Screenshot Palworld
Diese Szene mag beeindruckend wirken. Bis es aber erst mal soweit ist, vergehen etliche Abende.
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Ich bin weitgehend ohne Pokemon aufgewachsen. Als Kind habe ich lieber Serien wie "Duck Tales" als die Abenteuer von Pikachu und seinen Freunden verfolgt, als Jugendlicher habe ich mich dann lieber in "Magic: The Gathering" als mit Taschenmonster-Spielkarten duelliert. Und auch während ich als junger Erwachsener Mangas und Animes in einer Bandbreite konsumierte, die vom verträumten Studio Ghibli bis zum Cyberpunk-Klassiker "Ghost in the Shell" reichte, ließen mich Ashs Abenteuer noch immer kalt.

Dann kam der Sommer 2016, und mit ihm der unaufhaltsame Hype um "Pokemon Go": ein Spiel, das auch Neuankömmlinge abholte, indem sie die kleinen Viecher nicht auf einer Konsole, sondern mittels Smartphone in freier Wildbahn fingen, um sie später in Kämpfe zu schicken. Ein simples Spielprinzip, das mich und viele andere wohl auch deswegen abholen konnte. Und nun ist "Palworld" da. Ein Spiel, das von Fans und Fachpresse als "Pokemon mit Maschinengewehren" angepriesen wurde.

Fein, so manches Action- oder Strategiespiel hat mir auch schon Spaß gemacht. Lizenzrechtliche Fragen ("Palworld" ist kein offizielles Pokemon-Spiel) einmal beiseite: Sollte mich das neue Indie-Game somit nicht ebenso abholen wie der Eierbrütsimulator im Jahr 2016?

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Dank Microsofts Gamepass habe ich "Palworld" ohne zusätzliche Kosten rasch auf PC und Xbox Series X installiert, für Gamepass-Verweigerer ist es auf der Plattform Steam erhältlich. Zusätzlich liegt ein Controller auf meinem Nachtkastl, damit ich via Cloud auch vor dem Schlafengehen die neuen Abenteuer auf dem mobilen Gerät erleben kann. Endlich wieder Pokemon fangen, die in diesem Spiel "Pals" heißen (ganz so dreist war man beim Kopieren dann doch nicht), die Vorfreude ist groß.

Palworld | Early Access Launch Trailer | Pocketpair
Der Trailer verspricht Mystik und Abenteuer. Doch der Schein trügt.
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Doch "Palworld" ist kein Action- oder Strategiespiel, sondern ein sogenanntes Survival-Game und folgt somit der Gameplay-Formel anderer bekannter Genrevertreter: Vor rund drei Jahren entstand etwa ein Hype um ein Spiel namens "Valheim", bei dem man in einem mystischen Wald eine Basis und Werkzeuge baut, indem man vorher Steine zerhackt und Bäume fällt.

Davor gab es mit "Conan: Exiles" ein anderes Survival-Game, bei dem man in einer kargen Wüste eine Basis und Werkzeuge baut, indem man Steine zerhackt und Bäume fällt. Ein weiteres Survival-Game, "Subnautica", fällt hier ein wenig aus der Reihe: Es spielt auf einem überfluteten Planeten, und somit gibt es keine Bäume, die man fällen kann. Stattdessen werden die Rohstoffe vom Meeresgrund aufgesammelt – um eine Basis und Werkzeuge zu bauen.

Trigger-Taste im Dauereinsatz

"Palworld" verspricht zwar Abenteuer und Entdeckungen in einer Welt voller vielfältiger Pals, doch im Kern folgt es genau der gleichen Formel wie vorherige Survival-Spiele: Nach Erstellung des Charakters findet man sich auf einer tropischen Insel mit faszinierender Fauna wieder, wo man eine Basis und Werkzeuge baut. Indem man vorher Steine zerhackt und Bäume fällt.

Palworld: Die Basis wird ausgebaut
Alltag auf dem Bauernhof: Es wird gebaut und Feuer gemacht.
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Und das macht man in "Palworld" oft. Sehr, sehr oft. Denn zu Beginn des Spiels ist man nahezu nackt, hat kein Zuhause, muss sich also ein Gebäude zum Schutz gegen die nächtliche Kälte ebenso aufbauen wie Kleidung nähen. Das braucht Zeit, sehr viel Zeit: Die ersten zwei Abende meiner Spielzeit habe ich großteils damit verbracht, die rechte Trigger-Taste meines Controllers zu drücken - um Holz zu hacken - und rechtzeitig wieder loszulassen. Warum loslassen? Weil das Spiel voller Fantasiewesen zumindest so viel Realismus hat, dass die Spielfigur beim Holzhacken zwischendurch erschöpft und für ein paar Sekunden pausieren muss. Na, wenigstens kriege ich keinen Fingerkrampf.

Kann nicht jemand anders die Arbeit machen?

Das bleibt natürlich nicht so, das Spiel wird allmählich komplexer. Am dritten Abend verspürte ich sogar ein Gefühl, dass man mit einer gewissen Portion Wohlwollen als "Spaß" bezeichnen kann. Da hatte ich meine Basis schon so weit ausgebaut, dass ich selbige zum Abbauen von Stein und Holz nicht mehr verlassen muss, sondern dies direkt vor Ort erledigen kann. Auch erschöpft meine Spielfigur dabei nicht mehr. Was bedeutet, dass man die virtuelle Arbeitszeit in der realen Welt auch anders nutzen kann: Die passende Taste weiterhin gedrückt haltend, habe ich den Controller teils mit in die Küche genommen, um mir einen Tee zu kochen oder gleichzeitig mit der anderen Hand ein Buch gelesen.

Auch können Pals später eingeteilt werden, damit sie die Arbeit für einen übernehmen oder sogar in Kämpfen mitwirken. Dafür müssen die Pals aber erst einmal gefangen werden. Und dafür braucht man Pokeb... äh, ich meine natürlich "Pal-Sphären", die man wiederum herstellen muss. Sie ahnen es schon: Dafür braucht es wieder Rohstoffe, die abgebaut und von A nach B geschleppt werden müssen. Erwähnte ich bereits, dass man nur eine gewisse Menge an Holz und Stein tragen kann und daher Wege doppelt bis dreifach zurücklegen muss? Auch so kann Spielzeit natürlich in die Länge gezogen werden.

Palworld Fabrik
So sähe eine perfekte "Palworld"-Welt aus: Das Volk schuftet, wir schauen zu.
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Und nach dem Motto "More Pals, more Problems" ist es schließlich nicht so, dass mit mehr Pals keine Arbeit mehr anfällt. Im Gegenteil: Die neuen Mitbewohner wollen mit Schlafgelegenheiten versorgt, koordiniert und gefüttert werden. Somit habe ich an meinen freien Abenden zunächst ein Mahl für die reale Familie zubereitet, um anschließend für die Monster-WG zu kochen. Ich spiele, dass ich arbeite. Und so etwas nennt sich Hobby? Absurd.

Und dennoch ...

Fairerweise muss an dieser Stelle gesagt werden, dass ich in Bezug auf Survival-Games ein gebranntes Kind bin: Vor ein paar Jahren hatte ich nach etlichen Spielstunden um zwei Uhr morgens den Controller ermüdet beiseitegelegt und beschlossen, dass ich ein echtes Leben brauche, anstatt weiter in "Conan: Exiles" auf Bäume und Felsen zu hauen. Und dennoch ergeht es mir so wie Millionen anderen, meist sehr jungen Gamern: Ich kann nicht aufhören, "Palworld" zu spielen.

Warum? Weil trotz der uninspirierten, ermüdenden und eintönigen Tätigkeit des Bäume- und Steinehauens am Ende immer eine kleine Belohnung steht, welche für einen Schwall an Glückshormonen sorgt. Etwa dass ich ein Level aufsteige. Oder dass ich einen Arbeitsprozess mithilfe meiner Pals automatisiert habe und mich somit nicht mehr darum kümmern muss. Dass ich ein neues Möbelstück in mein virtuelles Zuhause gestellt habe. Oder auch das Gefühl, erfolgreich einen neuen Pal gefangen zu haben, was vermutlich irgendwie auch ein Kernelement des Spiels ist.

Ebendieser Ausblick, die nächste Stufe der virtuellen Entwicklung zu erreichen, damit neue Möglichkeit freizuschalten und vielleicht irgendwann so viel Spaß zu haben wie in einem anderen Spiel, ist für sehr viele Menschen Grund genug, jeden Abend den PC oder die Konsole einzuschalten und auf Bäume zu hauen. Das mag man nun vielleicht bescheuert finden – aber erinnern sie sich daran, wie wir im Sommer 2016 stundenlang über heißen Asphalt pilgerten, um in "Pokémon Go" virtuelle Eier auszubrüten? Eben. Jedem sein eigenes Hobby. (Stefan Mey, 8.2.2024)