Musk Twitter
X-Eigentümer Elon Musk sieht sich als Vorkämpfer der Redefreiheit. Tatsächlich ist seine Plattform zu einem Sumpf der Desinformation verkommen.
REUTERS/GONZALO FUENTES

Das deutsche Außenministerium hat einem Bericht zufolge eine russische Desinformationskampagne auf der Online-Plattform X, ehemals Twitter, aufgedeckt. Ziel der Kampagne sei es offenbar, den Unmut gegen die Regierung zu verstärken und die Unterstützung für die Ukraine zu unterminieren, berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" am Freitag. Zigtausend Fake-Nutzerkonten wurden demnach gefunden.

Experten hätten im Auftrag des Auswärtigen Amts X mit einer speziellen Software analysiert und seien dabei auf ein massives Netzwerk falscher Nutzerkonten gestoßen, die deutschsprachige Inhalte verbreiten, berichtete "Der Spiegel". Im Untersuchungszeitraum vom 20. Dezember bis zum 20. Jänner identifizierten die Experten demnach mehr als 50.000 gefälschte Nutzerkonten, die insgesamt mehr als eine Million deutschsprachige Tweets absetzten. An manchen Tagen registrierten die Experten des Auswärtigen Amts bis zu 200.000 dieser Kurznachrichten, das entspricht in etwa zwei Mitteilungen pro Sekunde.

Eine falsche Annalena Baerbock

Häufig tauche in den Posts der Vorwurf auf, die deutsche Regierung vernachlässige die eigene Bevölkerung, um die Ukraine zu unterstützen, berichtete der "Spiegel" unter Berufung auf die vertrauliche Analyse weiter. "Ich finde es enttäuschend, dass die Regierung mehr für andere Länder tut als für die eigenen Bürger", wird etwa ein besonders häufig verbreiteter Tweet zitiert. "Es ist eine Schande, dass die Ampelkoalition die Probleme im eigenen Land nicht zuerst angeht", ist an anderer Stelle zu lesen.

Gefälscht wurden in diesem Kontext auch angebliche Tweets von Außenministerin Annalena Baerbock, in denen das Ende für die Unterstützung der Ukraine behauptet wurde. Der gefälschte Screenshot wurde über Fake-Accounts verbreitetet und die entsprechenden Tweets auch mit themenfremden Hashtags kombiniert, um die Reichweite zu erhöhen: Ende September fanden sich in solchen Nachrichten etwa Hashtags wie #Oktoberfest oder #Dirndl, ebenso wurden beliebte Hashtags zu Bundesligaspielen genutzt. Außerdem wurden die Online-Auftritte bekannter Medienmarken wie "Spiegel", "Welt" und "Süddeutsche Zeitung" gefälscht.

Das Ziel der Kampagne lautet: Wut schüren, Stimmung machen. Diese Strategie ist alt und wird von Geheimdiensten seit Jahrzehnten angewandt, doch noch nie waren die technischen Voraussetzungen dafür besser als heute. Da viele Accounts gleichzeitig Postings in deutscher Sprache veröffentlichten, legt dies nahe, dass diese automatisiert über einen Algorithmus ausgespielt wurden.

Stetige Beobachtung

Das Außenministerium in Berlin beobachtet seit geraumer Zeit mit mehreren Datenanalysten Debatten zu außenpolitischen Themen in den Online-Netzwerken. Ziel ist es, Versuche der Einflussnahme durch ausländische Akteure aufzudecken. "Desinformation ist zu einem globalen Bedrohungsfaktor geworden", sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amts dem "Spiegel": "Sie wird von denjenigen, die unsere Werte nicht teilen, gezielt eingesetzt, um ganze Gesellschaften zu destabilisieren – nicht nur in westlichen Demokratien, sondern überall."

Allein die Themenauswahl lenkte im aktuellen Fall die Aufmerksamkeit nach Russland, forensische Analysen bestätigten dies anschließend. Das Medium zitiert den internen Report des Ministeriums, laut welchem die jüngste Welle Teil einer groß angelegten Kampagne sei, die seit 2022 unter dem Namen "Doppelgänger" bekannt ist. Damals habe sich Deutschland schon im Visier der Angreifer befunden, neben anderen großen europäischen Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Italien und natürlich der Ukraine.

Schwierige Datenlage

Österreich wird in dieser Auflistung nicht genannt. Zu beachten ist auch, dass der Aufwand für eine derartige Analyse recht hoch ist, was nicht zuletzt wieder an einer Handlung Elon Musks liegt: Dieser hatte auch für die Wissenschaft die Möglichkeit zum Auswerten von Twitter-Postings im großen Stil massiv eingeschränkt, indem für das Abrufen von großen Datenmengen über eine Programmierschnittstelle (API) extrem hohe Kosten anfallen. Außerdem klagte Musk eine Organisation, die sich explizit der Erforschung von Hassrede auf dem Twitter-Nachfolger X widmete.

Im Herbst vergangenen Jahres hatte der Wissenschafter und Unternehmer Arno Scharl im Gespräch mit dem STANDARD dafür plädiert, dass Unternehmen ab einer gewissen Größe die öffentlichen Daten – also nicht persönliche und private Daten, die unter den Datenschutz fallen – ihrer Plattform via API zugänglich machen sollten, für die Wissenschaft ebenso wie für Start-ups. Dies könne nicht nur neue Geschäftsmodelle ermöglichen, sondern auch etwa bei der Erkennung von Fake-News oder bei der Analyse von Wählerverhalten helfen.

Gefahr der Wahlbeeinflussung

Im Auswärtigen Amt schrillen aufgrund der neuen Erkenntnisse jedenfalls die Alarmglocken, denn auch in Deutschland stehen in diesem Jahr Wahlen an, neben der Wahl des EU-Parlaments auch Landtagswahlen in drei ostdeutschen Ländern.

In Österreich steht außerdem 2024 die Nationalratswahl auf dem Programm. In Deutschland sorgt man sich, dass Russland auf diese Weise in die Wahlkämpfe eingreifen könnte. Immer wieder wurde auch gewarnt, dass künstliche Intelligenz – allen voran das Generieren von Fake-Inhalten – im Superwahljahr eine Gefahr für die Demokratie darstelle. Ob die prognostizierte Gefahr tatsächlich real ist, lässt sich aktuell noch schwer prognostizieren. Das Vorgehen dürfte jedoch effizient genug sein, dass Staaten wie Russland dieses weiter betreiben.

Reaktion aus Frankreich

Sorgen gibt es aber nicht nur im deutschsprachigen Raum. sondern auch in Frankreich. So warf die französische Regierung am Freitag eine gezielte Verbreitung von Falschinformationen über Frankreich im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg im Rahmen es "koordinierten Vorgehens" unter Beteiligung staatlicher Medien wie Sputnik News, RT und RIA Nowosti vor. Das Verteidigungsministerium in Paris erklärte: Seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine sei Frankreich "Ziel einer russischen Desinformationskampagne". Diese habe sich seit Mitte Jänner verstärkt, nachdem Präsident Emmanuel Macron vor einem Sieg Russlands gewarnt und neue Waffenlieferungen an die Ukraine angekündigt habe.

Die Führung in Moskau hatte unter anderem am 17. Jänner erklärt, die russische Armee habe in der Ukraine einen zwischenzeitlich von "französischen Söldnern" genutzten Stützpunkt angegriffen. Paris wies das zurück und bezeichnete die Aussagen über französische Söldner in der Ukraine als eine "grobe Manipulation".

Am Montag seien auf Telegram Listen von Söldnern verbreitet worden, die bei diesem Angriff angeblich getötet wurden, teilte das Ministerium in Paris weiter mit. Einige dieser Listen mit den Namen von angeblichen französischen Söldnern kursieren demnach bereits seit 2022. Am Mittwoch sei die russische "Kampagne" fortgesetzt worden mit Berichten über die angebliche Zerstörung eines französisch-italienischen Luftabwehrsystems vom Typ SAMP/T. Auch hierfür gebe es keine Belege, erklärte das Ministerium.

Der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu erklärte, er rechne angesichts der Intensivierung der Militärhilfe für die Ukraine mit weiteren russischen "Manipulationen" und kündigte an, die Maßnahmen dagegen zu verstärken.

Deutsche Arbeitsgruppe

Eine Sprecherin des deutschen Innenministeriums sagte am Freitag in Berlin, die Regierung betreibe eine Arbeitsgruppe zu hybrider Bedrohung. Das Innenministerium leite zudem eine Task Force gegen Desinformation. Im Mittelpunkt stünden Maßnahmen, "um russische Narrative zu identifizieren, proaktive transparente und auf Fakten basierte Kommunikation zu stärken". Die Regierung baue ihre Fähigkeit "zur Erkennung, Analyse und auch Abwehr hybrider Bedrohungen weiter aus". Auch die EU habe ihre Instrumente zur Abwehr von Desinformation weiterentwickelt.

Musk im Mittelpunkt

Musk selbst betont immer wieder, dass er das Bot-Problem auf seiner Plattform eindämmen wolle. Der systematische Abbau diverser Schutzmaßnahmen gegen hasserfüllte und irreführende Inhalte führe konsequenterweise zum Anstieg ebensolcher Inhalte, wird Lea Frühwirth vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie im Artikel des "Spiegel" zitiert.

Ende vergangenen Monats hat die EU-Kommission ein Verfahren gegen X auf Basis des Digital Services Act (DSA) eingeleitet. Der Anlass: eine Welle an falschen oder irreführenden Tweets rund um den Terrorangriff in Israel. (APA/AFP/stm, 26.1.2024)

Update, 26.1.2024, 10.50 Uhr: Dieser Artikel wurde umfassend aktualisiert und erweitert.