Es gibt im Zusammenhang mit Schule wohl wenig Deprimierenderes, als wenn ein Kind suspendiert wird. Oder werden muss, weil sich die Dinge offenbar so zugespitzt haben, dass – so steht es im Schulunterrichtsgesetz – "Gefahr im Verzug" besteht für die anderen Schülerinnen und Schüler oder auch die Lehrkräfte im Umfeld des betroffenen Kindes. Dann kann ein Schüler oder eine Schülerin bis zu vier Wochen vom Schulbesuch ausgeschlossen werden. Dann ist der Problemfall weg, die Problemmacherin draußen. Raus mit dir! Die Ordnung ist wiederhergestellt. Zumindest auf Zeit. Und dann?

Schule
Die Zahl der Suspendierungen an Schulen hat sich von 2018/19 auf 2022/23 fast verdoppelt. Lehrkräfte fordern Unterstützung, wie etwa Timeout-Klassen und Hilfsangebote für betroffene Kinder und Jugendliche.
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Es gibt nämlich ein Danach. Immer. Diese Störenfriede, diese jungen Gewalttäter, diese Kinder lösen sich ja nicht in Luft auf. Sie kommen wieder. Sie müssen in die Schule zurück. Sie sind Teil dieser Gesellschaft. Und das ist der entscheidende Punkt in diesem Drama, das jede einzelne schulische Suspendierung bedeutet. Man muss alles tun, um diesen Kindern und Jugendlichen zu helfen – und damit ist allen um sie herum geholfen. Uns allen, der Gesellschaft.

Kinder, die Gewalt ausüben, sind ein Problem. Natürlich vor allem für die anderen, die Opfer dieser Gewalt, die geschützt werden müssen. Aber auch für sich selbst. Auch sie müssen geschützt werden. Beschützt.

Denn Kinder, die gewalttätig werden, sind immer auch Symptomträger. Sie hauen und schlagen, treten und mobben, weil etwas Substanzielles in ihrem Leben, in ihrem Umfeld, in der Welt, in der sie sich aufwachsen, falsch läuft. Weil sie überfordert sind oder vernachlässigt werden. Weil sie vielleicht oberflächliche Konsumbedürfnisse stillen können, aber andere Formen von Hunger nicht – nach echtem Austausch mit Erwachsenen, die sich für sie interessieren, ihnen als vertrauensvolle, wohlmeinende und stabile Bezugspersonen begegnen, ihnen verantwortungsvoll Freiraum geben, aber auch robust Grenzen setzen und sich nicht als "beste Freundin" gerieren oder die Elternrolle erst gar nicht ausfüllen.

Fehlende Ressourcen

Es gibt zu viele Kinder, die nicht Kind sein können, weil ihre Eltern nicht Eltern sein können (in den wenigsten Fällen nicht wollen), weil ihnen die persönlichen, die bildungsmäßigen oder auch sozioökonomischen Ressourcen fehlen, die selber Lebenskämpfe ausfechten. In der Schule sollen dann die Lehrerinnen und Lehrer auf- und abfangen, was geht, bis es eben nicht mehr geht.

An diesem Punkt wird eine problematische Leerstelle im österreichischen Bildungssystem offenkundig. Für "Systemsprenger" ist kein Platz, auch weil das professionelle Personal fehlt, um mit ihnen systematisch zu arbeiten. Denn die Lehrkräfte sind nicht die amtlichen Mechanikerinnen und Mechaniker der Gesellschaft für die Kinder, die nicht (mehr) funktionieren. Das ist eine massive Verkennung ihrer eigentlichen Aufgaben.

Problemkinder schleppen meist mehr als nur Kinderprobleme mit sich. Damit die Schule all das kompensieren kann, was ihnen das Leben draußen vorenthält, müssen endlich multiprofessionelle Teams in Schulen etabliert werden – mit Psychologinnen, Sozialarbeitern, Freizeitpädagoginnen und Erziehern. Nur so kann man geschult auf unterschiedliche Bedürfnisse eingehen und Konflikte lösen.

Eine Bumerang-Pädagogik aber, die schwierige Kinder schon in jungen Jahren in ihr Elend zurücksuspendiert, wird uns früher oder später alle einholen. (Lisa Nimmervoll, 5.2.2024)