Was ist, wenn die FPÖ bei der Wahl den ersten Platz bekommt, aus verschiedenen Gründen (davon gleich mehr) aber nicht in die Regierung kommt? Dann steht ihr nach bisherigem Brauch die Position des Ersten Nationalratspräsidenten zu.

Na gut, werden manche sagen, das ist ohnehin überwiegend ein zeremonieller Posten. Der Präsident scheppert mit der Glocke, erteilt Ordnungsrufe und sorgt – im Einvernehmen mit den beiden Vizepräsidenten/ -präsidentinnen – für die Einhaltung der Geschäftsordnung, die Festlegung der Sitzungstermine etc. Ganz so harmlos ist das nicht.

Herbert Kickl
Ein Erster Nationalratspräsident Herbert Kickl, der Wolfgang Sobotka (ÖVP) nachfolgt? Auch diese Frage wird man diskutieren müssen.
APA/ROLAND SCHLAGER

Der aktuelle Präsident, Wolfgang Sobotka, ist umstritten, unter anderem weil er darauf bestanden hat, den Vorsitz in den diversen Untersuchungsausschüssen zu übernehmen, in denen seine Partei, die ÖVP, Gegenstand der Untersuchung war. Und es wurde ihm auch nicht ganz unberechtigt eine parteiische Vorsitzführung mit Behinderung kritischer Abgeordneter vorgeworfen. Bei dieser Gelegenheit stellte sich auch heraus, dass der Präsident des Nationalrates nicht abgewählt werden kann.

Anti-System-Partei

Nun stellen wir uns folgendes Szenario vor: Die FPÖ wird stärkste Partei, die anderen Parteien gestehen ihr nach bisherigem Usus den Ersten Nationalratspräsidenten zu. Das könnte Herbert Kickl werden, wenn er nicht Kanzler wird (weil er keinen Koalitionspartner findet, zum Beispiel).

Aber Kickl, der sich immer mehr radikalisiert hat, wäre kein "überparteilicher", auf Ausgleich und Dekorum bedachter Präsident. Vielleicht lehnen ihn die anderen deswegen ab. Er selbst hätte wohl kein Interesse an der Position, weil sie ihn in seiner haltlosen Polemik und Bekämpfung des "Systems" hindern würde. Dann könnte er jemand anderen nominieren, den die anderen Parteien schlecht ablehnen könnten. Aber dieser andere wäre trotzdem ein Mitglied einer Kickl-FPÖ, die sich dem "Kampf gegen das System" verschrieben hat. Übersetzung: dem Kampf gegen die liberale Demokratie und für ein autoritäres System (Kickl: "Machen wir es dem Orbán nach!").

Ein solcher FPÖ-Präsident hätte einige Möglichkeiten, die Arbeit des Parlaments so zu steuern, dass die radikalen Anliegen der Anti-System-Partei FPÖ zumindest bessere Chancen haben. Die Präsidiale, in der die Klubobleute gemeinsam mit dem Parlamentspräsidium das Arbeitsprogramm festlegen, hat nur eine beratende Funktion. Ist der Bundespräsident verstorben und/oder an der Amtsausübung verhindert, übernimmt das Nationalratspräsidium seine Vertretung (das war beim Tod von Thomas Klestil und nach der Aufhebung der ersten Bundespräsidentenwahl 2016 der Fall). Ausnahmesituationen erzeugen immer Möglichkeiten für den, der sie nutzen will. Man könnte aber auch durch Verfahrenstricks (Vertagung auf unbestimmte Zeit einer Sitzung) eine Atmosphäre der Funktionsunfähigkeit der Demokratie erzeugen, die einer autoritären Partei gelegen kommt. Ein wirklicher Kenner und Akteur des Parlamentarismus sagt dazu: "Missbrauchsmöglichkeiten gibt es. Ein böswilliger Präsident oder eine böswillige Präsidentin des Nationalrates kann dem Parlamentarismus beträchtlich schaden, denn er oder sie kann sehr viel Sand ins Getriebe schmeißen."

Wer glaubt, das Präsidium des Nationalrates sei praktisch-politisch unbedeutend, sollte noch einmal nachdenken. Und eventuell die Unabwählbarkeit des Präsidenten überdenken. (Hans Rauscher, 23.1.2024)