Was von der Rede von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) mit Sicherheit übrigbleibt, ist, dass er üppige Steuersenkungen für Beschäftigte und Unternehmer gleichermaßen verspricht. Bisher gibt es zu den entsprechenden Kosten nur Überschlagsrechnungen. Demnach dürfte der Einnahmenentfall der Republik irgendwo zwischen 13,5 und 16 Milliarden Euro liegen. Pro Jahr.

Will Karl Nehammer seine Entlastungen gegenfinanzieren, müsste er bei Subventionen massiv kürzen.
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Die ÖVP selbst hat noch keine Rechnung zu den Kosten ihres "Österreich-Plans" präsentiert. Diese soll es laut Nehammer zwar geben, Fragen danach ließ er allerdings in der ORF-Pressestunde am Sonntag unbeantwortet. Was es aber gibt, ist eine Abschätzung aus dem Arbeitsministerium zu einzelnen Aspekten der Entlastungsvorschläge. So kostet etwa die geplante Senkung der Lohnnebenkosten um 0,5 Prozentpunkte pro Jahr in der kommenden Legislaturperiode (fünfmal) etwa vier Milliarden Euro im Endausbau. Auch der Effekt der geplanten Senkung des Eingangssteuersatzes von 20 auf 15 Prozent lässt sich gut abschätzen, ebenso die Steuersenkung für Spitzenverdiener mit einem Monatsgehalt zwischen 6.600 und 9.500 Euro sowie der Bonus von 1.000 Euro für Vollzeitbeschäftigte.

Video: Nehammers "Österreich-Plan": Steuersenkungen "für die arbeitende Mitte."
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Schwieriger ist es, exakt zu sagen, was dem Staat entgeht, wenn Überstunden komplett steuerfrei werden und der Erwerb des ersten Eigenheims von allen Gebühren und Abgaben befreit wird, so wie Nehammer das will.

Und das war ja noch nicht alles: Dazu kommt die Forderung, Kapitalertragsteuern bei Spareinlagen bis 100.000 Euro abzuschaffen. Bei Finanzpapieren sollen Kursgewinne nicht besteuert werden, wenn die Papiere mehrere Jahre gehalten werden. Die Arbeiterkammer schätzt, dass sich diese Entlastungsmaßnahmen auf zwölf Milliarden Euro summieren.

Dazu kommt noch die Einführung der Abzugsfähigkeit von fiktiven Eigenkapitalzinsen. Unternehmen können aktuell Ausgaben für Kreditzinsen steuerlich absetzen. Darin sehen viele Unternehmen eine Diskriminierung von Betrieben, die viel Eigenkapital halten, weil es dafür keinen Abzug gibt. Um das auszugleichen, fordert die Industrie schon länger, Kosten für Eigenkapital mit einer "fiktiven Verzinsung" abzugsfähig zu machen.

Die Industriellenvereinigung (IV) schätzt, dass dies den Betrieben 1,5 Milliarden Euro pro Jahr ersparen oder den Staat kosten würde. Der Ökonom Matthias Petutschnig von der WU Wien hat das im Auftrag der Arbeiterkammer nachgerechnet und kommt zu dem Ergebnis, dass die Kosten viel höher ausfallen könnten. Bei einem "fiktiven" Zinssatz von drei Prozent wären das vier Milliarden Euro im Jahr.

Alles in allem fehlen also 13,5 bis 16 Milliarden Euro. Die große Frage lautet: Wie soll das finanziert werden? Aus dem "Österreich-Plan" und der "Pressestunde" lassen sich drei Bereiche herauslesen, in denen die ÖVP Potenzial ortet: Die Einwanderung ins Sozialsystem soll reduziert werden; ein Teil der Entlastungen soll sich selbst finanzieren, weil niedrigere Steuern angeblich die Wirtschaft beleben; und schließlich will der Kanzler mit der "Förderitis" Schluss machen: "Direktförderungen durch die öffentliche Hand sollen reduziert werden."

Doch was lässt sich damit tatsächlich finanzieren? Geht sich eine echte Entlastung aus oder ist das eher Voodoo-Ökonomie, die hier zur Anwendung kommt? DER STANDARD hat alle drei Bereiche einem Check unterzogen.

Bei der Sozialhilfe ist wenig zu holen

Schnell abgehakt ist die Sache mit den Einsparungen im Sozialsystem. Volle Sozialleistungen soll es erst nach fünf Jahren legalen Aufenthalts im Land geben, heißt es im ÖVP-Plan. Dazu kommt, dass Geldleistungen möglichst durch Sachleistungen ersetzt werden. An welche Leistungen dabei gedacht ist, wird nicht ausgeführt. Aber infrage kommen wohl nur die Sozialhilfe und die Mindestsicherung. Das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungsleistung, wer einzahlt, ist versichert, da lässt sich nichts machen. Und Familienbeihilfe erhalten auch Leistungsträger wie Topmanager. Dass die ÖVP hier verstärkt Drittstaatsangehörige als qualifizierte Arbeitskräfte holen will, ihnen dann aber Kinderleistungen kürzt, darf bezweifelt werden.

Was lässt sich bei der Mindestsicherung holen? Antwort: sehr wenig. Laut Statistik Austria lagen die Ausgaben für Mindestsicherung und Sozialhilfe zuletzt bei 974 Millionen Euro im Jahr. Diese Zahlen stammen von 2022, da die Sozialhilfe die Länder abwickeln, dauert es, bis Daten zusammengetragen sind. Diese knappe Milliarde Euro entspricht gerade einmal 0,8 Prozent aller Staatsausgaben. Sogar wenn es dem Kanzler gelingen sollte, die Ausgaben für die Mindestsicherung zu halbieren (was völlig unrealistisch ist), mag das einen Beitrag zur Leistungsdebatte leisten. Zur Gegenfinanzierung trägt es nur minimal bis gar nichts bei.

Ein anderer Aspekt, der dann überraschend von ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker bei "Im Zentrum" im ORF vorgebracht wurde: Die ÖVP will ja auch ein degressives Arbeitslosengeld, das also mehr Stufen als bisher hat. Damit soll ein stärkerer Anreiz entstehen, Jobs anzunehmen, weil Menschen das Absinken des Arbeitslosengeldes stärker spüren. Dieses Modell soll 300 bis 500 Millionen Euro an Einsparungen bringen, sagte Stocker.

Das Wifo hat tatsächlich vor einiger Zeit ausgerechnet, was diverse Varianten eines degressiven Modells bringen und kosten würden. Damals wurde analysiert, wie das wäre, wenn das Arbeitslosengeld kurz höher ausfällt als aktuell und dann auf den Wert von 47 Prozent des Vorverdienstes abfällt, also unter das Level der aktuellen Notstandshilfe sinkt. Ergebnis: Diese Variante würde keine Einsparungen bringen, fasst Ökonom Helmut Mahringer die Ergebnisse zusammen. Was man sich spart, weil Beträge unter das aktuelle Niveau der Notstandshilfe sinken, muss man zugleich mehr ausgeben, weil dafür am Anfang mehr Arbeitslosengeld ausbezahlt wird.

Vorstellbar wäre, dass das Arbeitslosengeld nur sinkt und am Anfang nicht steigt – dann ließe sich aber eine spürbare Degression nur schwer einbauen. Und das Absenken der Notstandshilfe allein würde dem Staat demnach 66 Millionen Euro an Ausgaben ersparen. Auch das ist Geld, für Lohnnebenkostensenkung aber zu wenig.

Steuersenkungen finanzieren sich selbst – zu einem Bruchteil

Wie sieht es nun bei der Selbstfinanzierung von Entlastungen aus? Hier ist tatsächlich etwas zu holen. Ökonomen sprechen von dem sogenannten Multiplikator: Wenn der Staat mehr Geld ausgibt oder Steuern senkt, kann damit im Idealfall die Wirtschaft belebt werden. Wenn mehr investiert wird und mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, steigen dadurch in der Folge die Steuereinnahmen. Allerdings zeigen Berechnungen für Österreich, dass sich damit nur ein Bruchteil der Steuerentlastungen "selbst" finanziert.

Der Fiskalrat, der über die heimische Budgetentwicklung wacht, hat eine Studie erstellt, wie hoch der Selbstfinanzierungsgrad von Steuerentlastungen hierzulande ist. Die Experten Johannes Holler und Philip Schuster zeigen, dass zum Beispiel eine Senkung der Steuern und Abgaben bei Arbeitnehmern sich nach vier Jahren zu rund 28 Prozent selbst finanziert. Also: Ein Euro, um den der Staat Steuern kürzt, kostet ihn real 72 Cent. Wenn zum Beispiel Steuern auf Arbeit um zwölf Milliarden gesenkt werden, finanzieren sich damit grob gesagt um die drei Milliarden selbst. Bleibt ein Loch von neun Milliarden. Und bei einer Entlastung der Unternehmen? Diese würde sich laut Zahlen des Fiskalrats zu 40 Prozent selbst finanzieren. Blieben damit Kosten von 600 Millionen pro Jahr, nach der günstigen Rechnung der IV, die noch immer ein Lochs ins Budget reißen würden. Selbst unter Einrechnung von Einsparungen bei der Mindestsicherung bliebe also eine Neun-Milliarden-Lücke.

Bei Subventionen ist viel zu holen – aber wer traut sich?

Am meisten zu holen gibt es bei Förderungen. Der österreichische Staat gewährt jede Menge davon: an Landwirte und für Forschung, an Unternehmen und für Familien. Laut Förderbericht des Bundes flossen allein 2022 (neuere Zahlen gibt es nicht) stolze 33,3 Milliarden Euro vom Staat via Subventionen. Wer hier ordentlich reinfährt, kann beinahe jede Steuerentlastung finanzieren.

Nehammer selbst führt konkret Förderungen an, die er streichen würde, die aber gar nicht mehr existieren oder abgewickelt werden. Er nennt Maßnahmen aus der Pandemie und Ausgaben zur Abfederung der Inflation. Der Staat gab 2022 noch zehn Milliarden für Corona-Hilfen und Ähnliches aus. Heuer sollen es noch knapp 1,1 Milliarden sein, Tendenz stark sinkend. Das sind nur noch Altlasten. Beispiel, Kurzarbeitsgeld, das der Kanzler ebenfalls als Kürzungsmöglichkeit erwähnt hat: Hierfür wurden 2023 laut Zahlen des AMS gerade einmal noch 10,2 Millionen Euro aufgewendet.

Ähnlich ist die Entwicklung bei Teuerungshilfen. Mit dem Rückgang der Preise gehen auch diese zurück. Heuer sind rund eine Milliarde Euro vorgesehen für ausbezahlte Energiehilfen an Haushalte wie den Stromkostenzuschuss. 2025 ist fast nichts budgetiert. Sprich: Durch die Streichung dieser Altförderungen lässt sich nichts einsparen im kommenden Jahr, da müsste man an bestehende Subventionen ran. Aber an welche?

Bundeskanzler und ÖVP-Bundesparteiobmann Karl Nehammer im Rahmen der ÖVP-Präsentation des "Österreich-Plans" in Wels.
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Im "Österreich-Plan" findet sich dazu nichts, und auf Nachfrage, welche Subventionen konkret fallen sollen, nennt die ÖVP keine Beispiele. "Wie schwer es ist, Subventionen zu streichen, sieht man aktuell anhand der Bauernproteste in Deutschland", sagt der Budgetexperte des Forschungsinstituts Wifo, Hans Pitlik. "Von Subventionskürzungen profitiert die Allgemeinheit. Aber meist gehen Förderungen an spezielle Gruppen. Diese sind auch politisch stark, deshalb bekommen sie ja auch Subventionen. Deshalb ist es auch so schwierig zu kürzen."

Zusammenfassend: Die Sozialhilfe bringt fürs Budget nur Krümel, ein Teil der Ausgabensenkungen finanziert sich selbst, aber da bleibt noch eine große Lücke. Schließen lässt sich diese durch eine Streichung von Subventionen. Spätestens wenn der Wahlkampf wirklich beginnt, müsste die ÖVP offenlegen, was sie hier streichen will. (András Szigetvari, 30.1.2024)