Am Freitag protestierten Studierende lautstark gegen die Schließung der sozialwissenschaftlichen Bibliothek
Am Freitag protestierten Studierende auf dem WU-Campus lautstark gegen die Schließung der sozialwissenschaftlichen Bibliothek.
DER STANDARD/Kapeller

Wer den Campus der Wirtschaftsuniversität Wien betritt, spaziert in eine bunte Welt aus futuristischen Gebäuden, fernab vom Autolärm. Hinter der freundlichen Kulisse toben offenbar aber schon länger heftige Kontroversen. Es geht darum, welche ökonomischen Lehren an der WU Wien unterrichtet und welche verdrängt werden. Rund 60 Studentinnen und Studenten haben sich am Freitagmittag vor der sozialwissenschaftlichen Bibliothek eingefunden. Es ist, so hat es die Universitätsleitung verfügt, der letzte Tag für die beliebte Bibliothek.

Die Studierenden haben Transparente gebastelt und Kochtöpfe und Geschirr mitgebracht, mit denen sie Lärm schlagen. Die Bibliothek wird bald zu einem Hörsaal umgebaut, das ist beschlossene Sache. Auf einem Transparent steht "WU killed our Bib", auf einem anderen: "Tschüs, akademische Vielfalt". Gemeinsam skandieren die Studierenden: "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns den Lernraum klaut." Die Bibliothekarin der sozialwissenschaftlichen Bibliothek, die nun in eine andere Büchersammlung der WU wechselt, steht am Rand der Demo. Ein Student überreicht ihr einen Strauß Tulpen, Tränen schießen ihr in die Augen.

Sorge um Denkschulen

Die Demonstrierenden beklagen den Verlust der Bibliothek, aber auch eine generelle Entwicklung an der Wirtschafts-Uni (WU): An der Uni, insbesondere am Department für Volkswirtschaft, würden einige Denkschulen verdrängt, sagen sie. "Wir erleben, wie unsere Universität versucht, bestimmte Denkschulen innerhalb der Wirtschaftswissenschaft und vor allem sozioökonomische Positionen zu unterdrücken", meint der Student Mathias Steiner.

Vereinfacht gesagt sehen Steiner und andere die neoklassischen Theorien auf dem Vormarsch und die sogenannte heterodoxe Ökonomie quasi aus den Hörsälen verdrängt. Die heterodoxe Ökonomie umfasst feministische, marxistische oder ökologische Aspekte, man könnte auch sagen, progressive oder alternative Ansätze.

WU braucht Hörsäle

Im WU-Rektorat sieht man die Sache mit der Bibliothek anders und erklärt die neue Verwendung der Räumlichkeiten mit organisatorischen Notwendigkeiten. "Die WU hat einen akuten Bedarf an einem Hörsaal mit 270 Plätzen. Das Audimax ist mit 650 Plätzen für viele Lehrveranstaltungen zu groß, während die 180er-Hörsäle zu klein für Lehrveranstaltungen mit 200 bis 250 Hörer*innen sind", heißt es in einer Stellungnahme. Etwa im relativ neuen Bachelor "Business and Economics" gebe es einen Jahrgang mit 240 Studienanfängern, "es ist daher notwendig, passende Räume zu schaffen".

Der Bestand der sozialwissenschaftlichen Bibliothek werde außerdem erhalten und komme ins Library & Learning Center. Und: "Die Nutzung und Auslastung der Sowi-Bib lag in den letzten Jahren stets bei unter 50 Prozent und in der vorlesungsfreien Zeit überhaupt nur bei zehn bis 20 Prozent."

Den WU-Studenten Nikolaus Heimerl, der an der Demo teilnimmt, überzeugt all das an diesem Freitag nicht. "Diese Bibliothek war ein sozialer Raum, wo sich Studierende der – so würde ich es einmal bezeichnen – kritischen Studiengänge getroffen haben", sagt er.

Sarah Nowak kritisiert, dass alternative Denkschulen aus der WU verdrängt werden
Sarah Nowak kritisiert, dass alternative Denkschulen aus der WU verdrängt werden.
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Streit um die rechte Lehre

Die Studentin Sarah Nowak erklärt, wie auch wissenschaftliche Journals bei Personalentscheidungen zugunsten der ökonomischen Neoklassik eine Rolle spielen. "Neue Stellen werden auch auf Basis von Publikationszahlen besetzt. Das können Personen, die nicht im Mainstream des Wirtschaftsdiskurses forschen, schwieriger leisten, weil sie nicht in diesen Journals publizieren können."

Das Schicksal der Bibliothek ist für Heimerl, Nowak und andere auch ein Symbol für die Entwicklung der Lehre an der WU. Lehrende, die für kritische Positionen stünden, würden durch Pensionierungen oder nichtverlängerte Verträge "durch Leute ersetzt, die viel näher am ökonomischen Mainstream dran sind", sagt Heimerl. Und fügt hinzu: "Die WU war im deutschsprachigen Raum immer unter den wirtschaftlichen Instituten mit sehr kritischen Lehrenden. Es wird in zwei Jahren am Department für Volkswirtschaft keine kritischen Forschenden und Lehrenden mehr geben. Diese Leute werden einfach nicht mehr da sein."

Vor der Kulisse der preisgekrönten Architektur auf dem WU-Campus machten die Studierenden ihrem Ärger Luft
Vor der Kulisse der preisgekrönten Architektur auf dem WU-Campus machten die Studierenden ihrem Ärger Luft.
DER STANDARD/Kapeller

Für die Demonstrierenden ist Rektor Rupert Sausgruber für die Entwicklung mitverantwortlich. Sausgruber leitete selbst ab 2018 das Department für Volkswirtschaft, seit 2022 ist er Rektor der WU. Bei der Demo hört man auch "Sausgruber raus"-Rufe.

Rektor widerspricht Kritik

Am Telefon will Sausgruber die Kritik, dass alternative ökonomische Ansätze systematisch verdrängt werden, nicht gelten lassen. "Nach meiner Information gibt es am volkswirtschaftlichen Department nach wie vor Lehrveranstaltungen in heterodoxer Ökonomie und feministischer Ökonomie. Diese Dinge werden nach wie vor angeboten", sagt er dem STANDARD.

Er sei auch kein Gegner alternativer Ansätze in der Ökonomie, erklärt Sausgruber auf Nachfrage. "Am Ende des Tages muss man mit Argumenten überzeugen. Da will ich jetzt gar keine Brille aufsetzen. Ich glaube, dass heterodoxe Zugänge sehr wohl Erklärungsbeiträge leisten können."

WU-Rektor Sausgruber verteidigt sich gegen Kritik
WU-Rektor Sausgruber: "Es gibt keinen Vorsatz des Departments Volkswirtschaft oder des Rektorats, irgendwelche wissenschaftlichen Entwicklungen zu verstärken."
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Er wolle aber nicht bestreiten, dass es in der Ökonomie wie in anderen Wissenschaften bestimmte Strömungen gebe. "Wir haben einen starken Trend zur empirischen Ökonomie und zu einer theoriegestützten Ökonomie. Ein in Schulen verhaftetes Denken hat zunehmend weniger Platz. Nicht weil die Argumente nicht gut sind, sondern eine Schule bedeutet, mit einer bestimmten Haltung am Diskurs teilzuhaben. Das ist in einer evidenzbasierten Fachwelt zunehmend schwieriger zu argumentieren. In dem Sinne gibt es Umschichtungen und Entwicklungen in bestimmte Richtungen, aber keinen Vorsatz des Departments oder des Rektorats, irgendwelche Entwicklungen zu verstärken."

Der englische Wirtschaftsprofessor Clive Spash forscht auch zu umweltethischen Fragen. Er teilt die Kritik der Studierenden.
Der englische Wirtschaftsprofessor Clive Spash forscht auch im Bereich umweltethischer Fragen. Er teilt die Kritik der Studierenden.
DER STANDARD/Kapeller

Verschiedene Wirtschaftsbegriffe

Bei den Studierenden vor der WU-Bibliothek verfängt diese Erklärung nicht. Auch der WU-Professor Clive Spash trommelt, in einem leuchtend gelben Outfit, mit ihnen auf einem Kochtopf mit. Es gebe zwei grundsätzliche Schulen in der Wirtschaftswissenschaft, die Mainstream-Ökonomie und die Alternative Ökonomie, erklärt der Brite. "Erstere ignoriert zum Beispiel soziale Krisen und Umweltprobleme. Für sie geht es nur um Geld, Gewinn und Wachstum."

Seit 25 Jahren beobachte er an Universitäten in vielen Ländern eine Erosion der heterodoxen Ökonomie. Auch in Wien? Ja, antwortet Spash: "Auch hier in Wien werden Leute stark forciert, die die Mainstream-Lehre vertreten." (Lukas Kapeller, 2.2.2024)