Alte Frau mit roter Sonnenbrille isst Eis am Meer
Gesunde Ernährung spielt für unsere Langlebigkeit eine große Rolle. Man sollte sich aber auch nicht alles Ungesunde verbieten, sagt ein Experte.
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Eigentlich sind es erfreuliche Nachrichten: Die Lebenserwartung steigt und steigt. Heute werden drei Viertel der Weltbevölkerung mindestens 65 Jahre alt. In manchen Ländern ist die durchschnittliche Lebenserwartung sogar schon auf über 80 Jahre gestiegen. Die WHO schätzt, dass sich die Zahl der über 70-Jährigen bis 2050 verdreifachen wird.

Aber am Ende zählt nicht nur die Länge des Lebens, sondern vielmehr die Qualität dieser gewonnenen Lebensjahre. Denn je länger ein menschlicher Organismus arbeitet, desto mehr seiner Funktionen werden fehlerhaft. Aufhalten lässt sich dieser Prozess noch nicht. Aber wenn man das System regelmäßig "wartet" und sich sorgfältig darum kümmert, trägt das dazu bei, dass es länger reibungslos läuft. Anders ausgedrückt: Es ist nicht jeder gesund, der alt wird, aber wer gesund ist, wird ziemlich sicher alt, sagt der Langlebigkeitsforscher Slaven Stekovic. Er ist Molekularbiologe und forscht zu den biologischen Hintergründen des Alterns. Am 8. Februar erscheint mit "Jung bleiben, alt werden" sein viertes Buch zum Thema.

STANDARD: Die Menschen werden immer älter, und ein Blick in die Langlebigkeitsforschung zeigt, dass die Lebenserwartung wohl noch weiter steigen wird. Wie alt werden wir in Zukunft?

Stekovic: Dass man 80, 90 oder 100 Jahre alt wird, ist heutzutage schon gut möglich. Aber in der Langlebigkeitsforschung arbeiten wir ja nicht nur daran, dass wir alt werden, sondern dass wir das hohe Alter auch in guter Gesundheit erleben. Die Daten zeigen nämlich, dass sich die Lebensspanne der Menschen zwar verlängert, das aber auf Kosten unserer Gesundheit geht.

STANDARD: Man hat im Verhältnis also weniger gesunde Jahre?

Stekovic: Genau. Früher haben die Menschen sehr wenige Jahre gelitten und sind dann gestorben. Heute leiden manche durchaus mehrere Jahrzehnte, und das ist nicht Sinn und Zweck der Übung. Im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen, etwa der Demenz, wird aktuell sehr viel geforscht. Da wird sich einiges tun in den nächsten zehn, 20 Jahren.

Dasselbe gilt für diverse Herz-Kreislauf-Erkrankungen, da gab es schon einige Fortschritte in den letzten Jahrzehnten. Aktuell ist beispielsweise die Abnehmspritze in aller Munde. Je mehr solcher Produkte den Markt erreichen und je mehr wir darüber wissen, wie wir den Körper von außen, und wenn nötig mit pharmazeutischen Produkten, regulieren können, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir in 30, 40 Jahren deutlich weniger dieser Erkrankungen sehen.

STANDARD: Ist vieles davon nicht genetisch vorbestimmt und quasi unvermeidbar?

Stekovic: Ganz und gar nicht. In der Wissenschaft ist man sich nicht ganz einig, wie viel beziehungsweise wie wenig die Genetik bei der Langlebigkeit ausmacht. Manche sprechen davon, dass die Genetik etwa ein Viertel ausmacht. Andere gehen sogar von nur vier bis sieben Prozent Genetik und mehr als 90 Prozent Lebensstil aus. Jedenfalls ist eindeutig, dass die Lebensweise für unsere Langlebigkeit deutlich mehr ausmacht als die Genetik.

Das bedeutet auch, dass wir mit der Art und Weise, wie wir leben, bestimmten altersassoziierten Erkrankungen, etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Diabetes, sehr gut vorbeugen oder sie zumindest hinauszögern können. Das gilt auch für unterschiedliche Formen der Demenz und sogar bestimmte Krebsarten.

STANDARD: Welche Faktoren sind dabei besonders entscheidend?

Stekovic: Eine ausgewogene Ernährung, körperliche Bewegung, ausgewogener Schlaf und der Umgang mit Stress.

STANDARD: Wie sieht eine Ernährung für ein möglichst langes, gesundes Leben aus?

Stekovic: Das lässt sich so nicht pauschal sagen. Aus der Forschung wissen wir, dass nicht jede ausgewogene Ernährung für jeden Menschen funktioniert, sondern das Essen immer an die Person angepasst werden muss.

STANDARD: Gibt es zumindest ein paar Anhaltspunkte, die für alle gelten?

Stekovic: Ja, zwei Dinge. Das eine ist, dass wir in entwickelten Ländern fast alle in einem Überschuss leben und mehr Kalorien zu uns nehmen, als wir brauchen. Studien zeigen, dass eine kalorische Restriktion und das Fasten bei den meisten Menschen sehr positive Effekte haben.

Der zweite Punkt sind hochverarbeitete Lebensmittel wie Tiefkühlessen, das man nur schnell in der Mikrowelle aufwärmt, klassisches Fast Food, eine stark prozessierte Salamiwurst etwa oder die Snacks zu Hause vorm Fernseher. Das alles sind in der Regel hochverarbeitete Produkte, die viele negative Effekte auf uns haben, auch das sehen wir in Studien. Im Sinne der Langlebigkeit sind diese Produkte deshalb absolute No-Gos, wenn man die weglässt, tut man sich schon einmal einen großen Gefallen.

STANDARD: Man sollte sie also komplett vom Speiseplan streichen?

Stekovic: Zumindest sollte man sie drastisch reduzieren. Das bedeutet nicht, dass man sich nicht hin und wieder etwas gönnen darf. Es bringt uns nicht das um, was wir zwischen Weihnachten und Silvester essen, sondern das, was wir zwischen Silvester und Weihnachten zu uns nehmen. Ab und zu etwas Ungesundes ist in Ordnung, man sollte auch nicht zu streng zu sich selbst sein.

Cover des Buches
In seinem gleichnamigen Buch zeigt Slaven Stekovic, wie man "Jung bleiben, alt werden" kann. Ueberreuter Verlag, 184 Seiten, 25 Euro
Ueberreuter Verlag

STANDARD: Welche Lebensphase ist für unsere Langlebigkeit am entscheidendsten?

Stekovic: Von null bis 75. Man kann also auch im höheren Alter noch etwas für die Langlebigkeit tun. Für bestimmte Prozesse im Körper sind allerdings die 20er und 30er sehr relevant. In diesen Jahren wechselt der Körper langsam vom Aufbau in den Abbau der biologischen Masse.

Ein gutes Beispiel dafür ist etwa die Muskelmasse, die ab 30, 35 Jahren abnimmt. Deshalb ist es in diesen Jahren absolut notwendig, Muskelaufbautraining zu machen, nur durch den Aufbau kann man dem Abbau entgegenwirken und ihn verlangsamen. Die Effekte werden dann im Alter von 60, 70 Jahren wirklich stark spürbar. Obwohl der Bewegungsapparat immer weniger belastbar wird, funktionieren dann die Gelenke noch deutlich besser, und die Knochen sind weniger brüchig.

STANDARD: Krafttraining im Fitnessstudio sollte also zur Sportroutine dazugehören?

Stekovic: Es reicht nicht, ein-, zweimal pro Woche ins Fitnesscenter zu gehen, wenn man jeden Tag zehn Stunden vorm Computer sitzt. Das ist kein aktives Leben, sondern ein passives Leben mit aktiven Intervallen. Dabei ist unser Körper eigentlich dafür gemacht, sich nahezu ständig zu bewegen.

STANDARD: Das ist für viele alleine schon aufgrund des Jobs schlicht nicht machbar …

Stekovic: Ja, aber der Trend geht in die richtige Richtung. Junge Generationen leben heute deutlich bewusster als Generationen vor ihnen. Ich beobachte das bei meinen Studierenden. Sie trinken viel weniger Alkohol, konsumieren keine Drogen und bewegen sich ausreichend, obwohl sie gleichzeitig die ganze Zeit in der virtuellen Welt leben.

Das ist aber nicht zwingend schlecht. Gerade auf Social Media sind mentale Gesundheit, Yoga, Meditation, Ernährung und generell Wellbeing stark zum Thema geworden. Das zeigt, dass viele junge Menschen bereit sind, etwas für ihre Gesundheit zu tun. Und gerade dann, wenn Leute motiviert sind, mitzumachen, macht auch unsere Forschung so viel mehr Sinn.

STANDARD: Stichwort soziale Netzwerke. Welche Rolle spielen Sozialkontakte beim Altern?

Stekovic: Ein riesengroße Rolle. Das Gute dabei ist, dass man sich soziales Leben aufbauen kann wie Muskeln auch. Gleichzeitig ist diese Form des Trainings auch eine Herausforderung, denn je älter man wird, desto weniger Freunde bleiben übrig. Umso wichtiger ist es, sozial aktiv zu bleiben und immer neue Menschen kennenzulernen.

Denn soziale Integration gibt den Menschen einen Sinn im Leben, man fühlt sich nicht allein, und der Geist bleibt fit. Das kann etwa durch Religion passieren, aber genauso gut in einem Bingo- oder Wanderklub. Oder aber durch die Familie, wenn ältere Menschen etwa mit ihren Enkelkindern in Kontakt sind. All diese Aspekte erhöhen deutlich die Lebensqualität und verringern dadurch auch die Symptome der altersbedingten Erkrankungen.

Die analogen Sozialkontakte spielen also eine riesengroße Rolle. Ob sich das auf die virtuelle Welt auch übertragen lässt, wissen wir noch nicht, aber es kann schon sein.

STANDARD: Abschließende Frage: Wie alt wollen Sie denn werden?

Stekovic: Ich bin jetzt 35 und komme aus einer relativ langlebigen Familie, wobei eher die Frauen lange gelebt haben. Die Männer starben meist 20, 30 Jahre vor ihrem 100. Geburtstag. Mein Ziel ist, dass ich mindestens 105 werde. Mal schauen, ob ich das so wie meine Uroma schaffe. (Interview: Magdalena Pötsch, 6.2.2024)