Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp werden als Beschuldigte in der Spesenaffäre geführt.
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Die Sache erinnert ein wenig an die ÖVP-Schredderaffäre. Ein Mitarbeiter des damaligen Kanzlers Sebastian Kurz hatte Festplatten aus dem Kanzleramt vernichten lassen – und das unter falschem Namen und ohne die Rechnung zu bezahlen. Auch an den "Es ist nichts mehr da"-Sager der Vize-Generalsekretärin unter Kurz, Gaby Schwarz, könnte man denken. Sie richtete den Korruptionsjägern in einer Pressekonferenz aus, dass sie bei einer Razzia erfolglos suchen würden.

Nun sind es die Freiheitlichen, die mit einer heiklen Beseitigung wichtiger Papiere auffallen. Nach Informationen von STANDARD und "Spiegel" ließ die Wiener Landespartei die Buchhaltung mehrerer Jahre bemerkenswert früh vernichten.

Angeblicher Platzmangel

Das hat die FPÖ-Politikerin Ulrike Nittmann im August 2022 bei einer Zeugeneinvernahme vor der Staatsanwaltschaft Wien ausgesagt. Das Protokoll liegt dem STANDARD vor. Grund für ihre Aussage war die seit 2019 schwelende Spesenaffäre der Wiener Blauen, in deren Zentrum sich Heinz-Christian Strache befindet. Der langjährige Bundesparteiobmann steht im Verdacht, dass er sich private Ausgaben mit Parteigeldern hat erstatten lassen.

Was die FPÖ-Finanzreferentin Nittmann aussagte, dürfte die Ermittler erstaunt haben: Demnach seien wesentliche Teile der Buchhaltung vernichtet worden – angeblich aus Platzmangel. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer hätten das Material zuvor durchgesehen, erklärte Nittmann, das Material sei "nicht mehr relevant für uns" gewesen. Ausnahme: die Papiere, die im Zusammenhang mit Strache stehen und diesen möglicherweise belasten könnten. Der frühere Parteichef war nach der Ibiza-Affäre im Mai 2019 als Vizekanzler und FPÖ-Chef zurückgetreten, ein halbes Jahr später folgte der Parteiausschluss.

Unterlagen entsorgt

Seitdem hat sich die Spesenaffäre deutlich ausgeweitet. Auch andere Kader der Wiener FPÖ stehen im Verdacht, sich am Parteivermögen bedient zu haben oder derartige Praktiken gedeckt oder abgesegnet zu haben. Ermittelt wird unter anderem gegen Wiener Landesparteichef Dominik Nepp und den EU-Abgeordneten Harald Vilimsky.

Zufall oder nicht: Die Vernichtung der Buchhaltung bekommt zusätzliche Brisanz, weil Nittmann sich Ende 2021 mit Nepp, Vilimsky und dem Wiener Klubobmann Maximilian Krauss über den Verbleib der Unterlagen beraten hat. Bedenken scheint niemand gehabt zu haben, zumindest erwähnt Nittmann nichts davon bei ihrer Vernehmung. Im Jänner 2022 wurden die Unterlagen dann entsorgt.

Kein Gesetzesbruch

Die Ermittler wollten von Nittmann wissen, ob die gesetzliche Aufbewahrungsfrist von sieben Jahren bedacht worden sei – denn an dieser orientiere man sich in der FPÖ laut Bundesgeschäftsordnung. Die Finanzreferentin und Juristin erklärte darauf, "dass mir diese Bundesgeschäftsordnung nicht bekannt war". Auch in einem weiteren Aspekt ist die Unkenntnis Nittmanns bemerkenswert: Auf die Frage, warum die Durchschriften der Kassaberichte ab November 2015 fehlen, weiß sie keine Antwort.

Gegen das Parteiengesetz hat die FPÖ Wien damit nicht verstoßen, erklärt Parteienfinanzierungsexperte Hubert Sickinger. Das Parteiengesetz sieht nämlich erst seit einer Novelle im Juli des Vorjahres eine Aufbewahrungsfrist von sieben Jahren vor. Dem Steuerrecht, in dem ebenfalls eine Aufbewahrungspflicht von sieben Jahren enthalten ist, unterliegen politische Parteien wiederum nicht, sagt Peter Wundsam, Managing Partner von Mazars Austria. Es sei denn, diese wären wirtschaftlich tätig.

Keine Reaktionen

Sämtliche Protagonisten wurden jedenfalls vom STANDARD mit der Aussage Nittmanns konfrontiert – allerdings reagierte weder Nittmann noch Nepp, Krauss oder Vilimsky auf Anfragen. Warum tatsächlich beschlossen wurde, wesentliche Unterlagen zur Buchhaltung zu vernichten, bleibt also genauso offen wie die Frage, ob zuvor bereits wichtige Unterlagen zur Buchhaltung im Schredder landeten.

Johann Gudenus, der Vorgänger Nepps als Wiener FPÖ-Frontmann, wollte sich ebenfalls nicht zu der Causa äußern. Ähnlich wortkarg reagierte der inzwischen aus der Partei ausgeschlossene frühere Oberblaue Strache, der alle Vorwürfe dementiert, auf Anfrage – er verwies lediglich darauf, dass Nepp früher als Finanzreferent der Wiener FPÖ fungiert hat.

Die Ermittlungen in der Causa Spesen sind jedenfalls kompliziert – und vernichtete Unterlagen machen diese nicht einfacher. Mittlerweile wird der Gesamtschaden auf zumindest 1,032 Millionen Euro beziffert. Gut möglich, dass sich diese Summe noch erhöhen wird. (Oliver Das Gupta, Sandra Schieder, 21.7.2023)