Nach mehreren Regierungsbeteiligungen auf Landesebene will Parteichef Herbert Kickl mit seiner FPÖ in diesem Jahr auch auf Bundesebene hoch hinaus.
derStandard/Friesenbichler Fotos: APA (3), Imago (4)

Während manche angesichts vielversprechender Umfragewerte für die FPÖ den Tag der Nationalratswahl erwartungsvoll herbeisehnen, ist es für viele das Horrorszenario schlechthin: Denn wenn nicht doch noch etwas Unerwartetes geschieht, ein nicht vorherzusehendes Thema aufkommt, ein Skandal publik wird, der die FPÖ erschüttert, oder die Aufholjagd von SPÖ-Chef Andreas Babler beziehungsweise ÖVP-Obmann und Kanzler Karl Nehammer von Erfolg gekrönt ist, werden die Freiheitlichen mit Herbert Kickl an der Spitze als Erste über die Ziellinie gehen.

Nach Wahlerfolgen im Vorjahr, die der FPÖ zwei weitere Regierungsbeteiligungen auf Landesebene beschert haben, sind die Freiheitlichen in diesem Jahr drauf und dran, diesen Weg auch auf Bundesebene zu gehen. Für blauen Rückenwind sorgen auch die Umfragen: Seit über einem Jahr hat sich die FPÖ bei rund 30 Prozent auf Platz eins einzementiert. Und derzeit zeichnet sich nicht einmal ansatzweise ab, dass daran noch zu rütteln ist. SPÖ und ÖVP kämpfen abgeschlagen um Platz zwei.

Am Samstag schwört die Partei bei ihrem traditionellen Neujahrsempfang, der diesmal in der Steiermark über die Bühne gehen wird, ihre Basis auf die bevorstehenden Wahlkämpfe in diesem für die Partei vielversprechenden Wahljahr ein. So viel lässt sich getrost schon jetzt prophezeien: Die Stimmung dort wird prächtig sein, schließlich ist der Wahlsieg zum Greifen nahe und auch der Kanzleranspruch kein blaues Luftschloss mehr.

Doch noch wäre es verfrüht, in vorzeitigen Siegestaumel zu verfallen. Denn bis zu einem Wahlsieg oder gar einer Regierungsbeteiligung samt Kanzlersessel hat die FPÖ gleich mehrere Hürden zu nehmen. Ein Überblick über sechs mögliche Stolpersteine, die den haushohen Wahlsieg von Kickl und seiner FPÖ doch noch ausbremsen und eine blaue Regierungsbeteiligung vereiteln könnten.

1. Tickende Zeitbomben

Eine Parteispitze, die in einer Finca auf einer Mittelmeerinsel Korruptionsfantasien äußert und dabei heimlich gefilmt wird. Hochrangige aktive oder ehemalige Blaue, die im Verdacht stehen, sich mit Parteigeldern selbst bereichert zu haben. Aktive Freiheitliche oder blaue Altpolitiker, die mit abenteuerlichen Reiseaktivitäten für Empörung und mitunter für diplomatische Eklats sorgen. Außerdem eine schier unendlich lange Liste rechter "Einzelfälle", die sich wie ein blauer Faden durch die gesamte Partei ziehen – ob Liederbücher mit antisemitischen Texten, Nazi-Postings auf Social Media oder Kontakte zu Neonazis.

Innerhalb der FPÖ ticken politische Zeitbomben, die dem Parteichef jederzeit und unvermittelt in diesem so wichtigen Wahljahr zum Verhängnis werden oder ihm zumindest Schaden zufügen könnten. Das weiß auch Herbert Kickl. Um Malversationen Einhalt zu gebieten, sind seit dem Vorjahr Compliance-Richtlinien in Kraft, die für mehr Transparenz in Sachen Parteifinanzen sorgen sollen. Außerdem müssen Abgeordnete und Funktionäre Trips ins Ausland künftig melden. Mit Maßnahmen wie diesen lassen sich unerwünschte negative Schlagzeilen verringern, aber eben nicht gänzlich verhindern.

Weniger schaden dürfte der FPÖ hingegen ihr Kuschelkurs mit Rechtsextremen. So hat die FPÖ unter Kickl ihre Abgrenzung von der Identitären Bewegung wieder aufgegeben. Er nannte die rechtsextreme Gruppierung etwa ein "unterstützenswertes Projekt" und "eine NGO von rechts".

Für Empörung sorgt in diesem Zusammenhang aktuell eine vor Wochen stattgefunden habende und erst diese Woche publik gewordene Konferenz im deutschen Potsdam, an der Vertreter der Alternative für Deutschland (AfD) und bekannte Rechtsextreme teilgenommen haben. Darunter der einstige Identitären-Chef Martin Sellner, der dort sein Konzept der "Remigration" vorgestellt haben soll – eine Art Masterplan zur verfassungswidrigen Deportation von Menschen nach Afrika. Kickl verteidigte das Treffen am Mittwoch in der ZiB 2 und sagte, dass er "eine Rechtslage herstellen" wolle, um missliebigen, aber bereits eingebürgerten Personen die österreichische Staatsbürgerschaft wieder zu entziehen.

2. Interne Widersacher

Sie sind leise geworden, sehr leise, fast schon verstummt, aber es gibt sie noch: jene Kräfte in der FPÖ, die mit Kickl als Parteichef nach wie vor keine Freude haben. Sie machen hinter vorgehaltener Hand, fast unbemerkt, aber munter Stimmung gegen ihn. Es sind jene Kräfte in der Partei, die zunächst der Meinung waren, mit Kickls radikalem und unerbittlichem Kurs seien keine Wahlen zu gewinnen, und nunmehr monieren, der Parteichef würde die FPÖ mit seiner konfrontativen, Grenzen überschreitenden Art noch um die Kanzlerschaft bringen.

Derzeit ist Kickl stark wie nie, das hält auch seine Kritiker im Zaum. Die Partei tritt geschlossen auf, Konflikte dringen nur äußerst selten nach außen. Dass dennoch nicht alles eitel Wonne ist, zeigte sich etwa im Sommer des Vorjahres, als es im Zuge der Debatte über die Erhöhung der Politikergehälter zu einer öffentlichen Auseinandersetzung zwischen Kickl und zwei Landesparteichefs gekommen war. Unterlaufen Kickl Patzer oder tun sich Themen auf, bei denen Parteifreunde dessen Linie nicht mittragen, könnte die Kritik an ihm sehr schnell wieder lauter werden. Oder weitere Konflikte kommen auf. Unvollständig abgelöschte Brandherde können schließlich jederzeit wieder aufflammen.

3. Erfolglose Partnersuche

Ein Wahlsieg der FPÖ ist aus heutiger Sicht zwar wahrscheinlich, von einer absoluten Mehrheit ist die Partei allerdings auch in Umfragen meilenweit entfernt. Will die FPÖ also in Regierungsverantwortung kommen, braucht sie dafür einen Partner. Ein solcher ist derzeit nicht in Sicht. Die SPÖ schloss eine Koalition mit der FPÖ aus, die ÖVP kann sich eine solche zwar vorstellen, aber keinesfalls mit Kickl, wie man in der Volkspartei von der Parteispitze abwärts nicht müde wird zu betonen.

Bei den Freiheitlichen sieht man dieses Thema zwiegespalten. Da gibt es jene, die überhaupt keine Zweifel daran haben, dass sich nach den Wahlen ein Koalitionspartner finden lässt. Schließlich hätten sich auch die Parteispitzen der Volkspartei in Niederösterreich und Salzburg im Vorfeld der Wahl gegen eine Koalition mit der FPÖ ausgesprochen und letztendlich doch einen schwarz-blauen Pakt geschlossen. Manche Freiheitliche sind davon überzeugt, dass es im Bund nicht anders laufen wird.

Andere wiederum sehen die Sache nicht so entspannt. "Nach der Nationalratswahl wird es zu einer Koalition der Anständigen kommen – und da werden wir ganz sicher nicht dabei sein", sagt ein Freiheitlicher im STANDARD-Gespräch. Was er nicht ausspricht, aber mitschwingt: Er hält die FPÖ für nicht anständig genug, um auf Bundesebene als Koalitionspartner infrage zu kommen. Außerdem rechnet er damit, dass es nach der Wahl nur noch darum gehen werde, Kickl als Kanzler zu verhindern und es deshalb zu einer Koalitionsvariante ohne die FPÖ kommen werde.

4. Veto des Präsidenten

Der Bundespräsident muss dem Wahlsieger weder einen Auftrag zur Regierungsbildung erteilen, noch ihn als Kanzler angeloben. Alexander Van der Bellen hatte ziemlich genau vor einem Jahr in einem Interview auch angedeutet, im Falle eines Wahlsiegs der Freiheitlichen Kickl nicht automatisch diesen Auftrag geben zu wollen. Das Staatsoberhaupt ließ außerdem offen, ob er ihn als Kanzler angeloben würde. Laut Verfassung hat der Präsident jedenfalls freie Hand, wen er zum Kanzler bestellt.

Könnte Van der Bellen also durch ein Veto Kickls "Volkskanzler"-Träumen einen jähen Strich durch die Rechnung machen? Nicht unbedingt. Denn einen Auftrag zur Regierungsbildung braucht Kickl nicht zwingend – dieser ist zwar gelebte Praxis, aber keine Vorschrift der Verfassung. Letztendlich muss Van der Bellen jemanden zum Kanzler machen, der eine Mehrheit im Nationalrat hinter sich hat. Sollte die FPÖ eine solche bilden können, fiele es dem Präsidenten realpolitisch schwer, einer Parlamentsmehrheit den Wunsch nach einer bestimmten Regierung zu verwehren.

5. Blaue Finanzaffären

Auch eine Altlast holt die Partei immer wieder ein: die blaue Spesenaffäre. Seit mehr als vier Jahren nimmt die Staatsanwaltschaft Wien das "System Strache" unter die Lupe. Das sorgt regelmäßig für neue negative Schlagzeilen. Der über das Ibiza-Video gestolperte und letztlich aus der Partei geworfene Ex-FPÖ-Chef wird verdächtigt, länger als ein Jahrzehnt lang sein Privatleben in großem Umfang mit Parteigeldern finanziert zu haben. Und zwar, indem er und manche seiner ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter private Rechnungen durch Scheinbelege als berufliche Spesen deklariert haben sollen. Außerdem geht es um die Frage, ob die Partei Strache weitere Ausgaben mit ihren Mitteln beglichen hat, etwa Zuschüsse für mehrere Wohnsitze.

Auch andere Kader, vor allem solche der Wiener FPÖ, stehen im Verdacht, sich am Parteivermögen bedient sowie derartige Praktiken gedeckt oder abgesegnet zu haben. So werden Harald Vilimsky, der zum dritten Mal als Spitzenkandidat in die EU-Wahl ziehen wird, oder Landesparteichef Dominik Nepp als Beschuldigte geführt. Sie alle bestreiten die Vorwürfe vehement, es gilt die Unschuldsvermutung.

Ähnlich ist die Situation in der Steiermark im Zuge des Finanzskandals rund um veruntreute Klubgelder in Graz. Es geht um Fördermittel in der Höhe von fast zwei Millionen Euro, die in die Taschen blauer Politiker geflossen sein sollen. Seit zwei Jahren ermittelt die Justiz gegen ehemals hochrangige Vertreter der Stadtpartei. Unter den Beschuldigten sind der ehemalige blaue Vizebürgermeister von Graz, Mario Eustacchio, sowie der frühere Klubobmann Armin Sippel. Im Zuge der Ermittlungen wurde im Vorjahr auch Landesparteiobmann Mario Kunasek in die Liste der Beschuldigten aufgenommen. Einen Fokus auf diesen Finanzkrimi will nun auch die ÖVP in dem von ihr initiierten U-Ausschuss zum "rot-blauen Machtmissbrauch" legen, in den unter anderem Kunasek als Auskunftsperson geladen wird.

6. Neuer Skandal

Apropos U-Ausschuss: Überhaupt will die ÖVP angebliche Machenschaften, unter anderem die ihres früheren Koalitionspartners FPÖ, beleuchten. Der Fokus soll auf blaue Ex-Minister gelegt werden, die heute noch politisch aktiv sind. Darunter neben Kunasek, der einst Verteidigungsminister war, auch auf den einstigen Innenminister Kickl und den früheren Verkehrsminister Norbert Hofer, der heute Dritter Nationalratspräsident ist. Die Volkspartei plant in diesem Zusammenhang, etliche heikle Causen aus der Vergangenheit aus der Schublade zu holen – in der Hoffnung, dass neue Details zu alten Skandalen für Aufregung sorgen und negativ auf die FPÖ zurückfallen werden. Gelingt das Ansinnen, könnten die Freiheitlichen da oder dort ordentlich in Erklärungsnot geraten.

Und dann wäre da noch eine große Unbekannte: Wahlkampfzeiten sind in der Regel Phasen, in denen politische Gegner einander mit Schmutz bewerfen und offene Rechnungen begleichen. Haben Kickl, sein Umfeld oder andere federführende Freiheitliche Dreck am Stecken, kommen derlei Dinge meist im Vorfeld von Wahlen ans Tageslicht. Je nachdem, worum es geht, könnte das die FPÖ – und das gilt natürlich auch für jede andere Partei, die mit einem Skandal kurz vor einem Urnengang zu kämpfen hat – bei der Wahl mehrere Prozentpunkte kosten. (Sandra Schieder, 13.1.2024)