Die UNRWA versorgt Palästinenser in Jordanien, Syrien, Libanon, dem Gazastreifen und dem Westjordanland.
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Als Philippe Lazzarini, Generalkommissar des Uno-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge, in einem Interview mit dem STANDARD im Sommer 2023 mit den bestehenden Vorwürfen konfrontiert wurde, sein Hilfswerk würde eine zu starke Nähe zur Hamas zulassen, konterte Lazzarini pragmatisch: "Wir müssen mit ihnen in Kontakt sein, um dort überhaupt arbeiten zu können." Eine Einmischung in die Arbeit der UNRWA gebe es jedoch nicht. Damals stand unter anderem im Raum, dass in den Schulen der UNRWA Gewalt gegen Juden, Märtyrertum und der Dschihad verherrlicht würden, Lehrkräfte Hamas-Mitglieder seien oder Hitler als "großartigen Führer" auf Facebook feiern. Einzelfälle, meinte Lazzarini damals.

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Neue Details

Nun steht das Uno-Hilfswerk abermals im Verdacht, mit der Hamas zusammenzuarbeiten. Die Vorwürfe wiegen diesmal allerdings ungleich schwerer: Zwölf seiner Mitarbeiter sollen am Großangriff der islamistischen Terrororganisation gegen Israel am 7. Oktober beteiligt gewesen sein. Ein UNRWA-Mitarbeiter sei an der Entführung einer Frau beteiligt gewesen, ein anderer habe Munition verteilt, ein weiterer sei sogar an einem Massaker beteiligt gewesen, bei dem 97 Menschen starben, berichtete die "New York Times" am Sonntag (Ortszeit) unter Verweis auf ein entsprechendes israelisches Dossier, das der US-Regierung vorliege. Bei dem Angriff am 7. Oktober 2023 wurden in Israel rund 1.200 Menschen getötet und weitere 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Die Massaker zogen den laufenden Gaza-Krieg nach sich. Der israelische Geheimdienst wirft laut Reuters sogar rund 190 Mitarbeitern vor, den radikal-islamischen Organisationen Hamas oder Islamischer Dschihad anzugehören.

Die Reaktion vieler Geldgeber auf die Berichte war dementsprechend (DER STANDARD berichtete). Nach Staaten wie den USA, Großbritannien, Deutschland oder Japan setzte am Montag nun auch Österreich temporär die weitere Finanzierung des Hilfswerks aus. Das Außenministerium bestätigte, dass alle Beiträge an die UNRWA suspendiert seien, "bis all diese Vorwürfe vollständig aufgeklärt sind und Klarheit über die daraus gezogenen Konsequenzen herrscht".

Gegründet 1949

Die UN-Organisation finanziert sich dabei zum größten Teil aus freiwilligen Beiträgen der USA und der EU und anderer Uno-Mitgliedsstaaten. Die Beiträge stagnieren seit mehr als einem Jahrzehnt. 1949 eigentlich als temporäre Organisation gegründet, kümmert sie sich um die Belange der als Flüchtlinge registrierten Palästinenser, die im Zuge der Staatsgründung Israels 1948 und des darauffolgenden ersten arabisch-israelischen Kriegs vertrieben wurden oder geflohen sind. Der Flüchtlingsstatus ist vererbbar, derzeit liegt die Zahl der registrierten palästinensischen Flüchtlinge bei fast sechs Millionen Menschen, die in Jordanien, Syrien, im Libanon und in den Palästinensergebieten leben.

Die Tätigkeitsfelder der UNRWA sind umfassend und reichen von Bildung, medizinischer Versorgung, Hilfs- und Sozialdiensten bis hin zu allgemeiner Infrastruktur und humanitärer Hilfe. Das Mandat der UNRWA wird von der UN-Generalversammlung regelmäßig um drei Jahre verlängert. Von den insgesamt 30.000 UNRWA-Mitarbeitern sind allein 13.000 im Gazastreifen in mehr als 300 Einrichtungen tätig. Nach UN-Angaben sind von den 2,4 Millionen Einwohnern des Gazastreifens rund 1,7 Millionen als Flüchtlinge registriert.

Israel kritisiert die Hilfszahlungen der Uno-Mitgliedsstaaten seit langem als mögliche indirekte Finanzierung der von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuften Hamas. Insgesamt wird der UNRWA von westlich eingestellten Ländern vorgeworfen, dass sie lediglich die bestehende Situation weiterführe, anstatt Integration zu fördern und damit die Anzahl der Flüchtlinge zu reduzieren. Die UNRWA weist die Vorwürfe zurück. Die Frage ist vor allem deshalb brisant, weil mit dem Flüchtlingsstatus ein Rückkehrrecht verbunden ist. (mhe, 29.1.2024)

Länder mit meisten Hilfsgelder-Zusagen an die UNRWA 2022.
APA