Kathryn Hunter and Emma Stone in
Kathryn Hunter and Emma Stone in "Poor Things"von Yorgos Lanthimos.
Searchlight Pictures

Poor Things ist nicht prüde. Der neue Film von Yorgos Lanthimos erzählt vom sexuellen Erwachen der Hauptfigur Bella Baxter. Für die Sexszenen hat sich der Regisseur erstmals eine Intimitätskoordinatorin ins Team geholt. Das habe für ihn und die Darstellenden alles einfacher gemacht, erzählte er bei der Premiere in Venedig im Vorjahr.

Auch Hauptdarstellerin Emma Stone zeigte sich in einem New York Times -Interview voll des Lobes für Intimitätskoordinatorin Elle McAlpine. Sie beim Dreh dabeigehabt zu haben, sei wundervoll gewesen. Es habe eine professionelle Atmosphäre geschaffen.

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Was macht eine Intimitätskoordinatorin?

Was aber macht eine Intimitätskoordinatorin? Bei einer Kampfszene käme niemand auf die Idee, diese zu improvisieren. Genauso sei es bei intimen Szenen, sagt die österreichische Intimitätskoordinatorin Cornelia Dworak. "Das Bewusstsein ist mittlerweile schon ein ganz anderes dafür, dass es Grenzen gibt, dass es eine Choreografie und Proben dafür geben sollte, dass einfach viel mehr vorab kommuniziert und nicht spontan am Set entschieden wird."

Die Arbeit an intimen Szenen ist für Dworak in den letzten Jahren immer mehr geworden, trotz einiger Widerstände: "Diese Absprachen solcher Szenen ermöglichen wesentlich mehr Freiheit und ein angenehmeres Arbeiten für alle Beteiligten."

Regisseurin Marie Luise Lehner hat eine Ausbildung als Intimitätskoordinatorin.
Regisseurin Marie Luise Lehner hat eine Ausbildung als Intimitätskoordinatorin.
Sarah Tasha Hauber

Vom Porno lernen

Erotische Szenen seien sehr technisch, sagt Intimitätskoordinatorin Paulita Pappel aus Berlin. Es wird eine Choreografie herausgearbeitet, sodass es für die Kamera authentisch aussieht. Pappel ist im Hauptberuf Porno-Regisseurin und bringt ihre Erfahrungen bei nichtpornografischen Produktionen ein, etwa bei der Amazon-Serie Luden. In der Porno-Industrie werde unbeschwerter und schamfreier kommuniziert. Den Grundsatz des Einvernehmens könne die Mainstream-Filmindustrie lernen.

"Intimkoordination kommt bei Kinofilmen in erster Linie bei Nacktszenen oder sexualisiertem Inhalt zum Einsatz", sagt Pappel. "Grundsätzlich bei allen Szenen, bei denen Schauspielende Verletzlichkeit zeigen."

Im Sinne einer Anwältin

Die österreichische Regisseurin Marie Luise Lehner bereitet gerade ihren ersten Langfilm vor und hat eine Intimacy-Coordination-Ausbildung. "Ich mache das nicht selbst. Eine Intimitätskoordinatorin agiert im Sinne einer Anwältin, die vor und während des Drehs die Bedürfnisse der Darstellenden vertritt. Da ist es wichtig, dass es getrennt ist, so wie beim Kindercoaching, und diese Person nicht auf derselben Hierarchiestufe steht wie die Regie."

Intimkoordination kümmert sich primär um den Schutz der Darstellenden, und sie entlastet die Regie. Das Interesse der Produktionsfirmen liegt im Jahr 2024 darauf, sichere Set zu bieten, es gilt Übergriffe zu vermeiden. Als Nebeneffekt der sicheren Arbeitsbedingungen sichert man sich gegen Vorwürfe ab. "Es ist eine gängige Behauptung, dass seit MeToo niemand mehr davor sicher sei, eines übergriffigen Verhaltens beschuldigt zu werden", sagt Lehner. "Insofern ist Intimkoordination eine Absicherung für die Produktion."

Richtige Entwicklung

In Österreich ist das Konzept gerade erst angekommen, bei US-Produktionen ist es über die Arbeitsverträge der Gewerkschaften oftmals vorgeschrieben. Das Österreichische Filminstitut spricht bei Drehbüchern mit intimen Szenen zwar eine Empfehlung für eine Intimitätskoordination aus, verpflichtend ist diese nicht. "Ich würde mir wünschen, dass die österreichische Filmlandschaft weiter wäre, als sie es ist, gerade in Aspekten der respektvollen Arbeitsbedingungen und des Sexismus in der Branche", sagt Lehner. Cornelia Dworak meint, die Entwicklung ginge aber definitiv in die richtige Richtung. (Marian Wilhelm, 18.1.2024)