Eine Boeing 737 Max 9 der Fluglinie United Airlines
United Airlines droht, bestellte Boeings durch den Airbus A321 neo zu ersetzen – das dürfte allerdings schwierig werden, da die Produktion der A320-Familie stark ausgelastet ist.
REUTERS/MIGUEL RODRIGUEZ

Das Bemühen der amerikanischen Luftfahrt, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, führt zu außergewöhnlichen Manövern. So war am Freitag, als erstmals nach drei Wochen wieder eine Maschine des Pannentyps Boeing 737 Max 9 abhob, auch Constance von Muehlen, Spitzenmanagerin von Alaska Airlines, an Bord. Sie wolle von Passagieren nichts verlangen, was sie nicht selbst machen würde, sagte sie dem TV-Sender CBS. Die Aktion erinnert an einen TV-Auftritt japanischer Minister, die im August Fisch aus Gewässern beim Unfall-AKW Fukushima aßen, um am eigenen Leib die Unbedenklichkeit des Verzehrs zu beweisen.

Der Einsatz der Alaska-Managerin von Muehlen zeigt den Ernst der Lage beim US-Konzern Boeing, der vor mehr als hundert Jahren in Seattle gegründet worden ist. Am 5. Jänner kam es in einer Boeing 737 Max 9 zu einer schweren Panne: Ein Teil der Kabinenwand, das einen in dieser Variante nicht benötigten Notausgang ersetzt, fiel aus dem Rumpf. Nur mit viel Glück kam niemand zu Schaden.

Constance von Muehlen saß drei Wochen später auf jenem Fensterplatz in Reihe 26, der am nächsten beim davor rausgerissenen Kabinenteil liegt. Die Panne von Anfang Jänner reiht sich jedenfalls in eine Serie von Fehlern in den Boeing-Werken, die die US-Luftfahrtbehörde FAA zu immer engmaschigeren Kontrollen zwingt.

Behörde deckelt Produktion

Die FAA verbot Boeing kürzlich auf unbestimmte Zeit, die Produktion des stark gefragten Modells 737 Max auszuweiten. Eigentlich wollte Boeing die Max-Produktion von jetzt 38 Flugzeugen im Monat schrittweise auf 57 bis zum Herbst 2025 hochfahren. Der Chef der US-Fluglinie United Airlines, Scott Kirby, überlegt sogar, bestellte Boeings Max 10 durch Flugzeuge vom Rivalen Airbus zu ersetzen. "Die Situation führt so weit, dass sich ein Airlinemanager gegenüber Aufsichtsrat und Shareholdern rechtfertigen muss, wenn er in der Bestellung auf Boeing setzt", sagt Michael Santo von der Münchner Unternehmensberatung H&Z dem STANDARD.

Profiteur der anhaltenden Boeing-Turbulenzen ist Airbus. "Aktuell ist die Marktsituation massiv zugunsten von Airbus gekippt", sagt Santo. Dabei ist Europas großer Flugzeugbauer mit Sitz im französischen Toulouse ohnehin schon mit Vorsprung ins Jahr 2024 gestartet. Airbus flog in den ersten neun Monaten 2023 ein operatives Ergebnis in Höhe von 2,3 Milliarden Euro ein. Boeing meldete für den gleichen Zeitraum einen operativen Verlust von 1,6 Milliarden Dollar (1,5 Milliarden Euro).

Airbus fliegt davon

Airbus überflügelt Boeing sowohl bei der Zahl der ausgelieferten Verkehrsflugzeuge als auch bei der Marge pro ausgelieferten Jet, wie eine Analyse des Luftfahrtportals Air Insight mithilfe von Daten des Informationsdienstes Aviation Value zeigt. "Boeing liegt seit zwei, drei Jahren hinten. Die Situation kann man mit einem Fahrradrennen vergleichen, bei dem einer von beiden 50 Meter hinten liegt, aber auch nicht mit derselben Geschwindigkeit fährt. Es sieht im Moment nicht so aus, als könne Boeing zu Airbus wieder aufschließen", sagt Luftfahrtexperte Santo. Für die Luftfahrtindustrie könne "man nur hoffen, dass Boeing sich erholt. Eine monopolartige Struktur verhindert langfristig Innovation und Wettbewerb."

Trotz des jüngsten Imageschadens für die Amerikaner werden übrigens immer noch fleißig Flugzeuge aus der Modellfamilie Boeing 737 bestellt. Denn der Hunger von Fluglinien nach neuen Maschinen ist groß, und die Auftragsbücher von Airbus sind übervoll.

Abhängigkeiten von Boeing

"Weil die Produktionskapazität von Airbus für mehrere Jahre ausgelastet ist, hat eine Fluggesellschaft, die kurzfristig neue Flugzeuge braucht, keine andere Wahl, als bei Boeing zu bestellen", sagte Luftfahrtberater Henry Harteveldt im "Handelsblatt". "Wenn ich als Airline heute schnell Flugzeuge brauche, ist Boeing meine erste Adresse", bestätigt Santo. Große Fluglinien stünden derzeit vor der Entscheidung, entweder längere Wartezeiten hinzunehmen oder bei Boeing zu kaufen. (Lukas Kapeller, 31.1.2024)