Nach dem von der Hamas verübten Massaker an Jüdinnen und Juden am 7. Oktober 2023 sind antisemitische Vorfälle auch in Österreich häufiger geworden. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) will sich daher verstärkt der Erforschung des Phänomens widmen, vor allem auch an den Universitäten. Das gab ÖAW- Präsident Heinz Faßmann am Mittwoch bei einem Mediengespräch bekannt.

Historiker Gerald Lamprecht in der ÖAW.
Der Grazer Historiker Gerald Lamprecht wird den Forschungsschwerpunkt an der ÖAW leiten.
ÖAW/Elia Zilberberg

"Als Wissenschaft können wir nicht den Nahostkonflikt lösen, aber wir können neue Formen des Antisemitismus erforschen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen, um die richtigen Maßnahmen entgegenzusetzen", sagte Faßmann. Für die Leitung des neuen Forschungsschwerpunkts holte man sich als Nachfolger der 2023 verstorbenen Heidemarie Uhl den Grazer Historiker Gerald Lamprecht nach Wien. Lamprecht leitet unter anderem seit 18 Jahren das Centrum für jüdische Studien (CJS) an der Uni Graz. Man wolle sich auf den Antisemitismus in Österreich nach 1945 konzentrieren, da dieser weniger erforscht sei als jener des 19. Jahrhunderts oder der Zwischenkriegszeit, so der Historiker.

"Auch hochgebildete Leute können Antisemiten sein", führte Lamprecht aus, "trotzdem gibt es kein besseres Mittel dagegen als Bildung." Wie Faßmann wies Lamprecht darauf hin, dass der Antisemitismus in Österreich seit dem 7. September "komplexer" und "heterogener" geworden sei. Grundsätzlich gebe es den "bekannten rechten" Antisemitismus, jenen von "Gruppen der postmigrantischen Gesellschaft" und jenen von linken Gruppen, erklärte Lamprecht.

Klima der Angst

Dass gerade an den Unis international, aber auch vereinzelt in Wien Judenhass etwa im Diskurs oder durch Schmierereien am Campus auftaucht, erklärte Lamprecht damit, dass Universitäten in der Geschichte schon immer Orte waren, wo "Diskurse ihren Ausgang nahmen". Lamprecht betonte aber, dass es an den Unis Graz und Salzburg noch keine solchen Vorfälle gab.

Doch herrsche in der jüdischen Gemeinde nach dem 7. Oktober ein Klima der Angst, sagt Lamprecht, "dieses massive Bedrohungsszenario für Jüdinnen und Juden hat mich überrascht, und es war bei vorherigen Ereignissen in dieser Form noch nicht vorhanden".

Ariane Sadjed und ÖAW-Präsident Heinz Faßmann.
Ariane Sadjed undÖAW-Präsident Heinz Faßmann.
ÖAW/Elia Zilberberg

Ariane Sadjed vom ÖAW-Institut für Kulturwissenschaften forscht bereits seit März 2023 an einem Projekt des Schwerpunktes. Sie beschäftigte sich verstärkt mit der Rezeption antisemitischer Diskurse bei den Betroffenen selbst, also in der jüdischen Community. In Interviews mit Jüdinnen und Juden habe man sehr oft gehört, dass man es zwar "gut finde, dass die Politik in Österreich deutlich Stellung" beziehe, viele hätten aber auch moniert, dass dies nun "auf dem Rücken einer anderen Minderheit", nämlich Menschen mit muslimischem bzw. arabischem Hintergrund, erfolge. Viele sagten der Forscherin auch: "Im Grunde fühlen sie sich nicht geschützt."

Sadjed und ihr Team untersuchten auch Internetforen von Medien wie dem STANDARD und X (vormals Twitter). Dort scheine es auch vorzukommen, dass „sich Leute verabreden, um gemeinsam mit Postings das Klima zu vergiften". (Colette M. Schmidt, 24.1.2024)