Die Landwirtschaftsminister mehrerer EU-Staaten warnen vor möglichen Risiken von im Labor gezüchtetem Fleisch. Beim EU-Ministerrat zu Landwirtschaft, der am Dienstag zusammentrifft, steht eine dementsprechende Erklärung auf der Tagesordnung, die von Österreich, Italien und Frankreich eingebracht und von neun weiteren Staaten unterstützt wird.

Darin fordern die Ministerinnen und Minister eine Folgenabschätzung und eine breite öffentliche Debatte, bevor Laborfleisch in der EU zugelassen wird. Zudem müsse es Transparenz bei der Kennzeichnung der neuartigen Produkte geben. "Fleisch muss Fleisch bleiben, so wie das Wort Milch nur für natürliche Milch verwendet werden darf", sagte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP).

Künstlich gezüchtetes Hühnerfleisch, hier bei einer Präsentation des Unternehmens Good Meat in den USA, ist bisher noch Mangelware.
APA/Getty Images via AFP/GETTY IMAGES/JUSTIN SULLIVAN

Laborrindfleisch in Israel zugelassen

Bei der Zulassung von sogenanntem kultiviertem Fleisch ist in den vergangenen Monaten einiges in Bewegung gekommen. Erst vor wenigen Tagen gab Israel dem Unternehmen Aleph Foods grünes Licht für den Verkauf von im Labor gezüchtetem Rindfleisch. Vergangenen Juni hat die US-Lebensmittelbehörde FDA den Produkten zweier Herstellen die Freigabe für künstlich hergestelltes Huhn erteilt.

Zuvor war Singapur seit 2020 das einzige Land, in dem kultiviertes Fleisch erhältlich war. Die produzierten Mengen sind allerdings noch so klein, dass nur ein einziges Restaurant in dem Stadtstaat Laborhuhn auf der Speisekarte führt – und selbst dort reicht das Angebot nur für sechs Portionen pro Woche.

Verbot in Italien, Aufruhr in Österreich

In der EU ist kultiviertes Fleisch bisher noch nicht zugelassen – trotzdem erhitzt es bereits seit Monaten die Gemüter. So haben etwa die Freiheitlichen Landwirte vergangene Woche bei ihrem Versuch, die Bauernproteste nach Österreich zu bringen, zu Demonstrationen gegen Laborfleisch aufgerufen. Italien hat als erstes europäisches Land die Herstellung und den Verkauf von Laborfleisch im November schon einmal präventiv verboten. Fleischimitate seien "ein Angriff auf die heimische Landwirtschaft", warnte auch Bauernbundpräsident Georg Strasser im Herbst.

Bereits zuvor hatte Landwirtschaftsminister Totschnig eine Debatte über strenge Transparenzvorschriften für kultiviertes Fleisch gefordert, das "nichts mit natürlichem Fleisch zu tun" habe. Mit Laborfleisch begebe man sich in die Abhängigkeit einer internationalen Großindustrie, wo Großkonzerne bestimmen würden, was auf den Teller kommt.

In eine ähnliche Kerbe schlägt das Dokument, das am Dienstag im Ministerrat diskutiert wird. Der Text, den Österreich federführend ausgearbeitet hat, warnt vor dem Verlust landwirtschaftlicher Strukturen und einer möglichen Gesundheitsgefährdung.

"Entspricht nicht Haltung der Regierung"

Die Agenden der Lebensmittelzulassung liegen in Österreich eigentlich beim Gesundheitsministerium. Dort betont man gegenüber dem STANDARD, dass bei beim Prüfverfahren der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde Gesundheit, Sicherheit und Transparenz ohnehin im Vordergrund stünden. Man sehe keinen Grund, dieser Prüfung im gewohnten Verfahren vorzugreifen. Und im Übrigen entspreche das Dokument nicht der Haltung der Bundesregierung, sondern des Landwirtschaftsministers.

In der Erklärung werden auch Bedenken geäußert, dass die Produktion von Laborfleisch gar nicht so klimafreundlich sein könnte wie erwartet. Bei der Kultivierung von Fleisch könnten 25-mal mehr Treibhausgase entstehen als bei der traditionellen Fleischproduktion, heißt es in dem Dokument, das auf eine Studie der University of California in Davis verweist, die bisher nicht peerreviewt wurde.

Bei der Produktion von einem Kilogramm Rindgleisch entstehen rund 20 bis 60 Kilogramm CO2.
IMAGO/Andia

Fragwürdige Ökobilanz

Die bisherigen Prognosen für die Klimabilanz von kultiviertem Fleisch gehen aber weit auseinander – und reichen von rund zwei bis 1.500 Kilogramm CO2-Äquivalente pro Kilogramm Laborfleisch, wobei letztere Zahl, die aus der im EU-Dokument zitierten Studie stammt, ein Ausreißer ist. Zum Vergleich: Ein Kilogramm Fleisch vom Schlachtrind kommt im Durchschnitt auf 20 bis 60 Kilogramm CO2. In Summe ist die Viehzucht für inzwischen 15 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich, Futter- und Weideland machen mehr als drei Viertel der landwirtschaftlich genutzten Fläche aus.

Wie nachhaltig kultiviertes Fleisch sein wird, hängt maßgeblich davon ab, wie rein die Stoffe sind, die in den Bioreaktoren landen, wo das künstliche Fleisch heranwächst. Derzeit nutzen Start-ups oft Gerätschaften und hochreine Chemikalien aus der medizinischen Forschung, wo die Methode, die heute für die Herstellung von Laborfleisch verwendet wird, ihren Ursprung hatte.

Kritik an Studie

Diese Feinchemikalien sind nicht nur um ein Vielfaches teurer, sondern auch viel energieaufwendiger in der Herstellung und verursachen laut der Studie bis zu 25-mal mehr CO2-Emissionen als Grundstoffe in der weniger reinen Lebensmittelqualität. Die Studie der UC Davis geht bei der Berechnung der Klimabilanz davon aus, dass auch in Zukunft Chemikalien von höherer Reinheit – und damit mit höherem CO2-Ausstoß – verwendet werden müssen.

Für die Herstellung von kultiviertem Fleisch werden derzeit oft hochreine Chemikalien verwendet, die teuer und CO2-intensiv in der Herstellung sind.
REUTERS

Dieser Annahme widersprechen Forscher der NGO Good Food Institute und des deutschen Chemiekonzerns Merck. In einem offenen Brief bringen sie vor, dass in Zukunft auch Grundstoffe geringerer Reinheitsstufen zum Einsatz kommen können – nur so könnte kultiviertes Fleisch auch preislich konkurrenzfähig sein.

Da bei Laborfleisch der Großteil der Emissionen auf die für den Prozess und die Herstellung der Chemikalien notwendige Energie entfällt, ist dieser besonders relevant für die Berechnung der Klimabilanz. In der Analyse der UC Davis werde ein zu schmutziger Energiemix angenommen, bemängeln die beiden Forschenden in ihrem offenen Brief.

Zulassungsantrag in der Schweiz

Die beim EU-Ministerrat eingebrachte Erklärung verbreite Desinformation über kultiviertes Fleisch und untergrabe das Vertrauen in die Novel-Food-Regulierung der EU, heißt es von Ivo Rzegotta, Public-Affairs-Manager beim Good Food Institute, gegenüber dem STANDARD. Für die Zulassung von Lebensmitteln wie kultiviertem Fleisch dürften einzig Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz ausschlaggebend sein, protektionistische Erwägungen einzelner Mitgliedsstaaten dürften keine Rolle spielen.

Während die EU-Staaten noch nach einer einheitlichen Linie zu Laborfleisch suchen – die Niederlande etwa fördern den Sektor aktiv –, beschäftigt kultiviertes Fleisch bereits die Schweizer Behörden. Dort hat das israelische Unternehmen Aleph Farms vergangenen Juli eine Zulassung für seine künstlichen Rinderfiletstreifen beantragt. (Philip Pramer, 23.1.2024)