Es begann in Texas mit dem sogenannten Heartbeat Law. Die republikanische Regierung des südlichen US-Bundesstaates beschloss 2021 ein Gesetz, mit dem Abtreibungen ab dem Moment verboten werden, in dem ein Herzschlag des Fötus nachgewiesen werden kann. Das ist üblicherweise nach circa sechs Wochen der Fall. Ein Zeitraum, in dem die Schwangerschaft ohne Durchführung eines Tests leicht unbemerkt bleiben kann. Daneben sieht das Gesetz auch die strafrechtliche Verfolgung jener vor, die andere wissentlich bei einer Abtreibung unterstützen, was etwa Freunde, Verwandte oder Taxifahrer betreffen kann, die Frauen zu Abtreibungskliniken fahren.

Gegner des Heartbeat Law versuchten, dieses vor dem US-Höchstgericht zu bekämpfen. Dieses stellte aber mit einer knappen, konservativ dominierten Mehrheit von fünf zu vier Stimmen fest, dass Bundesgerichte keine Jurisdiktion über Abtreibungsgesetze auf bundesstaatlicher Ebene haben. Mittlerweile wurden andernorts ähnliche Gesetze beschlossen oder vorbereitet, etwa in Georgia, South Carolina und Ohio. All dies ist auch eine Folge der Supreme-Court-Entscheidung in der Causa Dobbs v. Jackson aus dem Jahr 2022, mit der das 1973 im Verfahren Roe v. Wade aus der Bundesverfassung abgeleitete Recht auf Abtreibung de facto abgeschafft wurde.

Als Reaktion auf "Heartbeat" kündigte Google im Juli 2022 an, Besuche in Abtreibungskliniken sowie anderen Einrichtung "persönlicher Natur" (etwa Gewaltschutzzentren) aus dem Standortverlauf von Nutzerinnen und Nutzern zu löschen. Diese Maßnahme soll dazu dienen, dass diese Informationen nicht bei Behörden in den entsprechenden Bundesstaaten landen können und damit die Strafverfolgung von Schwangeren erschwert wird. Seitdem sind anderthalb Jahre vergangen. Und, so berichtet der "Guardian", das Versprechen wurde bisher nicht eingelöst. Jedenfalls nicht vollständig.

Google-Maps-Route zu einer Abtreibungsklinik
Jede zweite von Accountable Tech durchgeführte Fahrt zu einer Abtreibungsklinik war im Nachhinein im Google-Standortverlauf einsehbar. (Symbolbild)
DER STANDARD/Pichler

Lückenhafte Löschung

Wie eine Untersuchung durch die Organisation Accountable Tech zeigt, hat Google zwar in der Tat Maßnahmen implementiert, um Abtreibungskliniken, Beratungszentren für Familienplanung und andere Orte nicht mehr aufscheinen zu lassen. Doch dieser Mechanismus erweist sich bislang als sehr lückenhaft. Demnach waren beim Versuch in 50 Prozent der Fälle entsprechende Aufenthalte immer noch im Standortverlauf einsehbar. Damit ist die Quote im Vergleich zu einem ersten Testlauf fünf Monate nach Ankündigung sogar gesunken, da lag sie noch bei 60 Prozent.

Accountable Tech wiederholte dabei das damals angewandte Untersuchungsverfahren. Mit einem neu eingerichteten Android-Handy fuhr man per Google-Maps-Routenplanung zu Abtreibungskliniken in sieben verschiedenen Bundesstaaten – inklusive Texas – und überprüfte anschließend, ob und wie diese Besuche im Standortverlauf einsehbar waren. In vier von acht Versuchen war der Trip im Nachhinein auf der Karte einsehbar, lediglich der Name der Kliniken war ausgeblendet. Daten zu Suchen über Abtreibungskliniken waren auch im Browserverlauf hinterlegt. Die Verlässlichkeit von Googles System sei vergleichbar mit einem Münzwurf, fasst man das Ergebnis zusammen.

"Umgekehrte Durchsuchungsbefehle"

Derlei Erkenntnisse sorgen für Beunruhigung, denn einige US-Polizeibehörden setzen zunehmend auf sogenannte Reverse Search Warrants. Bei diesen wird eine Liste an Verdächtigen anhand dessen erstellt, ob sich die Personen laut ihrem Standortverlauf innerhalb eines bestimmten Zeitraums in einem gewissen Standortbereich (Geofencing) befunden haben. Anschließend werden über die betroffenen Personen weitere Informationen erhoben, was auch per Auskunftsanordnung an Google, Apple und Co erfolgen kann.

Gegenüber dem "Guardian" weist Marlo McGriff, Produktchef für Google Maps, die Ergebnisse der Untersuchung zurück. "Wir halten unser Versprechen, bestimmte persönliche Orte aus dem Standortverlauf zu entfernen, wenn unsere Systeme sie erkennen. Alle Behauptungen, dass wir das nicht tun würden, sind schlicht falsch oder fehlinformiert." Das Statement lässt freilich ein Schlupfloch – dass die Erkennung solcher Orte möglicherweise nicht immer funktioniert – offen.

Vor einigen Wochen kündigte Google weitere Neuerungen in Bezug auf den Standortverlauf an. Dieser solle künftig standardmäßig auf den Geräten der Nutzer gespeichert werden und vor einer etwaigen Sicherung in Googles Cloudspeicher automatisch verschlüsselt werden, sodass Google selbst keinen Zugriff mehr darauf hat. Zudem sollen die Standortdaten nach drei Monaten gelöscht werden. Das soll die Erfüllung der "umgekehrten Durchsuchungsbefehle" praktisch unmöglich machen. Accountable Tech sieht das als "Schritt in die richtige Richtung", hält aber im Hinblick auf die vorherigen Ankündigungen und Untersuchungsergebnisse fest, dass man das Unternehmen "nicht beim Wort nehmen kann". (gpi, 18.1.2024)