Bedenklich oft wird man dieser Tage mit Menschen konfrontiert, die darlegen, dass sie sich aus den aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Diskursen verabschiedet haben. Vielfach sind es Bekannte oder Freundinnen und Freunde. "Ich will das nicht mehr hören", sagen sie – oder auch: "Ich kann das nicht mehr hören." Letzteres etwa Personen, die es aufgrund ihrer Biografie persönlich trifft, wenn in der leider oft üblichen Brutalo-Manier zum Beispiel über den Nahostkonflikt gestritten wird.

Seine Partei könnte massiv gestärkt aus der Wahl gehen: FPÖ-Chef Herbert Kickl.
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Bei diesen früher politisch durchaus interessierten Menschen ist aber auch einfach Resignation zu spüren. Es gehe derzeit fast alles in die falsche Richtung, sagen sie. In Österreich Kickl, in den USA Trump ante portas, in Russland Putin ohne Ende, überhaupt Nationalismen und Kriegsgefahren allenthalben. Autoritarismus und Faschismus seien ganz offenbar nicht aufzuhalten, daher kümmere man sich lieber um die eigene Familie, um Haus und Hund.

Keine Einzelphänomene

Nun hat es immer wieder Wellen solcher Rückzüge von einer als grausam und unveränderbar gesehenen Welt und von den handelnden Politikern gegeben. Auch sind das keine Einzelphänomene, wie das laut Umfragen in Österreich seit 2020 kontinuierlich gesunkene Vertrauen in die Politik zeigt.

Doch der Zeitpunkt für ein solches Biedermeier 2.0 könnte nicht schlechter gewählt sein. Politisch mitzudenken ist heute wichtiger als seit vielen Jahrzehnten. Nicht zufällig wird 2024 als Jahr grundlegender politischer Weichenstellung bezeichnet, in dem es statt Abkehr Wachheit braucht, gepaart mit der Bereitschaft, die oft komplexen Ursachen für Fehlentwicklungen zu durchdenken und sich entsprechend zu entscheiden.

Denn ob es nun um die Erderhitzung oder um den Umgang mit der Migration geht, oder um Antworten auf die immer bedrohlicheren Pläne Rechtsextremer mit direktem Draht in die FPÖ: Wer sich von diesen Problemen abwendet, räumt das Feld für Scheinpolitiken, die das Verhängnis nur weiter vertiefen werden.

Massive Rückschritte

Er oder sie wird in der Folge die Konsequenzen der eigenen Passivität hinnehmen müssen. Das kann auch ins Persönliche gehen: Autoritäre Politik hat die Eigenschaft, einen Gesellschaftsbereich nach dem anderen zu besetzen und nach ihren Plänen zu verändern. Wie schwer es später ist, einen solchen Umbau wieder rückgängig zu machen, zeigt sich derzeit etwa an dem Ringen um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Polen.

In Österreich könnte eine massiv gestärkte FPÖ in einer künftigen Bundesregierung zum Beispiel versuchen, identitär inspirierte Gesetzesänderungen zu pushen, um Einwanderer zum Verlassen des Landes zu drängen – etwa durch Assimilationstests bei Strafe von Sozialleistungsentzug. Wirklich weggehen würde dadurch wohl fast niemand, aber weit mehr Menschen als jetzt würden unter die Armutsgrenze gedrückt werden. Und sie würden sich mit einigem Recht wohl auch ihrerseits noch weiter von der Allgemeinheit abschotten.

Dass es so kommen kann, ist keine Fantasie. Aus der FPÖ ertönt derlei schon jetzt – und sie ist, was das Erreichen ihrer Ziele angeht, siegessicher. Um massive Rückschritte abzuwenden, hilft daher nur: sich einmischen und Menschen, die sich abgewendet haben, tunlichst wieder zurückholen. (Irene Brickner, 20.1.2024)