Im Straßenbild der Stadt sind die zahlreichen Migranten und Migrantinnen, die in den letzten beiden Jahren in New York City eingetroffen sind, nicht zu übersehen. Sie klettern mit Sack und Pack aus Bussen. Sie schlafen auf den Gehsteigen vor den Aufnahmezentren oder warten bei Minustemperaturen stundenlang auf die Möglichkeit, eine temporäre Identifikationskarte zu beantragen. Auch in den Waggons der Subway oder in den Stationen ist ein Ansteigen von dort Schlafenden zu bemerken.

Mehr als 172.400 Migranten und Migrantinnen sind laut Stadtregierung seit April 2022 durch das offizielle Aufnahmesystem der Stadt gekommen. Dazu kommt die Dunkelziffer derer, die gleich bei Familien oder Freunden inoffiziell untergeschlüpft sind. Die häufigsten Ursprungsländer zurzeit sind Venezuela, Kolumbien, Ecuador und Senegal. Auch aus Guinea und Mauretanien stammen viele. Vor allem die Anzahl von Afrikanern unter den Migranten und Asylantragstellern ist momentan ungewöhnlich hoch.

Recht auf Unterkunft

Der New Yorker Bürgermeister Eric Adams, ein Demokrat, ist für seine äußerst provokanten und plakativen Bemerkungen und seine Wortwahl bekannt. Bei einer Veranstaltung im September sagte er, dass die Flüchtlingskrise "New York City zerstören wird". Die Stadt hat ein einzigartiges "Recht auf Unterkunft", das sogenannte Right to Shelter, das jedem Obdachlosen, der darum bittet, das Recht auf ein Bett in der Stadt garantiert. Dies hat zu einer hohen Anzahl von Migranten und Migrantinnen im Stadtgebiet geführt, die Anspruch auf einen solchen Schlafplatz erheben. Von den circa 1,9 Millionen Menschen, denen seit Mai 2022 die Erlaubnis erteilt wurde, in den USA zu bleiben, um auf ihre Gerichtstermine und den Asylentscheid zu warten, ist rund ein Zehntel in New York gelandet.

Person schläft mit Schlafsack auf der Straße
Viele Menschen schlafen auf der Straße – auch bei Minusgraden und Schnee.
Stella Schuhmacher

Trotz der Nutzung von Hotels zur Unterbringung sieht sich die Stadt von der schieren Zahl völlig überfordert. "Im Moment sieht es so aus, dass jemand von überall auf der Welt nach New York kommen und auf Kosten der Steuerzahler so lange kostenlos bleiben kann, wie er will. Das macht keinen Sinn", sagte Adams Ende Jänner. Informationen über das in New York geltende Right to Shelter werden über soziale Medien verbreitet oder von Schleppern dazu benützt, Migranten und Migrantinnen nach New York zu locken.

Molly Schaeffer ist Direktorin im Büro des New Yorker Bürgermeisters und zuständig für Asylum Seeker Operations, eine neu geschaffene Abteilung. Sie meint, dass New York immer eine Stadt sein werde, die Einwanderer und Neuankömmlinge willkommen heiße, aber die Belastungsgrenze sei überschritten. "Wir haben einfach keinen Platz und keine Ressourcen mehr, um weiterhin zehntausende Migranten auf unbestimmte Zeit unterzubringen, während jede Woche Tausende zusätzlich in unsere Obhut kommen", meint sie im Rahmen einer Diskussionsrunde zum Thema, die von der New School organisiert wurde. Jede Woche stoßen zwischen 1.500 und 5.000 Neuankömmlinge dazu. Die Stadt habe jedoch rasch auf diese nationale humanitäre Krise reagiert und Unterkünfte sowie lebenswichtige Versorgung bereitgestellt.

New York will nun mit einem neuen Executive Order sicherstellen, dass man zumindest auf die Ankunft von Bussen mit Migranten besser vorbereitet ist. Auf Anweisung des republikanischen Gouverneurs von Texas, Greg Abbott, wurden seit April 2022 über 90.000 Migranten und Migrantinnen in von Demokraten geführte "Zufluchtsstädte" wie Washington, D.C., New York City, Chicago, Philadelphia, Denver und Los Angeles gebracht, was dort zu chaotischen Zuständen geführt hat. Laut der New Yorker Stadtregierung geht es darum, Ordnung in die unvorhersehbaren Busankunftszeiten zu bringen. "Texas schickt zu jeder Tageszeit Busse, ohne uns Bescheid zu geben, wann die Leute kommen, wo sie ankommen oder ob sie medizinische Versorgung brauchen. Sie werden einfach irgendwo in der Stadt abgesetzt. Die Menschen kommen im Winter mit unangemessener Kleidung, in Shorts und Flip-Flops, an", meint Frau Schaeffer aus dem Buero für Asylum Seeker Operations. Es gehe jedoch nicht darum, keine Migrantenbusse mehr in Empfang nehmen zu wollen, betont man.

Auch für die Anzahl von Nächten, die Migranten in den Obdachlosenunterkünften der Stadt verbringen können, werden seit kurzem Limits gesetzt: 30 Tage für alleinstehende Personen, 60 Tage für Familien. Danach muss die Unterkunft verlassen werden und ein Neuantrag gestellt werden. Außerdem hat die Stadtregierung einen neuen Notfallvertrag in Höhe von 76,69 Millionen US-Dollar mit der Hotelvereinigung von New York City unterzeichnet, um Migrantenfamilien eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Fünfzehn Hotels in Brooklyn, Queens und der Bronx werden asylsuchenden Familien im Rahmen des "Voucher-Programms", das bis Juli läuft, Zimmer für bis zu 28 Tage zur Verfügung stellen. "Wir werden nicht zulassen, dass ein Kind oder eine Familie auf der Straße schläft", sagte Adams. Die Zahl der Obdachlosen in der Stadt steigt dennoch weiter an. Unter ihnen befinden sich mittlerweile zahlreiche Migranten und Migrantinnen, die auf Betten aufgrund der Überlastung warten müssen. Im vergangenen September waren es um 30 Prozent mehr als im September 2022. Die offizielle Schätzung vom vergangenen Jänner lag bei etwas mehr als 4.000 Menschen, die auf den Straßen oder in den Parks der Stadt schliefen, so viele wie seit fast 20 Jahren nicht mehr.

Keine Arbeitserlaubnis

Den auf Asylverfahren wartenden Migranten und Migrantinnen ist es nach jetziger Gesetzeslage nicht erlaubt, offiziell zu arbeiten. Erst 150 Tage nachdem sie ihren Asylantrag gestellt haben, kann eine Arbeitserlaubnis beantragt werden. Der Asylprozess ist im Allgemeinen langwierig und schwierig. Nur für einige Herkunftsländer, wie zum Beispiel die Ukraine oder Afghanistan, gibt es das "Parole"-Programm, im Rahmen dessen die Asylsuchenden für begrenzte Zeit in die Vereinigten Staaten kommen und arbeiten können, solange sie einen finanziellen Sponsor vorweisen können. Mehr als 176.000 Menschen aus der Ukraine und 77.000 Menschen aus Afghanistan sind so in die Vereinigten Staaten gekommen. Auch Personen aus Kuba, Haiti, Nicaragua und Venezuela können sich mittlerweile für das Parole-Programm bewerben.

Das Ziel des Parole-Programmes war es, illegale Grenzüberquerungen zu reduzieren – mit mäßigem Erfolg, wie man sieht. Es wäre wichtig, den Migranten und Migrantinnen zumindest so schnell wie möglich Arbeitsgenehmigungen auszustellen. "Wir haben eine Menge ungenutztes Potenzial in unserem Shelter-System im Moment", meint Schaeffer. Seit letzter Woche liegt ein Vorschlag der New Yorker Gouverneurin Hochul vor, Migranten und Migrantinnen im Bundesstaat New York den Zugang zu Jobs innerhalb der bundesstaatlichen Regierung zu erleichtern. Erfordernisse wie ein High-School-Abschluss oder Kenntnisse der englischen Sprache sollen für manche Jobs nicht mehr erforderlich sein.

Verkaufen von Früchten und Flaschensammeln

In der Zwischenzeit verkaufen lateinamerikanische Frauen an Straßenecken und in Parks aufgeschnittene Früchte wie Mangos, Wassermelonen und Weintrauben. Oft sitzen sehr kleine Kinder daneben. Wasserflaschen oder Schokoladesnacks werden an Straßenkreuzungen angeboten. Familien wandern mit riesigen Plastiksäcken durch die Straßen und sammeln Pfandflaschen oder Aludosen ein. Auch Arbeit als Fahrradboten für Uber Eats oder Grubhub ist bei den Migranten und Migrantinnen beliebt, was an der Anzahl von Fahrrädern vor den Notunterkünften zu erkennen ist. Indes reißt der Migrantenstrom an der amerikanisch-mexikanischen Grenze nicht ab. Die Grenzbehörden trafen im Dezember dort auf mehr als 300.000 Migranten und Migrantinnen. Viele davon werden sich sicherlich auf den Weg nach New York machen.

Früchte werden im Central Park und an Straßenecken von Migranten angeboten.
Verkäufer von Früchten sind an vielen Orten in der Stadt zu sehen.
Stella Schuhmacher

(Stella Schuhmacher, 9.2.2024)