Handy in der Hand, Sextortion 
Die Scham hält viele Opfer davon ab, die Erpressung bei den Behörden zu melden.
Getty Images / STANDARD

"Möchtest du, dass ich dieses Nacktvideo von dir all deinen Familienmitgliedern zeige?" Diese und ähnliche Nachrichten erreichen derzeit zahlreiche Jugendliche, die sich auf Social Media oder auch in Messenger-Diensten an die falschen Leute herangewagt haben. Die "NZZ" schilderte vor wenigen Tagen den Fall eines 16-Jährigen, der sich in die ebenfalls 16-jährige Emily verliebte. Dass hinter Emily eigentlich ein erwachsener Mann vor einem Laptop in Nigeria steht, weiß der Teenager nicht. "Emily" hat ihn zuvor auf Instagram kontaktiert und den jungen Mann umschmeichelt. Schnell kommt sie zur Sache, macht Komplimente und fordert Nacktbilder. Später wird der Jugendliche genau mit diesen Bilder erpresst.

Diese Art des Verbrechens ist nicht neu, aber mittlerweile so häufig, dass sie einen eigenen Namen bekommen hat: "Sextortion", bestehend aus den Worten "Sex" und "extortion", was übersetzt "Erpressung" bedeutet. War diese Form der Erpressung in den letzten Jahren vor allem auf Erwachsene gerichtet, werden laut aktuellen Zahlen auch immer öfter Jugendliche Opfer von organisierten Banden, die sich von dieser Methode schnelles Geld erhoffen. Tatorte sind Social-Media-Kanäle wie Instagram, aber auch die Kontaktaufnahme via Whatsapp oder Tinder ist möglich.

Kein Einzelfall

In einem Blogbeitrag für den STANDARD erklärte die Rechtsanwältin Patricia Hofmann bereits im Vorjahr die Problematik. Sextortion bezeichnet laut Hofmann die Erpressung mit Bild- oder Videomaterial, welches das Opfer "nackt oder bei sexuellen Handlungen zeigt". Bei dieser Betrugsmasche wird über soziale Netzwerke zunächst Kontakt mit einer Person aufgenommen, und nach einer kurzen Kennenlernphase wird die Person dann animiert, nackt zu posieren oder sexuelle Handlungen vorzunehmen. "Diese Handlungen werden dann ohne Kenntnis der betroffenen Person aufgezeichnet", erklärt die Rechtsanwältin. Auch die Aufforderung, Videos oder Fotos via Messenger-Dienste zu übermitteln, sei ein häufiges Muster dieser Erpressungsart.

Laut der Rechtsanwältin sei der Anstieg dieser Vorgangsweise massiv. "Während es im Jahr 2021 noch 1.804 Anzeigen wegen Sextortion gab, verzeichnet die Statistik im Jahr 2022 ganze 3.424 Anzeigen." Diese Nahezu-Verdopplung der Fälle sei ein Warnzeichen, betonte die Rechtsanwältin schon in ihrem Beitrag. Im Gespräch mit dem STANDARD sagt Barbara Buchegger, pädagogische Leitung bei Saferinternet.at, der Trend sei keineswegs neu und würde in Wellenbewegungen immer wieder als Thema auftauchen. "Vor zehn Jahren gab es ähnliche Fälle bereits auf Facebook. Damals bestand das internationale Verbrechernetzwerk auf diesem Gebiet aus nordafrikanischen Geldeintreibern und Lockvögeln aus Asien." Der neue Trend derzeit sei vielmehr, dass die Lockvögel durch KI-Frauen ersetzt würden. Die Steigerungen in der Statistik erklärt sie damit, dass sich, immer wenn medial darüber berichtet werde, mehr Menschen zu dem Thema auch gegenüber der Polizei outen würden. Deshalb seien Berichte zu dem Thema auch heute sehr wichtig.

Hauptzielgruppe damals wie heute sind laut Buchegger vor allem junge, männliche Erwachsene. Diese verfügten bereits über Eigenkapital, das man erpressen könne, und würden sich auch leicht auf den Plattformen finden lassen. Neben Instagram würde heute beispielsweise auch Tinder von den Erpressern gern benutzt werden. Der Ablauf sei immer ähnlich. Das Opfer wird von der angeblich interessierten Frau angeschrieben, und schnell wird das Thema Onlinesex aufgegriffen. Sobald es zum Austausch von Bildern oder Videos kommt, haben die Verbrecher, was sie brauchen, um die Erpressung zu starten. Weil das Thema schambesetzt ist, würden viele Menschen dann im ersten Schritt Geld überweisen – meist bis die Forderungen eine Höhe erreicht haben, die man nicht mehr bezahlen kann oder will.

Buchegger rät, von Anfang an keiner Erpressung nachzukommen. Man solle sich sofort an die Behörden wenden oder Beratungsstellen wie Rat auf Draht kontaktieren, weil man hier auch anonym um Hilfe bitten kann. Wichtig ist der Expertin die richtige Einordnung der Begriffe. Von Sextortion spricht man vor allem dann, wenn es sich um organisierte Erpressung handelt. Daneben gebe es natürlich auch Erpressungen, etwa vom eifersüchtigen Ex-Freund, der droht, alte Nacktfotos zu veröffentlichen, wenn es nicht zu einem erneuten Zusammenkommen kommt. Ebenfalls mit verschwimmenden Grenzen, aber dennoch ein anderes Thema ist Cybergrooming. Hier ist eine Seite nicht auf Sex oder das Versenden von Nacktbildern aus, wird aber von der anderen Seite dazu genötigt. In diesem Fall sei vielmehr die Motivation der sexuelle Missbrauch. Bei Sextortion wird das Interesse der Gegenseite an Sex ausgenutzt, um zumeist Geld zu erpressen.

Unfairer Kampf

Ein 22-Jähriger schickte vergangene Woche "pikante Fotos" an eine angeblich 18-jährige Kanadierin. Diese entpuppte sich allerdings als Betrügerin und erpresste den jungen Mann mit den Nacktfotos. Zwei Wochen zuvor hatte eine Frau 15.000 Euro an einen Erpresser gezahlt, weil dieser mit der Veröffentlichung eines freizügigen Videos drohte. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht irgendwo ein Fall von Sextortion an die Öffentlichkeit gespült wird. Der Kampf gegen die organisierten Banden ist laut Polizei schwierig. Es würden vor allem Trittbrettfahrer gefasst, in Zürich zuletzt ein Mann, der in sozialen Netzwerken Jugendliche im In- und Ausland dazu gebracht hatte, ihm Nacktbilder zu schicken. Die organisierten Banden würden kaum Spuren hinterlassen, und durch die Zunahme von KI-Bildern sei auch eine Identifikation unmöglich. In die USA wurden zuletzt zwei nigerianische Brüder ausgeliefert, weil deren Erpressung zum Suizid einer 17-jährigen US-Amerikanerin geführt hatte. Nur "Handlanger", wie die Zürcher Polizei meint. Die Erpressungen würden ungehindert weitergehen.

Die beste Möglichkeit, sich zu schützen, sei mehr Achtsamkeit, rät Buchegger. Eine genaue Auflistung, wie man sich bei Sextortion-Fällen verhalten soll, wird auf der Website "Watchlist Internet" aufgeschlüsselt. Hier wird erwähnt, dass man beim Chatten mit Unbekannten keine persönlichen Daten wie Anschrift, Arbeitgeber oder Geburtsdatum preisgeben und nicht vorschnell einem Videochat zustimmen soll. Sicher alles Dinge, die man schon hundertmal gehört hat. Für den eigenen Schutz und den der eigenen Kinder sollte man sie sich aber dennoch immer wieder in Erinnerung rufen. (Alexander Amon, 23.1.2024)