Junge Menschen stoßen mit Fruchtsaft an
Laut Studien wollen immer mehr junge Menschen in westlichen Ländern heute lieber einen klaren Kopf statt klarer Spirituosen.
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Sascha Pfeiffer sitzt in einem Flanellhemd auf einer Holzbank im Wald und wirkt glücklich. Vor 500 Tagen habe er die Entscheidung getroffen, keinen Alkohol mehr zu trinken. "Es war mit Abstand die beste Entscheidung, die ich jemals für meine Gesundheit und auch meine persönliche Entwicklung getroffen habe", sagt der junge Extremsportler und Influencer in einem Youtube-Video. In seinem Alltag sei Pfeiffer nun aufmerksamer und produktiver. Der Deutsche nennt Alkohol rückblickend "diese äußere Gewalt, die meine Pläne torpediert hat".

Pfeiffer ist in der Welt der Influencer in guter Gesellschaft. Viele Stars auf Youtube, Instagram und Tiktok berichten, lieber ohne Alkohol durchs Leben gehen zu wollen. Sie sagen, so die Selbstkontrolle und einen klaren Kopf behalten zu können. Vielen geht es dabei nicht gleich um einen dogmatischen Verzicht, sondern darum, weniger und bewusster zu trinken. "Nüchtern ist das neue Cool", fasste die "Süddeutsche Zeitung" das zusammen. Der Trend schwappt nun auch nach Österreich über. Die Wienerin Bettina Wittmann gründete kürzlich die Community The Sober Hedonist, die zeigen will, dass Party, Spaß und Geselligkeit auch ohne Alkohol möglich sind.

Die neuen Spielarten der Trinkkultur spiegeln sich wider in nüchternen Zahlen. So zeigt die internationale Schülerbefragung Espad für Österreich: Im Jahr 2003 konsumierten Schülerinnen und Schüler der neunten und zehnten Schulstufe, also ungefähr 15-Jährige, im Schnitt 14 Gramm Alkohol täglich; im Jahr 2019 waren es nur noch zehn Gramm. Letzteres entspricht etwa einem Viertelliter Bier. Auch das "Handbuch Alkohol", ein wissenschaftlicher Bericht im Auftrag des Gesundheitsministeriums, bestätigt, dass in Österreich wie in den meisten westlichen Ländern der Alkoholkonsum junger Menschen sinkt.

Die fetten Jahre sind vorbei

Woran könnte das liegen, wo doch die Generation Z dem Superlativ sonst nicht abgeneigt ist? Der Psychologe Johannes Lindenmeyer, Professor an der Medizinischen Hochschule Brandenburg und seit mehr als 40 Jahren Behandler von Alkoholkranken, erklärt die Entwicklung auch damit, dass sich das Leben teilweise in digitale Räume verlagert hat.

"Alkohol führt ab einer bestimmten Menge doch zu einer Sedierung, und das wirkt nicht so toll. Außerdem macht Alkohol fett, das ist auch nicht so toll. All das ist für digitale Kontakte nicht so nützlich. Sie haben generell unter Jugendlichen auch ein viel größeres Bewusstsein der körperlichen Erscheinung", sagt Lindenmeyer dem STANDARD. Allerdings: "Es findet eine Polarisierung statt. Die Mehrheit der Jugendlichen lernt tatsächlich, weniger zu konsumieren. Aber die Gruppe, die viel konsumiert und zu Exzessen neigt, wird nicht kleiner", sagt der Psychologe.

Auch Wolfgang Preinsperger, ärztlicher Leiter am Wiener Anton-Proksch-Institut, sagt: "Auf Instagram preisen junge Menschen die Abstinenz und das Reduzieren an. Das hat einen riesigen Einfluss, auch wenn es dazu noch keine Zahlen gibt." Hinzu komme, sagt Lindenmeyer, dass in Ländern wie Österreich und Deutschland die jahrelange Prävention und Aufklärung einen gewissen Erfolg verzeichne.

Der Alkoholkonsum von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sinkt im Durchschnitt in vielen Ländern Europas
Der Alkoholkonsum von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sinkt im Durchschnitt in vielen Ländern Europas.

"Gestörte Trinkkultur"

Damit keine Missverständnisse entstehen: Die Menschen in Österreich trinken immer noch viel Alkohol. Im "Handbuch Alkohol" wird für 2022 geschätzt, dass hier täglich 25,7 Gramm Reinalkohol pro Kopf konsumiert wurden. Das sind rund 0,6 Liter Bier, wohlgemerkt im Durchschnitt.

Bei Ländern wie Österreich und Deutschland müsse man daher von einer "gestörten Trinkkultur" sprechen, sagt Suchtexperte Lindenmeyer und meint damit: "In einer Vielzahl von sozialen Situationen gilt Alkoholkonsum als das Normale und das Nichttrinken als die Ausnahme." Positiv sei aber, dass der Konsum am Arbeitsplatz stark zurückgegangen sei. Im Baugewerbe und in Fabriken herrsche "eine ganz andere Sensibilität als früher".

Bewegung im Getränkemarkt

Die Getränkewirtschaft reagiert bereits auf die fortschreitende Ernüchterung. Einerseits erweitern zum Beispiel Brauereien ihr Angebot um alkoholfreie Softdrinks wie Hopfenlimonaden. Andererseits wächst neben den Märkten für alkoholfreies Bier und alkoholfreien Schaumwein auch jener für Alternativen zu Spirituosen.

Unter der Berliner Marke Laori wird alkoholfreier Gin abgefüllt, und Aperol-Alternativen ohne Alkohol bekommt man auch schon in österreichischen Diskontmärkten. Gleichzeitig führen viele Bars wie das Wiener Lokal The Sign heute auch Cocktails ohne Schuss, jenseits vom altmodischen Virgin Colada.

Das Hekate Café in New York ist eine alkoholfreie Bar
Das Hekate Café in New York ist eine alkoholfreie Bar.
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Sortenreine Traubensäfte

Auch Norbert Walter, Obmann des Wiener Bauernbunds und selbst Betreiber einer Buschenschank am Bisamberg, beobachtet veränderte Gästewünsche. "Es ist ein Trend ablesbar, dass Jugendliche vermehrt zu Traubensäften greifen, vor allem zu sortenreinen Traubensäften", erzählt er. Die Landwirtschaftskammer Wien vermarktet ihren Traubensaft heute ähnlich wie die vergorenen Tropfen – teilweise als Sorten wie Grüner Veltliner, Gelber Muskateller und Blauer Portugieser.

In seinem eigenen Betrieb habe sich der Absatz von Traubensaft seit dem Jahr 2020 fast verdoppelt, sagt Walter. Generell gebe es bei Winzern die Bemühung, "dass der Alkohol im Wein weniger wird. Die Kundschaft sagt oft: 'Was, der Wein hat 14 Prozent? Das trinken wir nicht, das ist uns viel zu schwer.'"

Biere werden leichter

Der Verkauf von alkoholfreiem Bier in Österreich hat sich in den vergangenen zehn Jahren ebenso verdoppelt, auf 28,77 Millionen Liter im Jahr 2022. Wobei Hubert Stöhr vom Verein der unabhängigen Privatbrauereien auf Nachfrage feststellt, dass das Wachstum auf bisher 3,3 Prozent Marktanteil nicht so dynamisch sei wie etwa in Deutschland. Was Stöhr auch auffällt: "Bei Bieren, die neu auf den Markt kommen, geht der Alkoholgehalt im Schnitt schon nach unten. Gerade haben wir zum Beispiel eine Welle des Hellbiers, das auch ein leichtes Bier ist."

Der Mediziner Preinsperger sagt, dass "eine Rauscherfahrung ein kulturelles Phänomen ist, das nicht ausschließlich negativ ist". Es komme dabei aber auf ein paar Fragen an: "Wie oft mache ich das? Mache ich das geplant? Tue ich das in Situationen, die ich im Griff habe? Kann ich den Konsum begrenzen oder wird er exzessiv?“

Die Einführung von Marken für alkoholfreies Bier wie Zisch, Freibier und Freigeist sowie schick etikettierte Schnapsalternativen und sortenreine Apfel- und Traubensäfte, all das deutet darauf hin, dass es der ernüchterten Generation nicht um Askese, sondern um eine andere Form von Trinkvergnügen geht. Nicht umsonst nennt sich die Bewegung "Sober Curious", auf Deutsch "nüchtern-neugierig". Weniger und anders zu trinken ist wohl einfach ein Zeichen einer Generation, die nicht mehr alles runterschluckt. (Lukas Kapeller, 10.2.2024)