Ein Bild aus vergangenen Tagen: Im Jahr 2010 war Herbert Kickl Generalsekretär, Heinz-Christian Strache Parteichef und Hilmar Kabas Straches Vorgänger als Wiener Landesparteichef.
GEORG HOCHMUTH / APA / picturede

Mitten in den Liechtensteiner Sommerferien traf im Fürstentum ein heikles Ersuchen aus dem Nachbarland Österreich ein. "Die Staatsanwaltschaft Wien beehrt sich, das Amt für Justiz in Vaduz um die Gewährung von Rechtshilfe zu ersuchen", heißt es einleitend in dem Schreiben vom 28. Juli 2023.

Was die Ermittlerinnen und Ermittler auf den folgenden 15 Seiten dokumentieren, birgt große Brisanz für die FPÖ. Die Staatsanwaltschaft Wien, die sich seit Jahren durch die blaue Spesenaffäre wühlt, ist dabei, einen bislang unbekannten Strang des verworrenen Komplexes freizulegen: Wieder ist der frühere FPÖ-Chef und inzwischen aus der Partei geworfene Heinz-Christian Strache zentral involviert – aber nicht nur er. Auch der frühere FPÖ-Spitzenfunktionär Hilmar Kabas scheint darin verstrickt zu sein. Der in seinen Reihen angesehene Politveteran trägt den klingenden Titel "FPÖ-Ehrenobmann" und vertritt seine Partei in Talkshows.

Wie bei der um Strache schwelenden Spesenaffäre steht der Verdacht im Raum, dass hohe Summen aus dem Parteivermögen unrechtmäßig an FPÖ-Politiker geflossen sein könnten – diesmal über das für diskrete Finanzgeschäfte bekannte Liechtenstein.

Aus den Unterlagen, die STANDARD und Spiegel vorliegen, geht allerhand hervor: Die Wiener FPÖ pumpte demnach viel Geld in Lebens- und Rentenversicherungen für ihre beiden früheren Frontmänner Strache und Kabas. In Summe geht es um einen Millionenbetrag.

Für Kabas wurde die Versicherung am 27. Februar 2001 abgeschlossen, wenige Monate vor der Einführung des Euro. Als Rentenbeginn ist der 1. März 2007 angeführt – "mit Einmalprämie von 12.189.472,– österreichische Schilling", heißt es in einem Anlassbericht des Bundeskriminalamtes.

Entsprechend stellt die Staatsanwaltschaft Wien in ihrem Schreiben nach Liechtenstein fest: Es sei "keine sachliche Rechtfertigung dafür erkennbar", warum die blaue Landesgruppe Kabas "eine Rente im Wert von rund einer Million Euro ohne erkennbare Gegenleistung zukommen ließ".

"Befugnis wissentlich missbraucht"

In einer ähnlichen Dimension bewegt sich laut vorliegenden Dokumenten auch die Summe im Fall von Strache. Für diesen wurde die Versicherung am 1. Oktober 2007 abgeschlossen, als Rentenbeginn ist der 1. Oktober 2017 angeführt. In einem "Nachtrag" zur Versicherung vom 25. Februar 2016 ist etwa ersichtlich, dass sich die Prämie für ihn damals auf 910.389,42 Euro beläuft.

Wichtig ist wohl auch eine am 16. April 2014 schriftlich niedergelegte "Vereinbarung" zwischen dem damaligen FPÖ-Chef und der Wiener Landespartei, der Strache zu diesem Zeitpunkt ebenfalls vorsteht. Aus dem Papier geht hervor, dass "die Laufzeit der Lebensversicherung einer Erneuerung zugeführt wird" und im Jahr 2027 schließlich der "abgereifte Versicherungswert endgültig und unwiderruflich Herrn Heinz-Christian Strache zusteht". Ob diese "Vereinbarung" auch tatsächlich der Versicherung mitgeteilt wurde, ist offen.

In dem Rechtshilfeersuchen der Wiener Ermittlerinnen und Ermittler an die Liechtensteiner Kolleginnen und Kollegen ist davon die Rede, dass Strache und Kabas "ihre Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich missbraucht" hätten. Dadurch hätten sie die Wiener FPÖ geschädigt, "wobei sie durch die Tat einen € 300.000,– übersteigenden Schaden herbeiführten". Gegen Strache und Kabas besteht deshalb der Verdacht der Untreue als Beteiligte.

Wäre Kabas verstorben, hätte die Wiener FPÖ das Geld erhalten, im Fall von Strache jedoch nahe Angehörige. Es sei "keine sachliche Rechtfertigung dafür erkennbar", warum die FPÖ Wien "aus ihrem Parteivermögen die Prämie einer Lebens- und Rentenversicherung zahlte, bei der im Falle des Ablebens der versicherten Person nicht die Partei, sondern nahe Angehörige der versicherten Person bezugsberechtigt waren", heißt es.

Der Landespartei seien "damit Kosten zur Abdeckung eines Versicherungsrisikos" entstanden, "nämlich des (vorzeitigen) Ablebens ihres Parteiobmannes, bei dessen Eintreten die Partei keinerlei Leistungen aus dem abgeschlossenen Versicherungsvertrag erhalten hätte, sondern diese zur Gänze Dritten zugutegekommen wären".

Ersuchen um Sicherstellungen

Bekanntlich sind bislang weder Kabas gestorben, der 2005 interimistisch auch die Bundespartei führte, noch Strache, der anschließend die FPÖ-Obmannschaft antrat, bis ihn im Mai 2019 das Ibiza-Video aus allen politischen Funktionen fegte. Im Überlebensfall war in beiden Fällen nicht geplant, dass das von der Wiener FPÖ in die Versicherungen gesteckte Geld zurück an die Parteikasse überwiesen wird – sondern eben an Strache und Kabas.

Inzwischen scheint ein Großteil des Geldes des Ende 2019 aus der FPÖ ausgeschlossenen Strache abgeflossen zu sein – das geht aus einer Auszahlungsbestätigung, die STANDARD und Spiegel vorliegt, hervor: Am 9. November 2021 wurden demnach mehr als 830.000 Euro ausbezahlt. Und zwar nicht an Strache, sondern an die FPÖ Wien. In einer E-Mail schreibt Ulrike Nittmann, Finanzreferentin der Wiener FPÖ, am 12. 4. 2023 an das Bundeskriminalamt, dass die Versicherungssumme "weder an Strache noch an eine von ihm namhaft gemachte Person weitergeleitet worden" sei. Eine Frage an die Wiener FPÖ, warum das Geld entgegen der mit Strache getroffenen "Vereinbarung" nicht an diesen geflossen ist, blieb unbeantwortet.

Strache äußert sich bislang nicht zu der Causa, eine Anfrage ließ der frühere Vizekanzler unbeantwortet. Kabas ließ auf Anfrage lediglich über einen Anwalt ausrichten, dass er "keinerlei Zahlungen" aus einer Lebens- oder Rentenversicherung erhalten habe. Unklar ist, ob der Rentenbeginn tatsächlich mit 1. März 2007 erfolgt ist und wer in diesem Fall das Geld erhalten hat.

Um den Sachverhalt vollständig aufzuklären, benötigt die Staatsanwaltschaft nun weiteres Material. Darum bitten die Ermittlerinnen und Ermittler das Liechtensteiner Justizamt in dem Rechtshilfeersuchen, entsprechend tätig zu werden. Die Behörde des westlichen Nachbarlandes soll demnach bei jenen Versicherungsanstalten, bei denen einst die Versicherungen für Strache und Kabas abgeschlossen wurden, sämtliche Unterlagen sicherstellen.

Was darunter zu verstehen ist, führen die Ermittlerinnen und Ermittler detailliert aus: alle Verträge und Zusatzverträge, die Identitätsnachweise der Vertragsparteien, dazu Angebote, Polizzen und Nachtragspolizzen, Ein- und Auszahlungsbestätigungen sowie sämtlicher Schriftverkehr der Vertragsparteien. Die Wiener FPÖ habe "bereits sämtliche Unterlagen" vorgelegt, über die sie zu den beiden angeführten Versicherungen verfügte, ist dem Schreiben zu entnehmen. Wie viele Dokumente überhaupt noch existieren, ist unklar – schließlich hat die Wiener FPÖ vor einiger Zeit große Teile ihrer Buchhaltung vor 2019 vernichtet, wie STANDARD und Spiegel im Juli enthüllten.

Außerdem ersuchte die Staatsanwaltschaft Wien die Liechtensteiner Amtskolleginnen und -kollegen, Auskünfte – etwa durch Zeugenvernehmung – dazu einzuholen, ob Strache oder Kabas eine Rente aus der Versicherung beziehen.

Doch es gibt noch weitere offene Fragen: Wer hat die Versicherungskonstrukte im fernen Fürstentum überhaupt ermöglicht und abgesegnet, wer wusste davon? Die Behörden hegen auf jeden Fall einen Anfangsverdacht wegen Untreue gegen in die Causa involvierte Freiheitliche. Es handelt sich um früher durchaus namhafte FPÖ-Kader. Anfragen des STANDARD und Spiegel blieben auch in diesen Fällen bislang unbeantwortet.

Und die Causa könnte sich sogar noch ausweiten. Die Wiener Strafverfolgerinnen und -verfolger schreiben von weiteren bislang unbekannten Personen, die möglicherweise in die Fälle verstrickt seien. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Aus Finanzgebaren gelernt

Die Spesenaffäre hat sich somit ein weiteres Mal ausgeweitet. Längst geht es nicht nur um den Vorwurf gegen Strache, dass er in seiner Obmannschaft sein Privatleben in großem Umfang mit Parteigeldern kofinanziert hat. Inzwischen gelten nicht nur frühere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder Leibwächter Straches als Beschuldigte, sondern auch aktive FPÖ-Größen wie der Wiener Landesparteichef Dominik Nepp und Harald Vilimsky, der designierte Spitzenkandidat für die EU-Wahl. Für sie alle gilt die Unschuldsvermutung.

Immerhin scheint die aktuelle Führungsriege der Wiener FPÖ aus dem früheren Finanzgebaren gelernt zu haben. Auf die Frage, ob die Landespartei für den aktuellen Obmann Nepp eine Altersvorsorge der besonderen Art finanziert, ließ dieser über seinen Anwalt erklären: Für seinen Mandanten habe die Partei keine Lebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen. (Oliver Das Gupta, Sandra Schieder, 2.11.2023)