Wiener Aktionismus Museum
Aufwühlende Kunst: Geschäftsführer Philipp Konzett und Direktorin Julia Moebus-Puck wollen das Wiener Aktionismus Museum (WAM) für alle öffnen – alleinlassen wird man das Publikum aber nicht.
Foto: DER STANDARD/Heribert Corn

Eines Tages soll es nicht mehr wegzudenken sein aus der Wiener Kulturszene. Man soll sich fragen, wie die Hauptstadt jemals ohne es hatte auskommen können. Das Wiener Aktionismus-Museum (WAM) wird am 15. März eröffnen und eine Lücke schließen. Schon jetzt fragt man sich, warum es in Österreich einer privaten Initiative bedarf, um diese bedeutende Kunstrichtung zu präsentieren, die ab den frühen 1960er-Jahren für Furore sorgte und Generationen prägte.

Zwar diente das Museum moderner Kunst (Mumok) lange Zeit als "Kompetenzzentrum" für Werke des Wiener Aktionismus. Der dort nicht mehr ausreichende Raum lasse allerdings keine dauerhafte Präsentation zu, heißt es seitens des Bundesmuseums. Nicht nur mit dem Mumok, auch mit Einrichtungen wie dem Nitsch-Museum oder dem Bruseum befindet sich das WAM bereits in Gesprächen bezüglich möglicher Kooperationen. Als Konkurrenz möchte man nicht auftreten.

Unter der Leitung von Philipp Konzett möchte das Museum dem Wiener Aktionismus auf 900 Quadratmetern Ausstellungsfläche die "verdiente Aufmerksamkeit" schenken und zur Anlaufstelle Nummer eins werden. Die ehemaligen Galerieräume in der prominenten Lage Weihburggasse 26 im ersten Bezirk nutzte der Wiener Sammler und Galerist bereits 2023, um die Seltenheit einer Franz-West-Ausstellung zu präsentieren.

Extrem verstörende Werke

Seit 30 Jahren beschäftigt er sich mit dem Wiener Aktionismus und witterte nach dem Ankauf der verbliebenen, millionenschweren Sammlung Friedrichshof 2022 eine Chance. Diesen wickelte er mit fünf weiteren Sammlern ab, die nun gemeinsam mit ihm das WAM bestücken sowie finanzieren.

Konzett fungiert als Geschäftsführer und holte Kunstwissenschafterin und Expertin Julia Moebus-Puck als Direktorin ins Boot. Aus der weltweit größten Sammlung mit Werken des Wiener Aktionismus möchte man vor allem die vier Hauptvertreter Hermann Nitsch, Günter Brus, Rudolf Schwarzkogler und Otto Muehl in ein bis zwei Ausstellungen pro Jahr ins Rampenlicht stellen. Die Eintrittspreise werden regulär sieben und ermäßigt 3,50 Euro betragen.

Mit dem Programm sollen Kenner angesprochen und soll zugleich Publikum ohne Vorwissen abgeholt werden, heißt es. Kein einfaches Vorhaben. "Es ist die Aufgabe eines Museums, dass auch der Unbedarfte kommen kann. Er wird aber eventuell extrem verstört sein, weil diese Kunst aufwühlt", so Konzett. Moebus-Puck bezeichnet den Wiener Aktionismus als keine einfache Kost. "In großen Museen werden oft leicht verdauliche Kunstwerke herausgepickt. Im WAM gibt es die Möglichkeit, diese Kunst freier zu zeigen."

Nackte Körper als Reizthema

Auch wenn die Direktorin nicht viel von ausschweifenden Informationstafeln im Ausstellungsraum hält, weiß sie, dass man Besucherinnen und Besucher nicht komplett alleinlassen darf mit diesen Werken. Auch heute noch brechen diese Arbeiten gewisse Tabus, findet sie. "Es fängt mit den nackten Körpern an. Wir glauben immer, dass das Zeigen nackter Körper mittlerweile langweilig geworden ist, aber tatsächlich sind diese immer noch oder gerade wieder ein Reizthema. Wie offen ist unsere Gesellschaft wirklich?", fragt die Direktorin.

Tierkadaver von Hermann Nitsch fänden viele ekelerregend, abgepacktes Fleisch im Supermarkt aber okay. Blut und Gewalt seien im Internet normal, im Museumsraum aber too much. Es gehe um das unvermittelte Erleben ohne mediale Ebene dazwischen. "Jedenfalls wird das Publikum mit einem Erlebnis reicher nach Hause gehen. Umso wichtiger ist es, dass die hier gezeigte Kunst auch erklärt wird", ergänzt Konzett.

Dies wird für alle vertretenen Künstler gelten, besonders aber für die Werke Otto Muehls nötig sein. Der als Gründer der Kommune am Friedrichshof 1991 unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde und deshalb als Künstler von vielen sehr kritisch gesehen wird. Die Kontextualisierung der Werke des 2013 verstorbenen Muehl in Ausstellungen wird schon lange von Mitgliedern der Gruppe Mathilda gefordert. Wie damit als Museum umgehen?

Sensible Kontextualisierung?

"Für uns ist Otto Muehl ein Künstler, der zum Wiener Aktionismus gehört", erklärt Moebus-Puck. "Wir thematisieren sein Werk im Kontext dieser Kunstrichtung. Er hat seine Geschichte, die wir auch sicher nicht verheimlichen werden. Aber wir werden nichts moralisieren und etwas in Schlechtes und Gutes unterteilen." Ein Rahmenprogramm soll Raum für Diskussionen zum Thema bieten.

Konzett findet, dass man Künstler und Werk durchaus getrennt voneinander betrachten könne, ohne bei jeder Arbeit von Muehl zuerst über den problematischen Aspekt seiner Biografie zu sprechen. Viele seiner Kunstwerke hätten auch nichts mit seiner Zeit am Fried­richshof zu tun. "Aber klar ist: Muehl hatte auch Phasen, die im Museum nicht unter den Teppich gekehrt werden." Wie sensibel die Kontextualisierung tatsächlich ausfallen wird, gilt es abzuwarten.

Noch hängen in den verwinkelten, aber weitläufigen Räumlichkeiten kaum Werke, das Konzept für die Eröffnungsausstellung steht aber bereits. Mit Was ist Wiener Aktionismus? gibt das Museum Mitte März den Auftakt. Die ersten Jahre seien finanziell gesichert, die Sammler stemmen die Kosten. Auch durch künftige Verkäufe von Werken aus dem Nachlass des Friedrichshofs. Wenn das Konzept aufgeht, könne man sich danach für Förderungen bewerben, sagt Konzett. "Wir haben Glück, in Österreich zu sein, hier ist es heute noch möglich, ein Museum zu eröffnen." (Katharina Rustler, 3.2.2024)