Wenn sie sich nicht gerade darüber ärgert oder freut, so viele
Wenn sie sich nicht gerade darüber ärgert oder freut, so viele "Ärsche" auf Augenhöhe zu haben, nutzt Performerin Cornelia Scheuer ihren Rollstuhl unter anderem als Drehbühne.
Sandra Fockenberger

Ärztin oder Basketballerin, Rollstuhlmechanikerin oder Rollstuhldesignerin – alles hätte sie werden können! Doch was ist sie geworden? Schauspielerin! So ärgert sich Elisabeth Löffler in einem aufs Herrlichste der Welt überdrüssigen und zum Gelangweiltsein gedimmten Sprechsingsang. Nicht nur das, hat sie das ständige Sitzen auch mächtig satt. "Setz dich zu mir", der Schmäh von Bühnenpartnerin Cornelia Scheuer kommt bei ihr deshalb gar nicht gut an. Löffler hat andere auf Lager. Etwa: "Drei Rollstuhlfahrer gehen in eine Bar. Das war’s schon." Tadaam!

Die Stühle in Eugène Ionescos gleichnamigem absurdem Einakter von 1951 haben keine Reifen, jene in Die Rollstühle von Yosi Wanunu schon. Der Regisseur und Autor (sowie Leiter der Gruppe Toxic Dreams) und die Gründerinnen von LizArt Productions haben den Theaterklassiker auf ein Leben mit Gehbehinderung umgelegt, die Uraufführung ist aktuell im Theater am Werk zu sehen. Man sollte sie nicht verpassen.

Denn nicht nur schnappt sich die Truppe die Essenz des Originals um ein greises, zankendes Paar. Sie spickt den Plot von Warterei und Enttäuschung eineinhalb Stunden lang auch mit unzähligen dunkelhumorigen Witzen und unaufdringlichen Denkanstößen zum Thema Beine haben – oder nicht. Stichwort: "Sitzen und sitzen lassen."

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Nicht nur mit Witz, auch mit ebenso viel Grazie, etwa wenn Scheuer ihren Rollstuhl zur Drehbühne umfunktioniert, wird hier gegen die Alltagslangeweile angekämpft. Wenn man nicht mehr weiterweiß, dreht man sich im Kreis.

Um Längen schlagen dann auch die Gäste der auf ihren fahrbaren Untersätzen versammelten Freundinnen die des Stückvorbilds. Nicht nur, weil sie illuster als "Olympiasiegerin im Kurzstreckengehen", "Person, die nur rückwärtsgeht" oder "Madame Bein, Oberbefehlshaberin der marschierenden Truppen" vorgestellt werden.

Mit jedem Klingeln der Türglocke cruist auch eine Armada Rollstühle auf die Bühne und wartet darauf, vom Publikum besetzt zu werden. Zu "Sesselwärmern" auf Zeit umfunktioniert, darf man sich plötzlich als Mitspieler erst ungelenk um die eigene Achse drehen. Eine interessante Perspektivverschiebung. So wandelt sich das Verhältnis von "Norm" und Abweichung im Raum.

Seit 2006 realisiert LizArt Productions Theaterprojekte nach eigenen Ideen und mit Menschen mit Behinderung und inkludiert dafür auch Darsteller ohne Behinderung (Vladimir Cabak, Romina Kolb und Florian-Raphael Schwarz). Was wäre eine Alternative zum Rollstuhl, fragt man am Schluss? Ein fliegender Teppich? Ließe sich daraus ein Business machen, statt zu schauspielern? Hoffentlich nicht. (Michael Wurmitzer, 30.1.2024)