Im neuen Werk von Ondřej Cikán taucht Eurydike ebenso auf wie Putin.
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Es ist angesichts allgegenwärtiger Relativierungen ein schönes Gefühl, beim Lesen sogleich Gesang zu vernehmen, den Rhythmus, die Töne, die poetischen Bilder Ondřej Cikáns – und das sich abzeichnende Manifest (her damit!).

Auch Apollinaires Poem Zone (das Cikán für ein anderes Buch übersetzt hat) erhält in der Sammlung Alcools durch Erstreihung einen manifestartigen Charakter. Dasselbe gilt für das Poem Nocturno für Eurydike in den Blühenden Dämonen. Im tschechischen Genre des Zonengedichts zeigt Cikán richtungsweisend und formvollendet, worauf es ankommt: "Wenn man es nicht erwartet, muss man Margeriten gießen, zum Beispiel, wenn man sie nicht pflückt, und dennoch Kränze bindet, zum Beispiel, wenn man Nachtfalter in Krankenbetten findet, zum Beispiel, wenn man merkt, dass man sich nach und nach verliebt, zum Beispiel, weil der Morgenstern sich vor die Sonne schiebt."

Karussell des Wahnsinns

Zur Erinnerung: Eurydike ist in der Unterwelt, ihr Gemahl Orpheus, der Erfinder der Musik, dem Tiere und sogar Steine lauschen, versucht sie vergeblich zu retten. Dem Tod mit Liebe und zugehörigen Tonfolgen zu trotzen, gelingt besonders melancholisch in einem Nocturno: "Noch betont ein unverschlossenes Klavier fast jeden dritten Laut, noch schläfst du nicht. Die Tränen fallen erst, sobald es graut."

Die Blühenden Dämonen orchestrieren den Wahnsinn unserer Welt – fuck Putin, auch solche Töne stimmt der Autor später an –, die uns so verdreht, dass wir uns einem Karussell unterordnen, um mit der Welt synchron zu bleiben.

Im Zonengedicht, Kurzepos, Nocturno für Eurydike hält das Ringelspiel an. Hier findet unter heilsamen Tränen eine zärtliche Beschwörung statt. "(Da) erstarrte ich mit einem Mal, weil mich der Dämon ansprach, und seine Stimme klang so schüchtern und so kindlich klar, (...) auf seiner Lederjacke waren Sterne aufgeklebt, gelbrosa wie die Augen eines Wolfs, der sich verirrt hat, und wie die Augen eines Pferds, das niemand angeschirrt hat."

Buchcover
Ondřej Cikán, "Blühende Dämonen. Nocturno für Eurydike und mehr". € 22,– / 125 Seiten. Ketos-Verlag, Wien 2023
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Konstruierte Abgeschiedenheit

Was tun, um zu hoffen? Für scheue Tiere singen? Eine feste Mole sein, an der sich alles vertäuen lässt, Verzweiflung wie Sehnsucht? Das ist der rote Faden der Dämonen. Gegen Monstrositäten hilft neben Klugheit und Uneigennützigkeit auch jener Summton, der selbst im Getöse des Untergangs eine Klarheit enthält, die innehalten lässt.

"Und wenn du dich schon fürchtest, dass du alle Menschen hasst, dann komm mit mir, leg dich zu mir und schweig und tanz und sing, und fahr mit mir mit dem Fiaker bis nach Ottakring." Wer seinen Palast im Inneren eines Berges errichtet, wie Cikáns Orpheus es tut, bevor ihm eine Dämonin erblüht, der schützt sich zwar vor Wahnsinn, konstruiert aber eine Abgeschiedenheit, die Mutlosigkeit einzementiert. Die Musik droht zu verstummen und sich in Grauen zu verkehren, "so wie der meisten Kerzen Ruß an seinem Anfang weiß war". (Michael Stavaric, 21.1.2024)