Bildbeschreibung
Der Gürtel ist Verkehrs- und Grünfläche, Ausgehmeile und Wohnraum. Seit kurzem kursieren mehrere Konzepte für seine künftige Gestaltung.
Der Standard/Fatih Aydogdu

Mit 13 Kilometer Länge und im Schnitt 70 Meter Breite ist der Gürtel ein elementarer Teil des Wiener Stadtraums. Ein Teil, auf dem viele Nutzungen, Bedürfnisse und Wünsche zusammenkommen.

Hitzeinseln: Von 1500 neuen Bäumen bis zu "Centralpark"

Wenn die Sonne im Sommer hoch über dem Wiener Gürtel steht, dann brennt es nicht nur von oben herab, sondern es dampft auch vom Asphalt hinauf.

Der Gürtel ist eine urbane Hitzeinsel. Ideen, die für Abkühlung sorgen sollen, gab es bereits einige – die plakativste war wohl der Gürtelpool: Im Sommer 2020 wurde die "Freizeitoase Gürtelfrische West" an einer starkbefahrenen Kreuzung zwischen siebenten und 15. Bezirk aufgebaut – inklusive eines 33 Quadratmeter großen Swimmingpools, Liegewiesen, Grünflächen und Palmen. Das Pop-up-Projekt, das die Grünen vorangetrieben hatten, wurde stark kritisiert – besonders wegen der hohen Kosten.

Wasser soll keines mehr den Gürtel hinunterfließen. Ideen zur Umgestaltung der Straßenverkehrsader in Richtung Grün- und Wohlfühlort gibt es jedoch weiterhin. Das "Zukunftsbild" der Grünen sieht so aus: Der Platz am Gürtel soll neu verteilt werden, mehr Natur soll einziehen – etwa durch die Neupflanzung von 1500 Bäumen. Dadurch sollen schattige sowie kühle Aufenthalts- und Durchgangsräume entstehen. Außerdem stellt sich die Umweltpartei breite Gehwege und Grünstreifen auf der gesamten Gürtellänge vor.

Rendering vom Wiener Gürtel.
Die Grünen haben eine Visualisierung für ihre Vision des Gürtels erstellen lassen.
bauchplan

Ideen hat auch die Volkspartei: Im Abschnitt zwischen Eichenstraße und Schönbrunner Straße würden Betriebe den Gürtel als Standort meiden. Daher wollen die Türkisen an der Grenze zwischen dem fünften und zwölften Bezirk eine 60.000 Quadratmeter große Grünfläche schaffen. Laut Plänen der ÖVP würden die Fahrspuren tiefergelegt werden und unterirdisch in die Mitte des Gürtels wandern. Darüber soll der "Centralpark 5.12" als Parkfläche mit Wasserbereichen, Kulturorten, Spiel- und Sportplätzen sowie Gastrostätten dienen. Die Idee der Untertunnelung hatte einst auch Ursula Stenzel für den Schwedenplatz. Die Stadt lehnte ab – die Kosten waren zu hoch.

Auch im aktuellen Fall geht die Stadt einen anderen Weg. Die Stadt Wien hat den Planungsprozess zur Umgestaltung des Mittelstreifens des Westgürtels vor kurzem gestartet – dieser soll aufgewertet und werden.

Verkehr: Berüchtigt für Autos

Ring, Zweierlinie und Gürtel: Das ist die heilige Dreifaltigkeit für jene, die in Wien mit dem Auto unterwegs sind. Auf Letzterem lässt es sich auf weiten Strecken über vier Spuren, verteilt auf zwei Fahrbahnen, von der Gürtelbrücke nach St. Marx rauschen – und retour. Im Schnitt tun das täglich rund 70.000 motorisierte Fahrzeuge. Keine Straße in Wien, abgesehen von den Autobahnen, habe mehr Verkehrsaufkommen, heißt es von der für Verkehr zuständigen MA 46. Das macht den Gürtel zum Lieblingsziel von Klimaaktivistinnen und Umweltschützern für Blockaden und Klebeaktionen. Und verschafft ihm einen Fixplatz in den Verkehrsmeldungen.

Eine Blockadeaktion der Letzen Generation am Währinger Gürtel im Mai 2023.
APA/EVA MANHART

Andere Fortbewegungsformen existieren am Gürtel aber auch. Enorm gestiegen ist in den vergangenen Jahren die Zahl der Radfahrerinnen und Radfahrer. Registrierte die automatische Zählstelle am Neubaugürtel 2013 rund 484.000 Radelnde, waren es 2022 bereits 676.00. Und das trotz teils ausbaufähiger Infrastruktur, die mitunter im Zickzackkurs verläuft. Dazu kommen Fußgängerinnen und Fußgänger: Sie müssen häufig lange Umwege machen, um die breiten Fahrbahnen zu queren.

Zusätzlich transportieren öffentliche Verkehrsmittel entlang des Gürtels tausende Personen. Wie die Wiener Linien berechnet haben, fahren allein im Bereich Spittelau bis Gumpendorfer Straße an einem durchschnittlichen Werktag um die 220.000 Menschen mit Bus, Bim und U-Bahn.

Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) will die insgesamt acht Kfz-Spuren auch künftig behalten. Das geht aus einer aktuellen Ausschreibung von Gestaltungsmaßnahmen für sechs Bereiche zwischen Döblinger und Gumpendorfer Gürtel hervor. Aber: Nebenfahrbahnen, Parkplätze und Parkspuren sollen "intensiv betrachtet" werden. Insgesamt soll der Gürtel für den Fußverkehr so attraktiver werden.

ÖVP und Grüne haben ebenfalls Konzepte ausgearbeitet. Die Türkisen wollen die Fahrstreifen auch erhalten und Radwege erweitern. Geht es nach den Grünen, sollen künftig zwei Kfz-Spuren pro Richtung reichen – und stattdessen Radwege und Gehsteige entstehen.

Wohnen: Aufpoliertes Altes, gefördertes Neues

Als gute Wohngegend gilt der Gürtel eher nicht. Sondern mehr als Bereich, der jene mit beschränktem Budget hinter unansehnliche Fassaden lockt. Reichlich besiedelt ist er jedenfalls: Allein entlang des Westgürtels, also im Abschnitt Döblinger bis Gumpendorfer Gürtel, leben laut Planungsressort 145.000 Menschen – etwas mehr als in Innsbruck und ein bisschen weniger als in der Stadt Salzburg.

In den vergangenen Jahren hat Wien kräftig in den Bereich investiert: Seit 2005 seien rund 419 Millionen Euro an Förderungen für Häusersanierungen bereitgestellt worden, heißt es aus dem Wohnbauressort. Diese flossen in Form von Zuschüssen oder Darlehen in die Renovierung von 606 Objekten. 533 dieser Häuser seien bereits fertig saniert, 23 in Bau, der Rest in Vorbereitung.

Und: Neue Wohnhäuser werden am Gürtel auch gebaut. In Meidling etwa wurde im vergangenen Frühjahr ein Viertel mit 850 geförderten Wohnungen fertig, ein Teil davon grenzt direkt an den Gaudenzdorfer Gürtel. Den hat übrigens Georg Danzer in einem Lied verewigt – denn er wuchs dort auf. Gaudenzdorfer Gürtel 47 erzählt davon, wie der 14-jährige Danzer auf das Treiben auf der Straße blickt. Vor wenigen Jahren wurde dieses Gebäude saniert – aufwendig und nahe am Original.

Direkt am Landstraßer Gürtel entstehen bis 2027 rund 1900 geförderte und freifinanzierte Wohnungen – im sogenannten Village im Dritten. Zu dem Dorf an der Verkehrsachse gehören unter anderem ein großer Park und Gewerbeflächen. Ebenfalls bis 2027 werden am Wiedner Gürtel im Stadtteil Neues Landgut 1500 Wohnungen fertig, wobei die Häuser durch die Bahntrasse von der Straße getrennt sind. Noch heuer sollen die Bewohnerinnen und Bewohner des Sophienquartiers am Neubaugürtel einziehen – in 200 geförderte Wohnungen.

Soziales: Tagesstätten und rauschendes Nachtleben

Als "Unsicherheitszone" bezeichnete ÖVP-Wien-Chef Karl Mahrer vergangenes Jahr den Bereich zwischen dem Wiener Gürtel und dem Brunnenmarkt.

Ob Unsicherheitszone oder nicht, Hotspot ist der Gürtel jedenfalls – und da spielen ganz unterschiedliche Faktoren und Gruppen eine Rolle. Zum einen: Der Gürtel ist zur Ausgehmeile avanciert. In den Bögen der ehemaligen Stadtbahn siedelten sich seit den 1990er-Jahren immer mehr Lokale und Clubs an – und dort wird ordentlich getrunken. Kaum ein Wochenende vergeht, an dem es keine Berichte über Rangeleien und Co gibt.

Aber auch abseits von den Nachtschwärmerinnen und Ausgehfreunden ist der Gürtel ein sozialer Brennpunkt. Etwa in dem Bereich, den die ÖVP als Problemstelle identifiziert hat. Denn: Gleich bei der U6-Station Josefstädter Straße befindet sich eine Tagesstätte für obdachlose Menschen. Dort gibt es neben Ruheräumen, Duschen und Toiletten auch eine Küche zum Selbstkochen. Bis zu 100 Personen können sich zeitgleich im Tageszentrum aufhalten.

Vier Stationen weiter ist bei der Gumpendorfer Straße eine der größten Suchthilfeeinrichtung der Stadt – die der ÖVP ebenso ein Dorn im Auge ist. Rund um den Bereich der städtischen Einrichtung würden "drogen- und alkoholabhängige Menschen Passanten belästigen", hielt Mahrer in einem Video vergangenes Jahr fest. Auch die FPÖ wettert gegen das Zentrum und den dort stattfindenden Spritzentausch. Die SPÖ sieht das anders: Man setze auf ein Sucht- und Drogenhilfenetzwerk, das über die ganze Stadt verteilt ist.

Gastro: Irish Pub anstelle von Blaustern

Das Chelsea war am Anfang da, viele weitere Lokale folgten. Und machten den nächtlichen Gürtel zu einer beliebten Ausgehmeile. Einer, auf der immer etwas los ist.

Ein Wrestling-Event im Weberknecht.
Heribert Corn

Erst vor etwa zwei Monaten hat zum Beispiel das legendäre Blaustern am Döblinger Gürtel neue Betreiber bekommen. Das frühere Café-Restaurant ist jetzt ein Irish Pub. Serviert wird unter anderem Fish & Chips, Pub-Quizzes und Public Viewings von Sportevents sind geplant. Weiter in Richtung Zentrum gab es vergangenen Herbst – einmal mehr – schlechte Nachrichten: Nachdem die Institution Weberknecht am Lerchenfelder Gürtel bereits während der Corona-Pandemie in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, wurde Ende 2023 über die Eröffnung eines Konkursverfahrens berichtet. Das Studentenlokal, bekannt für Konzerte und Wrestling, hat aber weiter geöffnet.

Dass der Gürtel überhaupt ein Ort für Clubs, Bars und Beisln wurde, geht zum Teil auf das Konto der EU. Die förderte in den 1990er-Jahren die Sanierung von dutzenden Stadtbahnbögen. Zuvor waren dort, unter den U6-Gleisen, Gewerbebetriebe angesiedelt gewesen. Diese zogen sich aber nach und nach zurück – und Leerstände ein: So entstand Platz für andere Nutzungen. Die Grünen wollen nun an diese Strategie anknüpfen, die Bögen weiter aufwerten: Ihnen schweben durchlässige Glasfronten vor. Dies soll die Räume auch für Geschäfte und Nahversorger attraktiver machen. (Oona Kroisleitner, Stefanie Rachbauer, 30.1.2024)