Im Rahmen seiner "Heimattour" skizzierte FPÖ-Chef Herbert Kickl, wie das Land unter freiheitlicher Führung aussehen würde.
Florian Voggeneder

Viereinhalb Jahre nach dem Totalabsturz infolge des Ibiza-Skandals und zweieinhalb Jahre nachdem Herbert Kickl den monatelang ausgetragenen parteiinternen Machtkampf um die Führung für sich entscheiden konnte, füllt die FPÖ längst wieder Veranstaltungshallen und Bierzelte – und das bereits den ganzen Herbst über. Seit Anfang Oktober tourte Kickl quer durchs Land, begleitet waren seine Auftritte von Schlangen von Menschen, die Selfies mit ihm wollen, "Herbert, Herbert"-Sprechchören und einer Aufbruchstimmung, wie es sie nur in einer Partei geben kann, die erstmals in ihrer Geschichte wirklich darauf hoffen kann, nach den Nationalratswahlen im kommenden Jahr als Erste durchs Ziel zu gehen.

Seit Monaten herrscht eine blaue Dominanz in der Republik, die für die Konkurrenz unangreifbar scheint. Der 5. Dezember 2022 bleibt für die FPÖ ein neuralgisches Datum. Es ist jener Tag, an dem sie erstmals seit Kickls Machtübernahme Platz eins in den Umfragen erreicht hatte. Seither gaben die Freiheitlichen ihre Poleposition nicht mehr ab – im Gegenteil, der Abstand zu den anderen Parteien wurde mit der Zeit nur größer. Mittlerweile liegt die FPÖ in manchen Umfragen sogar über der 30-Prozent-Marke – und ist damit stärker als je zuvor. Sogar die fiktive Kanzlerfrage führt Kickl mittlerweile an.

APA/Institute

Die Umfragen seien bislang "nur Möglichkeiten, wir wollen daraus eine Wirklichkeit machen", sagte der blaue Frontmann vor zwei Wochen bei der letzten Station seiner "Heimattour“ in Seekirchen in Salzburg. Auf dem Weg zur blauen Machtergreifung und damit die "Volkskanzler"-Träume wahr werden, überlässt die FPÖ – die in der Vergangenheit spätestens in Regierungsverantwortung immer über sich selbst gestolpert war – diesmal wirklich nichts dem Zufall.

Der blaue Masterplan

"Jetzt geht es los in Richtung 'Projekt Volkskanzler'", rief Salzburgs Landesparteichefin Marlene Svazek in Seekirchen in die Menge. Was hat es damit auf sich? "Projekt Volkskanzler" nennt die FPÖ ihren Masterplan, der der Partei den Weg zum Wahlsieg und ins Kanzleramt bereiten soll. Ein interner Stratege formuliert das Ziel im STANDARD-Gespräch so: "Damit wollen wir eine Bewegung über die Parteigrenzen hinaus in Gang setzen und ein Politikverständnis herbeiführen, wo die Bevölkerung an erster Stelle steht." Wichtig ist ihm zu betonen, dass das Projekt ein "Gegenpol zum 'Projekt Ballhausplatz'" von Sebastian Kurz und seinen Getreuen sei.

Das Projekt steht allerdings erst am Anfang. Derzeit befindet sich dieses in "Phase 1", heißt es. Hier steht die Mobilisation nach innen beziehungsweise der Schritt hin zur Parteibasis im Vordergrund. Dafür werden seit zwei Wochen und noch diese Woche Funktionärinnen und Funktionäre in allen Bundesländern in Kinos geladen, wo ihnen ein Imagefilm präsentiert wird – samt Botschaft des Parteichefs. "In den zwölf Minuten gibt es mehr Inhalt als in einem 120-minütigen Film über Sebastian Kurz", sagt ein hochrangiger Blauer dem STANDARD. Kinofilm sei es keiner: "Die Kinofilme überlassen wir den echten Schauspielern wie dem Sebastian Kurz."

In weiteren Schritten sieht der blaue Masterplan den Schritt von innen nach außen vor. Man will sich in weiterer Folge also an Sympathisantinnen und Sympathisanten wenden, und am Ende die gesamte Bevölkerung ins Boot holen. Der Stratege spricht von einem "Langfristprojekt über den Wahltag hinaus".

Video: Ende September präsentierte Bundesparteiobmann Herbert Kickl den „FPÖ-Heimatherbst.“ Bei der Tour wolle Kickl „ein Herz und eine Seele mit der österreichischen Bevölkerung sein.“
APA

Das unbezwingbare Narrativ

In das "Projekt Volkskanzler" zahlen bereits seit geraumer Zeit auch diverse Touren, in deren Rahmen Kickl durchs Land tingelt und seine Botschaften unter die Leute bringt, ein. Ob die im Herbst vor zwei Jahren gestartete Freiheitstour, die Neustarttour zu Jahresbeginn oder die nun noch bis in die Adventzeit hinein laufende Heimattour: Wenn der blaue Frontmann dort den Bundespräsidenten, die Regierung, die Europäische Union, die Weltgesundheitsorganisation oder die "Mainstream-Medien" ins Visier nimmt, fallen zwei Kampfbegriffe immer wieder: das "System" und die "selbsternannten Eliten".

Was nach wilden verbalen Rundumschlägen klingt, ist in Wahrheit viel mehr. Politikberater Thomas Hofer, der die FPÖ „kampagnentechnisch am besten aufgestellt sieht“, macht im STANDARD-Gespräch auf die "Rahmenerzählung über viele Themenbereiche" aufmerksam. Die Erzählung, auf die Kickl über alle Themen hinweg setzt und die ihn stark gemacht habe, lautet: "Wir da unten gegen die da oben, Freiheit versus Unterdrückung." Anderen Parteien sei es nicht gelungen, diesem Narrativ etwas entgegenzusetzen.

"Die Phrase des Volkskanzlers" definiert Hofer als "Umsetzung dessen, wie man sich gerne positionieren will“. Nämlich dass Kickl draußen bei den Menschen ist. Die Tour sei „ein Mittel, um diese Behauptung zu stützen".

Erstmals in den Mund genommen hatte Kickl den Begriff des "Volkskanzlers" übrigens im März dieses Jahres im Rahmen einer Präsidiumsklausur der Bundespartei. Es brauche "einen freiheitlichen Volkskanzler", sagte er – seither wurde dieses Wording in 139 Presseaussendungen verwendet, auch Parteifreunde nennen ihn so. Manche in der Partei sehen das kritisch und sprechen von "vorauseilendem Gehorsam". "Er nennt sich so, deshalb nennt ihn jeder so. Wenn er so genannt werden will, wird er so genannt", heißt es hinter vorgehaltener Hand zum STANDARD.

Umrühren auf der Bundesliste

Über drei Jahrzehnte hat sich Kickl nach vorne gearbeitet. Die Partei ist mittlerweile völlig auf ihn zugeschnitten, interne Kritiker sind verstummt. Finanzskandale wie jene in Wien und Graz, eine interne Abhöraffäre oder Aufreger wie die Afghanistan-Reise früherer FPÖ-Politiker zu den terroristischen Taliban können ihm nichts anhaben. Kann Kickl also überhaupt noch jemand gefährlich werden?

Echte Konkurrenz sehen Experten dieser Tage nicht. Am ehesten räumt Politikwissenschafter Peter Filzmaier im STANDARD-Gespräch noch SPÖ-Chef Andreas Babler Chancen ein. Dieser habe "gemeinsame Anknüpfungspunkte mit dem 'Gegen die da oben'". In der FPÖ sehen das manche auch so: Der Wahlkampf werde zu einem "Wettrennen zwischen Kickl und Babler, wer mehr gegen die da oben schimpfen kann".

Apropos Wahlkampf: Wenngleich die Parteispitze das offiziell verneint, sollen auch schon erste Überlegungen im Hinblick auf die Kandidatenliste zur Nationalratswahl gewälzt werden. Auf der Bundesliste könnte STANDARD-Informationen zufolge ordentlich umgerührt werden – mehrere neue Gesichter, darunter auch Quereinsteiger, sollen aussichtsreiche Listenplätze erhalten. In diesem Zusammenhang fällt immer wieder der Name Marie Christine Giuliani. Die frühere Moderatorin von Bingo, Millionenrad und anderen Shows im ORF arbeitet seit Anfang 2022 für den parteieigenen Sender FPÖ-TV. Dieser ist das mediale Aushängeschild der Partei, zuletzt wurde in ein neues TV-Studio investiert, Kickl gab dort im September ein "Eröffnungsinterview“. (Sandra Schieder, 29.11.2023)