Dürre und Borkenkäfer machen europäischen Wäldern zunehmend zu schaffen.
IMAGO/Frank Drechsler

Die EU-Kommission ist Ende 2019 mit einer großen Ansage angetreten: Sie werde einen Green Deal für Europa zimmern und die nötigen Gesetze vorschlagen, um den Kontinent in die Klimaneutralität zu steuern. Im Sommer 2021 legte sie dann ein Paket mit mehr als einem Dutzend Gesetzesvorschlägen auf den Tisch. Es folgten unzählige Verhandlungsrunden zu den verschiedenen Richtlinien und Verordnungen mit den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament.

Wo steht das grüne Projekt heute? Was wurde erreicht – und wo versagt Europa in seiner Klimapolitik? Dazu hat der Europäische Wissenschaftliche Beirat zum Klimawandel (ESABCC) am Donnerstag eine neue Analyse veröffentlicht. Sie zeigt, dass der Weg bis zur Klimaneutralität noch immer weit ist. Besonders groß sei die Lücke im Gebäudebereich, im Verkehr und in der Land- und Forstwirtschaft.

"Die EU hat große Fortschritte gemacht in den vergangenen Jahren. Aber die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen ist ein Rennen gegen die Zeit", sagte Ottmar Edenhofer, Vorsitzender des Klimabeirats und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Europa könne es sich nicht leisten, sich jetzt zurückzulehnen, ergänzte er – wohl auch angesichts der EU-Wahl im Juni.

Klimafittere Landwirtschaft

Dazu macht der Beirat, der sich aus Forschenden verschiedener Universitäten zusammensetzt, 13 Empfehlungen, wie die Klimapolitik der EU verbessert werden soll. Sie richten sich sowohl an die Mitgliedsstaaten, die ihre eigenen Klimapläne nur teilweise umsetzen, als auch an Verhandlungsteams in Brüssel, die noch offenen Initiativen des Green Deal zu beschließen. Die Vorschläge reichen vom Auslaufenlassen fossiler Subventionen bis hin zur Reform des Emissionshandels. Weitere Punkte sind:

Viele der neuen EU-Gesetze zielen auf die Umstellung des Energiesystems ab.
IMAGO

Zu niedriger CO2-Preis

Auch an den Kern der EU-Klimapolitik, den Emissionshandel, richten die Forschenden einige Vorschläge. So müsse die EU weiter nach Alternativen zu den kostenlosen Emissionszertifikaten suchen, die Energie- und Industrieunternehmen bisher bekommen haben, um die Abwanderung in Drittstaaten zu verhindern.

Mit diesen Zertifikaten bekamen Unternehmen bisher ein gewisses Kontingent an CO2, das sie ausstoßen dürfen, ohne zahlen zu müssen. Jetzt werden diese Kontingente immer kleiner, bis sie 2039 ganz wegfallen. Stattdessen soll der CO2-Grenzausgleich europäische Industrien schützen. Dieses neue Instrument müsse die EU-Kommission aufmerksam prüfen, betont der Beirat – und es möglichst auch auf Produkte und Sektoren erweitern, die heute noch nicht abgedeckt sind.

Auch der zweite Emissionshandel, der jetzt schrittweise für die Nutzung von fossilen Brennstoffen in Gebäuden und im Verkehr eingeführt wird, müsse nachgebessert werden, so der Bericht. Vor allem die Preisdecke von 45 Euro pro Tonne CO2 bis 2030 gilt als sehr niedrig. Selbst der österreichische CO2-Preis, der durch das europäische Modell ersetzt werden könnte, sieht schon für 2025 einen Preis von 55 Euro pro Tonne vor.

Steigt der CO2-Preis weiter, soll der Klima-Sozialfonds der EU die Einnahmen so rückverteilen, dass besonders die Effekte auf vulnerable Gruppen abgefedert werden. Allerdings ist die Größe des Fonds auf 65 Milliarden begrenzt. "Es ist unklar, ob die Kombination aus dem Fonds und nationalen Einnahmen ausreichen wird, um Verteilungsprobleme auszugleichen", warnen die Forschenden.

Neues Klimaziel für 2040

Bis 2030 müssen die Mitgliedsstaaten laut Europäischem Klimagesetz ihre Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent senken, 2050 soll Europa dann klimaneutral sein. Der neue Klimakommissar Wopke Hoekstra kündigte an, als einen der letzten großen klimapolitischen Schritte bis zur EU-Wahl im Juni ein neues Ziel für 2040 festzuzurren. Bis dahin sollen die Emissionen im Vergleich zu 1990 um mindestens 90 Prozent sinken.

Das deckt sich auch mit der Forderung des Klimabeirats: Für 2040 müssten die Emissionen um 90 bis 95 Prozent fallen. "Wir müssen uns schon heute für die Emissionsreduktion vorbereiten, die in der nächsten Dekade noch um einiges tiefer gehen muss", sagt Klimaökonom Edenhofer. Mit der EU-Wahl werden die politischen Mehrheiten in Brüssel neu gemischt – das Ergebnis wird auch für die europäische Klimapolitik entscheidend. (Alicia Prager, 18.1.2024)