Die Botschaft klingt vielversprechend: Die EU stößt heute nur noch so viel CO2 durch die Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle aus wie zuletzt in den 1960er-Jahren. Die Emissionen seien im vergangenen Jahr um immerhin acht Prozent gesunken, wie Berechnungen der Forschungsorganisation Centre for Research on Energy and Clean Air (Crea) ergaben. Es ist die stärkste Reduktion seit 2020, als Fabriken und Verkehr aufgrund der Covid-Pandemie stillstanden.

"Die CO2-Emissionen der EU sind 2023 endlich wieder auf das Niveau der Zeit der Generation meiner Eltern in den 60ern gefallen", sagt Isaac Levi, der das Energieanalyseteam bei Crea leitet. Und sein Kollege Hubert Thieriot, Leiter der Datenabteilung bei Crea, ergänzt: "Die Zahlen sind zwar vorläufige Schätzungen, aber sie bringen uns doch Hoffnung."

Ein Offshore-Windpark vor der Küste Dänemarks: Erneuerbare Energien drückten die CO2-Emissionen der EU im vergangenen Jahr deutlich.
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Als Hauptgrund für den vergleichsweise schnellen Fall der Emissionen nennen die Analysten den Fortschritt im Ausbau der Erneuerbaren. Konkret führen sie 56 Prozent des Rückgangs der Emissionen auf den zunehmend saubereren Strommix zurück. So sahen sowohl die Solar- als auch die Windkraft im vergangenen Jahr neue Ausbaurekorde. Dazu kommen noch Rückgänge in der industriellen Produktion sowie im Transport.

Den restlichen Teil seines Emissionsrückgangs verdanke Europa einem Anstieg der Stromerzeugung aus der Wasserkraft sowie dem warmen Winter. "Das sind Effekte, auf die wir allerdings kaum Einfluss haben und die sich möglicherweise nicht jedes Jahr wiederholen", räumt Thieriot ein. Das kontinuierliche Wachstum der Solar- und Windkraftkapazität hingegen senke die Emissionen nachhaltig. Dort müsse der Fokus der Energiepolitik liegen, sagt er.

Nicht mitgerechnet sind Emissionen der Landwirtschaft sowie Veränderungen der Landnutzung wie auch einiger chemischer Prozesse, etwa bei der Herstellung von Zement. Weitere wichtige Treibhausgase wie Methan sind ebenfalls nicht Teil der Rechnung. Stattdessen betrachtet Crea ausschließlich die Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle, die auch der bei weitem wichtigste Treiber der Erderhitzung ist.

EU erreichte Emissionspeak schon in den 1990ern

Wie kann es aber sein, dass die CO2-Emissionen der EU aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe bereits auf das Niveau der 1960er gefallen sind? Eine der Erklärungen dafür ist das Schrumpfen der Kohleindustrie in Europa. Schon in den 60ern erreichte die Verbrennung der Kohle im EU-Schnitt einen Höhepunkt, danach sank ihr Anteil an der europäischen Energiegewinnung.

Seit 2015 sind die CO2-Emissionen der Kohleindustrie laut Crea fast halbiert worden.
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Und auch 2023 ließ ein erneutes Absinken in der Kohlenutzung die Emissionen wieder schrumpfen. In den Jahren 2021 und 2022 stieg die Kohlenutzung nämlich wieder leicht – unter anderem weil einige Staaten damit russisches Erdgas ersetzten. Doch es blieb beim kurzen Aufflammen: Im vergangenen Jahr sind die Kohleemissionen wieder gesunken. Seit 2015, so errechnet Crea, seien die CO2-Emissionen aus der Kohleindustrie fast halbiert worden.

Auch insgesamt hat die EU den Peak ihrer CO2-Emissionen bereits lange hinter sich: Schon in den 90ern erreichten sie ihren Höhepunkt. Seitdem sinken die Emissionen allerdings nur leicht, der Weg in die Klimaneutralität bleibt weit. Ähnlich, nur etwas zeitversetzt, ist die globale Situation: Der CO2-Ausstoß könnte schon 2023 an seinen Peak gestoßen sein, schätzt die Internationale Energieagentur. Für die absehbare Zukunft prognostiziert sie jedoch einen nur langsamen Rückgang – die Erde würde trotz allem weit über die 1,5-Grad-Schwelle hinaus erhitzt werden.

Konsum bleibt außen vor

Ein Faktor, der bei der Berechnung des CO2-Ausstoßes der EU meistens weggelassen wird, sind die Emissionen der Produktion von Handelswaren in Drittstaaten. Wenn etwa ein Unternehmen eine Fabrik nach China verlagert, dann zählen die Emissionen zur Bilanz Chinas und nicht zu jener der EU – selbst wenn sie einen Teil der Waren importiert. Schätzungen von Eurostat zeigen, dass etwa ein Drittel der Emissionen des europäischen Konsums in Drittstaaten ausgestoßen wird.

Das betont auch Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur Wien. "Die Reduktion von CO2-Emissionen gelang in der EU so deutlich wie sonst nirgends auf der Welt." Das sei erfreulich, auch wenn die Bilanz bei näherem Hinsehen wegen unberücksichtigten Gas-Leaks und CO2-Leakage in Drittstaaten nicht ganz so positiv aussehe. Auch sollten die EU-Zahlen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Länder wie Österreich kaum etwas dazu beigetragen hätten, ergänzt Steurer. Insgesamt sei die EU nicht auf einem Pfad, der kompatibel sei mit dem Klimaziel von einem Plus von 1,5 Grad im vorindustriellen Vergleich.

Das zeigt auch die Bewertung, die das Datenportal Climate Action Tracker für die europäische Klimapolitik vornimmt. Es gibt der EU ein "ungenügend". Weiterhin hohe Investitionen in fossile Infrastruktur – vor allem mit Blick auf Flüssigerdgas und Gaspipelines – würden die Dekarbonisierung Europas einbremsen, heißt es auf der Seite. Zu einem ähnlichen Schluss war auch der wissenschaftliche Klimabeirat der EU kürzlich gelangt: Die derzeitige EU-Kommission habe klimapolitisch viel vorangebracht – doch um die Klimaziele noch zu erreichen, müsste noch so manch großer Hebel umgelegt werden. (Alicia Prager, 26.1.2024)