa zwei Drittel des jetzigen Preises sinken, könnte sich das jedoch schlagartig ändern, wie Studien gezeigt hätten.

Trend nutzen

Aber auch kleine Unterschiede im Preis können eine große Wirkung haben. Beispielsweise habe Ikea seine fleischlosen Bällchen nur um ein paar Cent billiger gemacht als seine Fleischbällchen, führt Hnat als Beispiel an. Dadurch sei jedoch der Absatz der pflanzlichen Bällchen auf ein Drittel des Umsatzes aller Bällchen gestiegen. "Über kurz oder lang ist es auch für die Supermärkte besser, wenn sie zwar billigere, dafür aber mehr Ersatzprodukte verkaufen", sagt Hnat.

Auf der anderen Seite kann sich ein höherer Preis auch bezahlt machen, wenn bestimmte Produkte gerade trenden. "Da gibt es sicher einige Unternehmen, die sich den veganen, beziehungsweise flexitarischen Trend zunutze machen, um noch ein Stück weit mehr für ihre Produkte zu verlangen", sagt Tilman Kühn, Ernährungswissenschafter und Professor für Public Health Nutrition an der Universität und der Medizinischen Universität Wien.

Veganer geben mehr aus

Zumindest unter Veganerinnen und Veganer scheint die Bereitschaft, mehr für Essen auszugeben, durchaus gegeben zu sein. Laut einer Studie geben Haushalte, die sich vegan ernähren, monatlich durchschnittlich 442 Euro für Essen aus – 44 Euro mehr als Haushalte, die sich als Allesesser deklarieren. "Veganerinnen und Veganer geben Essen womöglich eine größere Bedeutung und kaufen wahrscheinlich auch mehr Bio-Produkte, wodurch sie ebenfalls mehr Geld für Essen aufwenden", sagt Koßdorff.

Fest steht: Das Angebot pflanzlicher Ersatzprodukte hat sich in den vergangenen Jahren bereits enorm erweitert, was auch den Preis der Produkte nach unten getrieben hat. 2022 kostete ein pflanzlicher Warenkorb im Schnitt noch 53 Prozent mehr als ein vergleichbarer tierischer Warenkorb, ergab eine Proveg-Studie. Seit 2020 ist der Markt für pflanzliche Ersatzprodukte in Österreich laut einer Studie des Good Food Institute um 22 Prozent gewachsen.

Die große Zielgruppe: die wachsende Anzahl der Flexitarier – Menschen, die zwar weiterhin Fleisch essen, aber versuchen, ihren Fleischkonsum aktiv zu reduzieren, und dafür zunehmend Ersatzprodukte probieren. 37 Prozent aller Menschen in Österreich bezeichnen sich laut "Smart Protein Report" als Flexitarier, im Vergleich zu fünf Prozent, die sich vegan, und ungefähr zehn Prozent, die sich vegetarisch ernähren.

Hochverarbeitete Lebensmittel

"Auf Ersatzprodukte umzusteigen ist für viele Flexitarier auch eine Frage der Bequemlichkeit", sagt Petra Lehner, Lebensmittelexpertin bei der Arbeiterkammer Wien. Diese Produkte machen es einfach, die eigene Ernährung nicht zu stark verändern zu müssen. Vielen gehe es aber auch darum, Neues auszuprobieren und neue Geschmäcke zu testen, sagt Garaus.

Das sei zwar aus ökologischer Sicht begrüßenswert, aus gesundheitlicher Sicht jedoch nicht unbedingt, sagt Lehner: "Ersatzprodukte sind ebenso wie die Produkte, die sie ersetzen sollen, hochverarbeitete Produkte, die im Bereich von Nähr- und Zusatzstoffen eher im schlechten Bereich angesiedelt sind." Gesünder – und günstiger – sei eine pflanzenbasierte Ernährung vor allem dann, wenn sie aus natürlichen und weniger verarbeiteten Produkten besteht.

Dass ein Produkt industriell hergestellt wird, muss nicht per se schlecht sein, sagt Kühn. Es komme vor allem auf den Einzelfall an: wie viele ungünstige Nährstoffe wie Zucker und Salz beispielsweise in dem Produkt enthalten sind. In vielen Fällen seien Ersatzprodukte immer noch besser als ihre tierischen Pendants, in denen ebenfalls viele Zusatzstoffe stecken.

Fleischersatz, gesund, Zusatzstoffe
Wie viele Zusatzstoffe Fleischersatzprodukte enthalten, ist von Produkt zu Produkt unterschiedlich.
IMAGO/Bihlmayerfotografie

Anders besteuern

Für Kühn führt diese Diskussion zurück zur Frage des Preises. "Wir sollten Lebensmittel so besteuern, dass ihr Preis sowohl die Gesundheit als auch die Umweltfolgen der Produkte widerspiegelt" – die Kombination also aus individueller und planetarer Gesundheit. Lebensmittel, die pflanzlich und möglichst unverarbeitet sind, würden tendenziell günstiger, tierische und hochverarbeitete Produkte eher teurer werden.

Dadurch würde sich nicht nur das Kaufverhalten ändern, sondern Lebensmittelhersteller würden ihre Produkte schon von Beginn an anders produzieren, damit sie eher diesen Kriterien entsprechen. "Das wäre der noch viel größere Effekt", sagt Kühn. Dieser habe sich schon nach Einführung der Zuckersteuer in Großbritannien oder des Nutri-Score in Frankreich gezeigt. Die Frage sei nur, ob es für eine solche Steuer auch den politischen Willen gäbe. "In Österreich braucht es dafür noch Überzeugungsarbeit." (Jakob Pallinger, 18.1.2024)