Für die deutschen Behörden hat Martin Sellner offenbar den Bogen überspannt. Wie der "Spiegel" am Wochenende enthüllte, hat die deutsche Bundespolizei den rechtsextremen Aktivisten aus Österreich verdeckt zur Fahndung ausgeschrieben. Kontrolliert die deutsche Polizei künftig Sellner, schlägt eine Art von Alarm auf, und es könnte die Weiterreise verweigert werden.

Sicherheitsbehörden nutzen diese "verdeckte Fahndung" vor allem, um Reisebewegungen von verdächtigen Personen nachvollziehen zu können. Dabei geht es etwa um Jihadisten genauso wie um mutmaßliche Spione, die als Diplomaten reisen.

Rechtsextremist Götz Kubitschek (Mitte) und Martin Sellner
© Christian Fischer

Eine "Einreisesperre" ist das nicht – wobei deutsche Behörden überlegen, Sellner mit einer solchen zu belegen. Dafür müssen jedoch hohe juristische Hürden übersprungen werden. Gegen Sellner wurde zwar wegen einer Reihe von Delikten ermittelt, rechtskräftig schuldig gesprochen wurde der identitäre Aktivist aber nie.

Deshalb ist beispielsweise auch ein Passentzug wie bei Neonazi Gottfried Küssel keine Option. Die Wiener MA 62 soll derzeit dazu tendieren, Küssel keinen neuen Pass auszustellen; seit seiner letzten Verurteilung darf er Österreich nicht verlassen. Sellner hatte seine aktivistische Laufbahn einst unter Küssel begonnen, sich aber von dessen Neonazismus distanziert, der Küssel mehrfach Haftstrafen einbrachte.

Stein des Anstoßes für die verdeckte Fahndung gegen Sellner war dessen Referat beim sogenannten Düsseldorfer Forum in Potsdam. Dort stellte Sellner reichen Unternehmern und Personen aus der AfD seine Pläne für Massenvertreibungen vor. Diese Pläne standen im Einklang mit den schon jahrelang propagierten Inhalten der Identitären, die nun immer offener auch von Teilen der FPÖ und der deutschen AfD begrüßt werden. Trotzdem hat das Geheimtreffen nahe Berlin eine Welle der Empörung losgetreten, in vielen deutschen Städten kam es zu großen Demos gegen rechts außen. Auch in Wien wurde vergangenen Freitag demonstriert, drei mutmaßliche Identitäre entrollten daraufhin ein Transparent auf dem Palais Epstein, das zum Parlament gehört. Sie sollen vom Dach eines benachbarten Hauses auf das Palais Epstein gelangt sein; das Wiener Landesamt Staatsschutz und Extremismusbekämpfung ermittelt.

Für die Behörden ist Sellner gewissermaßen ein alter Bekannter; die Identitäre Bewegung wird schon lange vom deutschen wie auch vom österreichischen Verfassungsschutz beobachtet. Sellner gilt als ideologischer Vordenker der neurechten Szene, als Gefährder im Sinne einer Gewaltbereitschaft soll er von österreichischen Behörden nicht gesehen werden.

Sellner hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach über Einreisesperren geklagt: Im Jahr 2018 war er aus Großbritannien abgeschoben worden; im Jahr 2019 soll ihm wegen seiner E-Mail-Kontakte zu einem späteren Rechtsterroristen und Massenmörder – dem Attentäter von Christchurch in Neuseeland – ein Visum für die USA verwehrt worden sein. Dort hätte Sellner seine Freundin, die neurechte Aktivistin Brittany Pettibone, heiraten wollen; stattdessen fand die Trauung in Österreich statt.

Auf seinem Telegram-Kanal hat Sellner jedenfalls schon angekündigt, sich gegen Schritte der deutschen Behörden rechtlich wehren zu wollen. (fsc, 28.1.2024)