Das Warenhaus Herzmansky in Wien 
Schaut aus wie ein Palast, ist aber ein Warenhaus: August Herzmansky hat sich in der Mariahilfer Straße in Wien einst einen ausgeklügelten Standort ausgesucht.
Austrian Archives / brandstaette

"Im Hintergrund der Halle war eine der dünnen gußeisernen Säulen, die das Glasdach trugen, gleichsam in ein Geriesel von Stoffen gehüllt, ein wallender Wasserfall, der sich von oben herab, immer breiter werdend, bis auf den Parkettboden ergoß … auf einem Grund von Seide und Atlas, die mit ihren schillernden Flecken einen reglosen See bildeten, darin die Spiegelungen von Himmel und Landschaft zu schwanken schienen. Bleich vor Begierde beugten sich die Frauen vor, als wollten sie ihr Bild darin erblicken."

In seinem Roman Das Paradies der Damen entführt Émile Zola die Leserschaft in einen neuartigen Konsumtempel, der die weibliche Kundschaft in regelrechte Rauschzustände versetzt. Sie bewegt sich inmitten exquisit dekorierter Schaufenster, großzügiger Verkaufsflächen und flaniert durch ein glamouröses Haus, dessen prunkvolle Fassade förmlich hineinzieht. Zola griff auf, was er bei seinen Recherchen gesehen hatte. Doch ist das noch zeitgemäß? René Benkos Luxuskaufhaus-Gruppe KaDeWe bereitet laut deutschen Medien einen Insolvenzantrag vor. Die Gruppe, in der das Kaufhaus im Berliner KaDeWe, dem Alsterhaus in Hamburg und dem Oberpollinger in München geführt wird, sei "sicher aufgestellt“, hatte KaDeWe-Chef Michael Peterseim zuletzt häufiger erklärt, nachdem Benkos Imperium zu wackeln begann. Doch zunächst noch einmal zurück in die Vergangenheit.

Alles unter einem Dach

1852 öffnet in Paris das Au Bon Marché unter der Regie von Aristide Boucicaut, einem fortschrittlichen Mann. Wurde davor gefeilscht, führte Boucicaut feste Preise ein – und erfand das Umtauschrecht. Wer kam, konnte gustieren, kaufen musste er nicht. Wer meint, die subtile Verführung der Kundschaft wäre eine Erfindung der Gegenwart, der irrt. Boucicaut verschenkte Luftballone an die Kinder und preiste billige Lockartikel an.

Es war ein Erfolgsrezept, die Pariser und Pariserinnen überrollten sein Geschäft. Ausbau war gefragt: Das Warenhaus Au Bon Marché füllte später einen ganzen Straßenzug. Mode, Düfte, Haushaltswaren, Möbel, Lebensmittel – alles, was das Herz der Mittelschicht im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts begehrte, fand sich unter einem Dach. Die Choreografie war aus einem Guss – großes Theater für Ware und Publikum.

Anklang fand es nicht nur in Paris. Das Kaufhaus trat seinen Siegeszug an. In London, Brüssel, Amsterdam, Chicago und New York eröffnen neue imposante Konsumpaläste. Macy’s und Bloomingdale’s in den USA, Harrods in London, es sind große Namen, die die Geburtsstunde der neuen Warenwelt begründen. Die Häuser wurden größer und größer, die Zahl der Mitarbeiter und angebotenen Waren wuchs und wuchs. Viele der Gründer wurden schwerreich.

Konsumtempel

Leipzig, dann Berlin – Deutschland war mit seinen Konsumtempeln später dran, ebenso wie Wien. Die Hauptstadt des Habsburgerreichs hinkte bei Bevölkerung und Wirtschaftsentwicklung hinterher. Wohlhabende ließen sich im späten 19. Jahrhundert mit Mode aus Paris und London beliefern. Im städtischen Palais oder in der lauschigen Villa auf dem Land wurde probiert, was Handelsvertreter in feinen Schachteln lieferten. Von der Stange gekauft wurde damals nicht, sagt der Sozialwissenschafter Andreas Weigl, Fachmann für Konsumgeschichte an der Uni Wien.

Das KaDeWe in Berlin. 
Ein Besuch im KaDeWe steht auch bei den meisten Berlin-Besuchern auf dem Programm.
IMAGO

Knapp vor der Jahrhundertwende hielten die Leuchttürme der Moderne auch in der Wiener Innenstadt Einzug. Der aus Ungarn zugewanderte Jacob Rothberger eröffnete rund um 1890 am Stephansplatz zwei prunkvolle Häuser. Das Warenhaus Neumann wurde nach Entwürfen von Otto Wagner erbaut, an seiner Stelle steht heute das Steffl. Es waren vor allem Textilhändler, die sich rasch etablierten. Rothberger arbeitete als Schneider in Paris, ehe er aus Pest nach Wien kam. Teil seines Geschäfts war eine sogenannte Kleiderschwemme. Kunden konnten ihre alten Kleider abgeben, Neuware gab es dafür billiger. Der Wandel vom Einzelhandel zum Warenhaus war voll im Gang. Den Neuen trug das – vielfach antisemitische – Anfeindungen ein.

Von der Innenstadt nach Mariahilf

Der Wandel war dennoch nicht aufzuhalten. Die Händler breiteten sich aus – etwa in der Mariahilfer Straße. In Wien um 1900 war dies ein guter Ort, um sich zu präsentieren, selbst der Kaiser kam vorbei, wenn er in der Früh von Schönbrunn zur Hofburg fuhr. Mit dem Stellwagenverkehr, dem Vorläufer der Straßenbahn, war für die Kundschaft aus der Innenstadt auch für ein Transportmittel gesorgt, sagt Weigl.

Der aus Schlesien eingewanderte August Herzmansky kam 1848 nach Wien und eröffnete ein Textiliengeschäft auf der Mariahilfer Straße. Sein Hauptkonkurrent wurde sein ehemaliger Mitarbeiter Alfred Gerngroß. Dieser gründete 1879 ein Stoffgeschäft, das bald zu einem der größten Warenhäuser Wiens heranwuchs. Das Haupthaus wurde 1904 im Jugendstil erbaut. Die aufstrebende bürgerliche Mittelschicht beglückte man mit Abteilungen für Wäsche, Damen-, Herren und Kinderkonfektion, Haus- und Küchengerätschaft. Die Textilware wurde teilweise im Haus produziert.

Das Warenhaus Herzmansky in Wien, innen
Der Kaiser kam auf dem Weg von Schönbrunn in die Hofburg vorbei. Einkaufen konnten hier nur Begüterte.
ÖNB / ÖNB-Bildarchiv / picturede

Ort der Verführung

Es waren Tempel der Kauflust, Orte der Verführung, kunstvoll architektonisch inszeniert – großzügige, mit Glaskonstruktionen überdachte hallenartige Räume, herrschaftliche Stiegenanlagen, oft durch tausende Glühbirnen zum Strahlen gebracht. Sie waren wie gemacht, um Besucher zum Staunen zu bringen. Drinnen übte man die hohe Kunst des Verkaufs: Lockangebote an jeweils einem anderen Wochentag, begleitet von einer massiven Inseratenkampagne, alles nicht neu. Kastner & Öhler eröffnete in Graz, in Linz startete der aus Westböhmen zugewanderte Franz Hofmann am Hauptplatz ein Warenhaus. Man durfte Lift fahren, lustwandeln, sich mondän fühlen – und konnte kaufen.

Eine Installation im Le Bon Marché in Paris. 
Einkaufserlebnis inszenieren im Le Bon Marché in Paris – hier ist eine Kunstinstallation zu sehen.
APA/AFP/JOEL SAGET

Manche der damaligen Tempel haben bis heute überlebt, die wenigsten in ihrer alten Form. Viele wurde in der NS-Zeit zerstört, arisiert, neu gebaut, von späteren Erben verkauft. Heute sind die meisten im Eigentum von Immobilienfirmen oder Investoren und werden von Shoppingcenter-Betreibern geführt. Mit den Einkaufszentren auf der grünen Wiese kam in den 1970er-Jahren eine amerikanische Idee nach Europa und setzte sich immer mehr durch. Für einen weiteren Umbruch sorgt nun der Onlinehandel. Die Pandemie hat ihm einen Schub beschert. Man versucht sich nun an neuen (alten) Ideen – Inszenierung, Concept-Stores, Gastronomie, schicke Architektur.

Die letzten Ikonen

Wer die Luft von einst heute atmen will, reist nach London und sucht das Harrods in der Brompton Road auf. Die Fassade wird seit Jahr und Tag von tausenden Lichtlein erhellt. Einen ganzen Tag kann man dort in einem der feinen Restaurants herumlümmeln, sich im Beautysalon verlustieren, um sehr viel Geld ein kleines bisschen shoppen. In Deutschland gibt es keinen besseren Ort als das Berliner KaDeWe, um die Aura der Vergangenheit einzusaugen. Düfte im Erdgeschoß, opulente Feinschmeckerabteilung weiter oben. Marlene Dietrich soll nur hier ihre Handschuhe gekauft haben. René Benko hat das KaDeWe in besseren Tagen seinem Imperium einverleibt, heute ist der verbliebene Anteil unter dem Dach der in Sanierung befindlichen Signa Prime. Die Signa-Insolvenz trifft auch den insolventen Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof erneut ins Mark - auch Karstadt war einst eine Ikone. Laut deutschen Medien steht nach Galeria nun auch die KaDeWe-Gruppe vor der Insolvenz, berichtete das Wirtschaftsmagazin "Capital" am Samstag. Wirtschaftliche Probleme hat das KaDeWe nach Angaben des Handelsverbands Berlin-Brandenburg nicht. "Das KaDeWe läuft super", sagte Verbands-Hauptgeschäftsführer Nils Busch-Petersen im rbb24-Inforadio, es sei eine "Preziose".

Zur KaDeWe-Gruppe gehört auch das in Bau befindliche Lamarr-Kaufhaus in der Wiener Mariahilfer Straße. Für den Standort interessiert sich auch das Handelsunternehmen Spar, wie dessen Vorstandschef Hans Reisch in einem Interview mit den "Salzburger Nachrichten" am Freitag bekräftigte. Konkrete Schritte sind aber nicht geplant.

Es sei am ehestens die Mittelklasse, die unter die Räder komme, "Ikonen funktionieren auch heute noch", sagt Christoph Teller, Handelsexperte von der JKU in Linz. Die Mariahilfer Straße, findet er, sei ein guter Platz für so einen luxuriösen Konsumtempel wie Benkos Lamarr, benannt nach dem Hollywoodstar und der Erfinderin Hedy Lamarr. Das würde aus seiner Sicht die gesamte Mariahilferstraße aufwerten.

Doch ob die Memorabilia der berühmten Wienerin noch - wie geplant - eine Heimstatt in der Einkaufsstraße finden werden, steht in den Sternen. Das Schicksal des Edelkaufhauses aus dem Signa-Imperium hängt nach dessen Implodieren in der Luft. Wer ein Stück Kaufhausgeschichte erleben will, kann auch heute noch das zum Luxusgüterriesen LVMH gehörende Bon Marché in Paris besuchen. Man muss ja nicht kaufen, sondern kann auch nur durchflanieren. (Regina Bruckner, 29.1.2024)

Diese Geschichte wurde um 12:33 Uhrum die Einschätzung des Handelsverbands Berlin-Brandenburg zum KaDeWe ergänzt.