Stoker Dracula Burgtheater
Finster war's, das Licht der Aufklärung schien auch nicht besonders helle: Bibiana Beglau (li.) ist als "Gräfin" der armen, blutenden Menschheit von Herzen zugetan.
Susanne Hassler-Smith

Transsylvanien, die urtümliche, hinter den schroffen Bergen Südosteuropas gelegene Heimat des Grafen Dracula, liegt kaum in Sichtweite des Burgtheaters. Wie viel leichter fällt es da, Bram Stokers vor Bedeutsamkeit strotzendes Dracula-Brimborium in die Theaterkiste zu packen und nach Wien zu verfrachten.

In der Burg hat man tatsächlich kein Mittel verschmäht, um die Vampirgeschichte – sie ist seit jeher ein gefundenes Fressen für die Kulturindustrie - ordentlich aufzublähen. Die herrliche Bibiana Beglau flimmert als "Gräfin" über die Schirme. "Das Phantom Nosferatu" sei immer schon da, spricht die Untote. In Wahrheit liegt sie, offenbar springlebendig, in ihrer komfortablen Gruft zu Grabe.

Besagtes Monstrum kann, wie die Produktion Nosferatu so eindrucksvoll wie niederschmetternd demonstriert, noch mehr. Es nistet in unseren Herzen, Hirnen und Eingeweiden. Und wie auf letzteres Stichwort hin erscheint auf der Leinwand ein symmetrisch gespiegelter Blondschopf. Aus der Mitte des zerstörten Gesichts tropft, in unversieglichem Strahl, hektoliterweise Blut.

Der Generalton dieses von Adena Jacobs (Regie) und Gerhild Steinbuch (Text) gemeinsam verbrochenen Abends ist somit vorgegeben. Mister Harker, der ausgerechnet nach Transsylvanien aufbricht, um Dracula eine englische Immobilie anzudrehen, ist eine Frau (Sylvie Rohrer). Diese trägt ein durchscheinendes Hemdchen und steht vor einer patenten, mehrstöckigen Scheune, die, wäre es nicht so europäisch finster, ideal ins sonnige Idaho passen würde (Bühne und Ausstattung: Eugyeene Teh).

Eine Art Sanatorium

Hier, im Dramaturginnen-Dunkel, ist besser Munkeln. Draculas Schloss birgt eine Art Sanatorium. In ihm ist die streng frisierte weibliche Ärzteschaft (Sabine Haupt), die Kladde in der Hand, nicht sehr aufopferungsvoll um das leibliche Wohl ihrer Patienten und Patientinnen bemüht. Es gibt eine Somnambule, obendrein einen Mann, der Fliegen verzehrt.

Derlei wertvolle Details muss der geneigte Zuschauer aus eigenen, freien Stücken beisteuern. In Schaukästen zucken malträtierte Körper, ein anderes Mal spannt ein Gehäuteter den Bizeps. Hier lauert das Böse immer und überall. Es schreibt sich in die Leiber ein, es prägt das Denken des positivistischen Zeitalters. Es ist, als ob alle Beteiligten das Proseminar eins in der Fachrichtung Michel Foucault („Bio-Macht und Sexualität“) soeben mit zufriedenstellendem Erfolg absolviert hätten.

Gerhild Steinbuchs neo-expressionistischer Text zirkuliert durch den zweistündigen Abend, durchblutet ihn jedoch nur unzulänglich. Die Wirbel ausgestorbener Lebewesen schmücken Schauspielerinnen und Statistinnen. Letztere hängen aus dem Schnürboden herab wie Archaeopteryxe.

Ein Strafgericht

Eine Verschwörung scheint im Gange. Die "Gräfin" (Beglau) hält im Brüllton Strafgericht über die Erdlinge, die ihre Außenseiterinnen in Begriffe zwängen und deren Körper in Kästen sperren. Es nützt alles nichts, ein bedauernswerter Burgschauspieler wie Markus Meyer muss den Kriechwurm spielen (alias Renfield). Der Vampirküsse werden zu viele gewechselt, und irgendwann möchte man nicht mehr entscheiden müssen, ob diese Küsse Bisse waren.

Dieser ebenso nachtfinstere wie blutunterlaufene Murks von einem Theaterabend versetzte den Großteil des Premierenpublikums in maßloses Erstaunen. Es vergaß zu applaudieren. (Ronald Pohl, 20.1.2024)