Gerichtssaal am Bundesverwaltungsgericht.
Zuletzt stand vor allem das Bundesverwaltungsgericht im medialen Fokus. Die Präsidentenstelle war mehr als ein Jahr lang unbesetzt.
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Vor genau zehn Jahren reformierte Österreich seine Verwaltungsgerichtsbarkeit grundlegend: Anfang 2014 wurden die Unabhängigen Verwaltungssenate (UVS) von elf Verwaltungsgerichten abgelöst. Die Gesetzesnovelle stellte die Überprüfung von Behördenentscheidungen auf völlig neue Beine und passte das System modernen rechtsstaatlichen Standards an.

Aus Anlass des zehnjährigen Bestehens hat die auf öffentliches Recht spezialisierte Anwaltskanzlei Eisenberger eine Analyse erstellt. Die Qualität der Gerichte lässt sich aus den Entscheidungen der höheren Instanz, des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH), ablesen. Das Ergebnis: Im Vergleich zu Zivilgerichten müssen Entscheidungen von Verwaltungsgerichten häufiger vom Höchstgericht korrigiert werden. Die Analyse zeigt zudem, dass die Qualität zwischen Gerichten stark variiert und die Verfahrensdauer Probleme bereitet.

27 Prozent werden korrigiert

Dazu eines vorweg: In die Statistik fließen nur jene Verfahren ein, die aufgrund eines Rechtsmittels vom Verwaltungsgerichtshof behandelt werden. Entscheidungen, die schon in der ersten Instanz von den Betroffenen akzeptiert wurden, werden also nicht berücksichtigt. Laut der Analyse gibt das Höchstgericht fast jedem dritten Rechtsmittel statt. Im Durchschnitt lag die Erfolgsquote in den letzten zehn Jahren bei 27 Prozent. Zum Vergleich: Urteile von Zivilgerichten der zweiten Instanz werden in rund 22 Prozent der Fälle aufgehoben oder abgeändert.

Am schlechtesten schneidet das Verwaltungsgericht Wien ab, mit einer Aufhebungsquote von 30 bis 35 Prozent. Auch beim Bundesfinanzgericht, das für Steuerangelegenheiten zuständig ist, und bei den Landesverwaltungsgerichten Niederösterreich und Oberösterreich ist mit 30 Prozent fast jede dritte Revision an den Verwaltungsgerichtshof erfolgreich. Den niedrigsten Wert erzielen mit rund 20 Prozent die Gerichte in Vorarlberg und Kärnten.

Auffällig sei, dass vergleichsweise viele Entscheidungen aus Salzburg, Tirol und Vorarlberg zum VwGH wandern, aber nur wenige davon aufgehoben werden, sagt Kanzleipartner Alexander Brenneis, der die Auswertung mit seinem Team durchgeführt hat. "Hier gibt es ganz klar ein Ost-West-Gefälle." Je weiter im Westen das Gericht, desto geringer die Aufhebungsquote.

Kritik am Bundesverwaltungsgericht

In Fokus der medialen Aufmerksamkeit stand zuletzt das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), dessen Präsidentenstelle aufgrund eines Streits der türkis-grünen Koalition mehr als ein Jahr lang unbesetzt war. Die Analyse ortet bei dem Gericht ein "offensichtliches Managementproblem", weil Verfahren besonders lange dauern.

Ablesbar ist das aus der Anzahl der Fristsetzungsanträge, die Betroffene stellen, wenn die Verfahren zumindest schon sechs Monate und ihrem Gefühl nach zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Ganze 72 Prozent aller Fristsetzungsverfahren, die beim Höchstgericht landen, betreffen das BVwG, bei einem Anteil von 40 Prozent aller VwGH-Verfahren. Auch der Rechnungshof übte in einem Bericht Anfang 2023 Kritik am Gericht und bemängelte den großen Rückstand an Verfahren. Das Ziel, die Verfahren zu beschleunigen, sei "bislang nicht erreicht" worden.

"Die Verfahren beim BVwG dauern einfach zu lange", sagt Anwalt Georg Eisenberger. Es brauche gesetzgeberische Beschleunigungsverfahren, vor allem bei Materien wie dem Umweltrecht. Abgesehen davon werde es auch am neuen Präsidenten liegen, "sich hausintern Gedanken zu machen". Denkbar wären etwa "interne Friste zwischen Einlangen des Aktes und Verhandlung, Listen von schnell und qualitativ gut arbeitenden Sachverständigen oder eine Personalaufstockung".

System hat sich "etabliert"

Claudia Fuchs, Professorin für Staatsrecht an der WU Wien, zieht eine grundsätzlich positive Bilanz. Die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit habe die Rechtsschutzstandards "massiv erhöht". Verbesserungspotenzial sieht die Juristin dennoch: "Schade ist, dass es nach wie vor an einem Prozessrecht aus einem Guss fehlt", sagt Fuchs dem STANDARD. Ein gemeinsames Verfahrensrecht für Verwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshof wäre "der Übersichtlichkeit zuträglich und unter Praktikabilitäts- und Anwendungsgesichtspunkten zu befürworten".

Insgesamt habe sich das System der Verwaltungsgerichte gut etabliert, findet auch Jurist Alexander Klingenbrunner, der vor mehr als zehn Jahren als Beamter an der Umsetzung der Reform federführend beteiligt war. Auf der verfassungsrechtlichen und verfahrensrechtlichen Ebene ortet der Jurist keinen Reformbedarf. Allerdings sieht Klingenbrunner Potenzial beim Berufsbild des Verwaltungsrichters, vor allem in Sachen Karrierepfad.

Zivil- bzw. Strafrichter haben nach einer standardisierten Richteramtsprüfung die Möglichkeit, zu anderen Gerichtsinstanzen oder Staatsanwaltschaften zu wechseln oder mit einer Zusatzprüfung in den Anwaltsberuf umzusteigen. Für Verwaltungsrichter, die keinen vereinheitlichten Ausbildungsweg haben, ist das deutlich schwieriger. Laut Klingenbrunner sollte man die Durchlässigkeit in andere Berufe erhöhen, um die Attraktivität der Karriere zu erhöhen. (Jakob Pflügl, 4.2.2024)