In seinem kürzlich erschienenen, erschütternden und zugleich lehrreichen Werk Todeswalzer – Der Sommer 1944 (Verlag dtv) beschreibt der deutsche Publizist Christian Bommarius, wie in den zehn Monaten vom gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler bis zum Kriegsende mehr Menschen starben als in den fünf Jahren zuvor. Zum Schluss der spannenden Geschichte ruft er den höhnischen Artikel von Goebbels mit dem Titel Die Dummheit der Demokratie aus dem Jahr 1935 in Erinnerung, wonach die Demokratie "ihren Todfeinden (den NSDAP-Abgeordneten, Anm.) die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde (…). Aus der demokratischen Dummheit ließ sich vortrefflich Kapital schlagen."

FPÖ-Chef Herbert Kickl
Die Begriffe, die FPÖ-Chef Herbert Kickl verwendet, dürfen nicht bagatellisiert werden.
APA/EVA MANHART

Wohl angesichts des Aufstiegs der (zum Teil) rechtsextremen AfD in Deutschland stellt der Autor fest, der Selbstmord gehöre nicht zum Wesen der Demokratie: "Wer nicht gezwungen sein will, irgendwann den Todeswalzer zu tanzen, kann nicht aufmerksam genug sein. Wir sind gewarnt."

Die von Hans Rauscher zusammengestellten Zitate zu den auffälligen Parallelen zwischen der Rhetorik von Herbert Kickl und den Begriffen nationalsozialistischen Vokabulars bestätigen den Eindruck eines Schattens von Goebbels auch über der politischen Lage in Österreich. Der Autor des grundlegenden Buches Die deutsche Diktatur (1969), der bedeutende Historiker Karl Dietrich Bracher, warnte in seiner Studie über Schlüsselwörter der Geschichte (1978), dass Gebrauch und Missbrauch der Worte und Parolen ein wesentliches Element des Kampfes um Macht, Ordnung und Freiheit ist.

Deshalb darf man die von FPÖ-Obmann Kickl verwendeten Begriffe, wie "Volkskanzler statt Kanzler des Systems", "lange Fahndungsliste der Volksverräter", "keine Scheu, sich mit dem System anzulegen", "Erlösung ist in Sicht von den Peinigern und Unterdrückern in den Regierungsämtern", "sich mit dem System anzulegen" nicht bagatellisieren.

Wortmanipulation

Die Sprache als Waffe und Herrschaftsmittel hat bei der Eroberung der Macht und der Stabilisierung der NS-Diktatur eine erstrangige Bedeutung gehabt. Die österreichische Gesellschaft erwies sich auch zur Zeit Jörg Haiders und H.-C. Straches an der Spitze der FPÖ anfällig für die Wortmanipulation und die Verheißung totaler Lösungen für alle Probleme. Im Hintergrund bei der virtuosen Handhabung neuer Techniken der Meinungsmanipulation hatte Kickl seit fast drei Jahrzehnten in der FPÖ eine prägende Rolle gespielt.

Die letzten Umfragen scheinen einen erfolgreichen Marsch durch die Wörter als Vorstufe zum geplanten Marsch durch die Institutionen zu bestätigen. Als Innenminister (Dezember 2017 bis Mai 2019) lieferte Kickl auch international verurteilte Beweise dafür, dass er nicht nur bei der Handhabung bestimmter Begriffe keine Grenzen kennt.

Es gilt, die Worte seiner hochmütigen Verdammung des klassischen Kompromissprozesses und der kompromissfördernden Diskussion der Zweiten Republik immer wieder "beim Wort zu nehmen". Die Wachsamkeit gegenüber der totalitären Versuchung durch die suggestive Verführungskraft der Fiktion der völligen Identität von Volk und Führung gehört zum Selbstverständnis der liberalen Demokratie. (Paul Lendvai, 23.1.2024)