Am 3. Februar wird seit zwei Jahren der Internationale Tag gegen das Schimpfen – der Anti-Profanity-Day – begangen. Die Idee dazu kam von Nutzerinnen und Nutzern der sozialen Medien selbst – nachvollziehbarerweise, muss man wohl sagen, gehört dieser Bereich doch zu denjenigen, wo es von aggressiven Sprechakten nur so wimmelt. Aber geschimpft wird natürlich auch im realen Leben, und zwar oft. Zum Glück spielt die beleidigende Intention beim Schimpfen, so zeigt es sich zumindest in Umfragen unter Wienerinnen und Wienern, eine geringe Rolle.

Schimpfen Sprache Ärgern
Gibt es ein "gutes" Schimpfen?
Illustration: Getty Images

Wir sollten uns aber der beleidigenden Wirkung von Schimpfwörtern sowie der Tatsache, dass es sich dabei um verbale Gewalt, die eine eigenständige Gewaltform darstellt, immer bewusst sein und mit der Sprache behutsam umgehen. Ebenso sollte man sich bewusst sein, dass verbale Gewalt auch mit neutralen Wörtern ausgeübt werden kann. Ein Beispiel? Es müssen gar keine starken Schimpfwörter zur Bezeichnung von verschiedenen Nationalitäten zum Einsatz kommen, eine Herabsetzung und Ausgrenzung kann auch mit einem "Du bist ja gar nicht von hier" erfolgen.

Zig Funktionen

Schimpfen ist also nicht gleich Schimpfen. Warum tun wir es dann? Und gibt es ein "gutes Schimpfen"? Im Rahmen meiner Forschungsarbeit zeigten sich mehr als zwanzig Funktionen, die der Gebrauch von Schimpfwörtern und Schimpfausdrücken erfüllen kann.

Eine Reihe dieser Funktionen kann produktiv und für die menschliche Kommunikation förderlich sein. Als erste sei hier kathartische Funktion erwähnt. Sie ermöglicht das Abreagieren von negativen Emotionen. Dies kann mit Abstand als die wichtigste Aufgabe verbaler Aggression bezeichnet werden. In 36 mündlichen Intensivinterviews bat ich Wienerinnen und Wiener, die drei wichtigsten Funktionen verbaler Aggression in ihrem persönlichen Gebrauch prozentuell darzustellen. Es zeigte sich, dass das Abreagieren mit 73 Prozent dominiert, an zweiter Stelle steht der scherzhafte Gebrauch von Schimpfwörtern (16 Prozent). Der Beleidigung wurden lediglich elf Prozent zugeteilt.

Erfolgt das kathartische Schimpfen in Abwesenheit von Adressatinnen und Adressaten (zum Beispiel, wenn man zu Hause über den unfairen Chef schimpft: "Dieser Idiot!") oder wenn sich die Adressatinnen und Adressaten außer Hörweite befinden (etwa beim Autofahren), so bleibt wenigstens der soziale Frieden gewahrt. Dasselbe betrifft das Fluchen, das heißt, wenn wir nicht personenbezogen, sondern situationsbezogen schimpfen, indem wir etwa "Scheiße!", "Verdammt!" oder "Krawuzi-Kapuzi!" ausrufen. Ja, auch der Gebrauch von Ersatzschimpfwörtern oder Ausrufen wie "Hrrrrrr!" gilt als Schimpfen.

Es gibt eine weitere, produktive Funktion, die Schimpfwörter erfüllen können. Hier seien fiktive Beschimpfungen im Freundeskreis erwähnt, die lobende Funktion (eine befragte Person nannte als Beispiel: "Das war aber schlau von dir, du Luder!"), tröstende (wenn wir zusammen mit unserer Freundin über ihren untreuen Freund schimpfen: "Dieses Arschloch, er hat dich nicht verdient!") und verbundenheitsdemonstrierende Funktion haben ("Unsere Freundschaft ist so stark, sie kann es verkraften, wenn wir uns gegenseitig sogar mit vulgären Schimpfwörtern bezeichnen").

"Du Oaschloch"

In schwierigen Zeiten beziehungsweise dramatischen Situationen kann verbale Aggression neben kathartischer Funktion auch weitere produktive Funktionen erfüllen, zum Beispiel, die des Zusammenhalts und des Widerstands. So war es im Falle des an den Wiener Attentäter vom 2. November 2020 adressierten Ausrufs "Schleich di, du Oaschloch" in einem Video oder in dem einer spontanen Aufforderung eines ukrainischen Soldaten: Als sich ein russisches Kriegsschiff am ersten Tag des breitangelegten russischen Angriffs gegen die Ukraine der Schlangeninsel im Schwarzen Meer nähert und die ukrainischen Soldaten zur Kapitulation auffordert, sagt Roman Hrybow sinngemäß auf Deutsch: "Russisches Kriegsschiff, fick dich!".

Beide Sprüche gingen viral, wurden zu Memes und Hashtags, erschienen in Massenmedien und im Alltag (gedruckt auf T-Shirts, Taschen oder anderen Gegenständen), die Aufforderung "Russisches Kriegsschiff, fick dich!" gibt es sogar auf Briefmarken. Interessant ist dabei die Idee, diesen Spruch in Anlehnung an den österreichischen Spruch des Jahres 2020 "Schleich di, du Oaschloch" zu übersetzen, denn beide Slogans symbolisieren den Widerstand gegen den Terrorismus. Ein Graffito mit der Nachricht "Russisches Kriegsschiff, schleich di" prangte am Donaukanal in Wien gleich in den Tagen nach der Geburtsstunde dieses Spruchs. (Oksana Havryliv, 2.2.2024)