Collage arm/reich
Ungleichheit in Österreich ist ein großes Thema – sowohl beim Einkommen als auch bei Pensionen.
Fotos: iStock, Christian Fischer; Collage: Lukas Friesenbichler;

Red-Bull-Erbe Mark Mateschitz und die Porsche-Piëch-Familien besitzen je zwischen 30 und 40 Milliarden Euro; die große Masse verfügt nur über ganz geringe Ersparnisse. Laut Schätzungen der Arbeiterkammer (AK) hält ein Prozent der Österreicher 40 Prozent der Vermögen. Im Lichte dieser Zahlen wirkt Österreich wie ein Land mit einer riesigen Kluft zwischen Reich und Arm. Und während FPÖ und ÖVP im kommenden Wahlkampf auf Themen wie Migration und Sicherheit setzen wollen, ist für SPÖ-Chef Andreas Babler der Kampf gegen die Ungleichheit das wichtigste Ziel. Wenn er noch Konkurrenz von KPÖ und der Bierpartei von links erhält, wird in den kommenden Monaten wohl noch öfter über Einkommensschere und Vermögensverteilung diskutiert werden.

Aber lassen sich mit diesem Thema auch Wählerstimmen oder gar Wahlen gewinnen? Ist die Besteuerung großer Vermögen, wie sie die SPÖ seit Bablers Kür zum Parteichef vehement einfordert, etwas, das Menschen motivieren wird, bei einer Partei das Kreuzerl zu machen? Die Antwort auf diese Frage hat Einfluss auf die politische Zukunft des Landes, denn nur mit einem guten Abschneiden der SPÖ entsteht eine realistische Alternative zu einer FPÖ-geführten Regierung.

Hohe Ungleichheit

Nun gibt es einige Hinweise, dass die Ungleichheit im Lande beträchtlich ist und dies die Menschen beschäftigt. 45 Prozent machen sich laut einer Umfrage des Linzer Market-Instituts für den STANDARD zum Jahreswechsel große Sorgen, dass die Kluft zwischen Reich und Arm größer wird, weiteren 42 Prozent besorgt das etwas. Während die Schere beim Einkommen hierzulande weniger weit auseinandergeht als in vielen anderen Industriestaaten, liegt Österreich beim ungleich verteilten Vermögen nahe der Spitze in der EU. Der Gini-Koeffizient, der Ungleichheit misst, ist mit 0,74 (bei 0 haben alle das Gleiche, bei 1 gehört einem alles) auffallend hoch.

Wer durch das Land reist, merkt von diesem Ungleichgewicht allerdings wenig. Im Vergleich zu anderen Staaten sieht man kaum Armut und – neben viel bürgerlichem Wohlstand – wenige Zeichen eines protzigen Reichtums. Der opulente Lebensstil von Signa-Gründer René Benko fiel da aus dem Rahmen.

Gleichmacher Pensionssystem

Wie lässt sich diese Diskrepanz erklären? Ein wichtiger Grund dürfte das großzügige Pensionssystem sein, das Durchschnittsverdiener vom Zwang befreit, viel für ihre Altersvorsorge anzusparen. Robert Holzmann, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), verweist auf Zahlen, die belegen, dass dieses erweiterte Vermögen für den Bevölkerungsdurchschnitt genauso groß ist wie die finanziellen Ersparnisse. Wegen der guten Gesundheitsversorgung sei es in Österreich auch im Gegensatz zu vielen anderen Ländern nicht notwendig, für medizinische Notfälle Mittel beiseitezulegen. "Wenn man dieses Gesamtvermögen mitbetrachtet, wird die Vermögensungleichheit in einem hohen Maß reduziert", sagt Holzmann dem STANDARD.

Eine Rolle spielt auch der geringere Anteil an Wohnungseigentum; wer in einem Gemeindebau wohnt oder eine unbefristete Altbaumiete aus früheren Zeiten hat, braucht kein Immobilienvermögen. Doch dies sei vor allem ein Wiener Phänomen, sagt Holzmann.

Bei diesem Argument sieht Markus Marterbauer, Chefökonom der Arbeiterkammer, allerdings ein Problem. "Ich wäre vorsichtig, Pensionen oder günstige Mieten als Vermögen zu bezeichnen", sagt er. "Denn es gibt keinen gesetzlichen Anspruch darauf, ich kann es nicht liquidieren, belehnen oder vererben. Das ist einfach kein Vermögen."

"Da geht es gegen das Establishment, um die da unten gegen die da oben, ob man Teil des bösen Systems ist oder nicht." Politikberater Thomas Hofer

Für OeNB-Gouverneur Holzmann verzerrt auch die große Zahl an Privatstiftungen das Bild der Vermögensaufteilung. Denn unter den Begünstigten seien oft dutzende Familienmitglieder, sodass sich der Wohlstand aufteilt. Das Stiftungsgesetz aus dem Jahr 1993 habe auch einige große Vermögen aus dem Ausland angezogen, wovon die Wirtschaft profitiert. "Die Stiftungen haben zwar eine hohe Bedeutung für die Vermögensaufteilung, aber sie erlauben es, dass Industrien nicht ins Ausland abwandern", sagt Holzmann.

Auch beim Einkommen dürften die Zahlen nicht die gesamte Realität widerspiegeln, sagt Christine Mayrhuber, Ökonomin am Wirtschaftsforschungsinstitut. Es sind nicht nur die Transferzahlungen von der Familienbeihilfe bis zur Sozialhilfe, von denen Niedrigverdiener am meisten profitieren, sondern Sachleistungen wie das Schulsystem und die Gesundheitsversorgung, die mit den Steuern der Reicheren den LebensStandard der Ärmeren heben. "Dieser Aspekt erhält meist zu wenig Beachtung", sagt Mayrhuber. "Bildung und Gesundheit haben nach den Pensionen den größten Umverteilungseffekt."

Zwar wird immer öfter über Mängel im Gesundheitssystem geklagt, auch die mediokren Leistungen der Schulen werden kritisiert, aber Österreich ist immer noch ein Land, in dem man auch mit wenig Geld eine gute Ausbildung und ausgezeichnete medizinische Versorgung erhalten kann. Armut, die immer nur im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen definiert werden kann, ist hierzulande leichter ertragbar als in den meisten anderen Ländern. Der so stark ausgebaute Sozialstaat macht Österreich wahrscheinlich zu einem der egalitäreren Länder in der Welt.

Wer sind die Armen?

Arm oder armutsgefährdet sind in Österreich vor allem kinderreiche Familien, die meisten von ihnen mit Migrationshintergrund, sowie Alleinerzieherinnen. Mayrhuber verweist auf eine dritte Gruppe: Frauen über 65, die sich einst vor allem um Kinder und Haushalt gekümmert haben und nach einer Scheidung nur eine niedrige Pension beziehen. AK-Ökonom Marterbauer erwähnt auch Langzeitarbeitslose, deren Unterstützung anders als andere Sozialleistungen nicht an die Inflation angepasst wurden.

Bei Wahlen spielen diese Gruppen eine untergeordnete Rolle, auch weil viele Arme keinen Pass und damit kein Wahlrecht besitzen. Allerdings sei durch die Teuerungswelle der vergangenen beiden Jahre das Gefühl der wirtschaftlichen Benachteiligung gewachsen, sagt Marterbauer. "Die Reallohnverluste gingen weit in die Mittelschicht hinein." Und dort werden bekanntlich Wahlen entschieden.

Finanzielle Frontlinie

Dieser Diskurs verläuft jedoch nicht unbedingt entlang finanzieller Frontlinien, mit den Reichen und Superreichen als zentraler Zielscheibe. Das Gefühl der Ungerechtigkeit erfasst zunehmend andere Bereiche, sagt der Politikberater Thomas Hofer. "Da geht es gegen das Establishment und die Eliten, um die da unten gegen die da oben, um die Ungleichheit der Behandlung, etwa in der Corona-Pandemie zwischen Geimpften und Ungeimpften, um die Frage, ob man Teil des bösen Systems ist oder nicht", sagt er. Da wirken kleine und größere Privilegien stärker als große Vermögensunterschiede, da wird ORF-Moderator Armin Wolf schneller zum Feindbild als Mark Mateschitz.

Zwar drücke auch Babler mit seinem Einsatz für "unsere Leute" auf diesen emotionalen Knopf, aber dieser "diskursive Populismus" spiele der FPÖ stärker in die Hände als klassischen linken Parteien, ist Hofer überzeugt. "Der FPÖ ist es gelungen, auf dieses Terrain der Sozialdemokraten einzubrechen."

Unvorstellbarer Luxusurlaub

Denn auch wenn es ums Geld geht, seien es oft weniger die Milliardäre als die Menschen mit ähnlichem oder niedrigerem Einkommen, die Neid befeuern. "Gegenüber den Reichen ist die Kluft so absurd hoch, den Luxusurlaub mit Privatjet können sich die meisten gar nicht vorstellen", sagt Hofer. "Aber wenn der Nachbar mit vier Kindern mehr bekommt als der kleine Hackler, dann entsteht ein Ungerechtigkeitsgefühl, das man nicht unterschätzen darf." Vielen Menschen in der Mittelschicht gehe es mehr um Gerechtigkeit gegenüber Leistungsträgern, zu denen sie sich selbst zählen, als um Solidarität mit den Ärmeren. Hofers Diagnose: "Das horizontale Ungerechtigkeitsgefühl ist stärker als das vertikale."

Das mache auch den Ruf nach Vermögenssteuern ein im Wahlkampf riskantes Unterfangen, sagt Hofer. "Auch wenn sie Millionärssteuer genannt wird, entsteht bei vielen ein Gefühl der Betroffenheit, und dann gerät man in eine Mittelstandsdiskussion." Um dem entgegenzuwirken, müsste etwa Babler viel stärker die Entlastung von Arbeitseinkommen und den Ausbau von staatlichen Leistungen betonen. Aber auch das sei in einem Wahlkampf schwierig, weil Wahlversprechen grundsätzlich nicht geglaubt werden, sagt Hofer. "Da ist etwas ins Rutschen geraten, nämlich das Narrativ der Aufstiegserzählung in der Zweiten Republik, dass es meinen Kindern besser gehen wird als mir. An dieser Grundsatzstimmung kann man kurzfristig nichts mehr ändern."

Und so kann es sein, dass die FPÖ, die als Regierungspartei meist die Interessen der Reichen vertreten hat, auch diesmal den diffusen Unmut über eine allzu ungleiche Republik in Wählerstimmen ummünzen kann. (Eric Frey, 27.1.2024)