Gerald Knaus
Forscher Gerald Knaus prophezeit: "Rezepte der Rechtspopulisten werden ganz sicher nicht dazu führen werden, dass weniger Flüchtlinge kommen."
Dominik Butzmann / dpa Picture A

Wer Gerald Knaus dieser Tage erreichen will, braucht in erster Linie Geduld. Der Migrationsforscher geht in Terminen unter, mit Ministerien, Diplomaten. Weil die Politik in Deutschland, wo Knaus seit Jahren lebt, aber auch in seiner alten Heimat Österreich händeringend nach Ideen sucht, wie sie beim Thema Migration den vermeintlich einfachen Lösungen der erstarkenden Rechtspopulisten von AfD und FPÖ begegnen kann. Zeit für Journalistenfragen hat er kaum. Dem STANDARD hat Knaus dann aber schließlich doch erklärt, wie der Druck der Migration in Richtung Europa aus seiner Sicht zu lindern wäre – ohne dabei die Menschenrechte außer Acht zu lassen.

STANDARD: Warum wählen so viele Menschen Parteien, deren Pläne ihnen selbst womöglich gar nicht viel bringen – solange diese versprechen, die Migrationsfrage hart zu lösen?

Knaus: Die Debatten sind nicht überall gleich. Nehmen wir Deutschland, wo vor kurzem zwei Fünftel der Bevölkerung erklärten, Migration sei für sie das wichtigste Thema, und ein Fünftel sagt, es wolle vor allem auch daher die AfD wählen. Ja, Deutschland erlebt seit Anfang 2022 die größte Fluchtbewegung seit den 1940er-Jahren und hat über eine Million Ukrainerinnen aufgenommen. Der Fokus der AfD aber liegt auf der viel kleineren Gruppe von Asylsuchenden aus muslimischen Ländern. Und auf dem von Rechtspopulisten verstärkten Gefühl, dass Regierungen die Kontrolle darüber verloren haben, wer ins Land kommt. Angst vor Kontrollverlust ist auch in Demokratien ein politisch mächtiges Gefühl.

STANDARD: Warum tun sich die Regierungsparteien so schwer, den vermeintlich einfachen Lösungen der Rechtsextremen eine differenzierte Sachpolitik entgegenzusetzen?

Knaus: Man kann klarmachen, dass viele Rezepte der Rechtspopulisten ganz sicher nicht dazu führen werden, dass weniger Flüchtlinge kommen. Die größte Fluchtursache weltweit heute ist Wladimir Putin und sein Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wer nun die Ukraine aufgeben möchte, nimmt in Kauf, dass weitere Millionen Menschen von dort fliehen müssten. Daneben geht es darum, klarzumachen, dass das Angebot von Rechtspopulisten entweder auf einem Bluff beruht, indem sie etwas versprechen, was man nicht umsetzen kann, oder darauf, die Rechtsstaatlichkeit zu opfern. Das ist das, was Viktor Orbán in Ungarn macht, wo das Asylrecht abgeschafft, Menschenrechte und Gerichtsurteile ignoriert und internationales Recht einfach gebrochen wird. Ja, so kann man Asylzugangszahlen reduzieren, auf Kosten von Nachbarn wie Österreich, die nicht dazu bereit sind, die Menschenwürde und den Rechtsstaat zu opfern. Ist man aber nicht bereit, den Rechtsstaat zu opfern, sind viele Versprechen der Rechtspopulisten nicht umsetzbar.

STANDARD: Und trotzdem glauben die Menschen ihnen ...

Knaus: Weil auch Parteien der Mitte bei diesem Thema an Glaubwürdigkeit verloren haben. Wenn man viele Jahre lang ankündigt, man werde Asylzahlen reduzieren, dann aber kein Rezept dafür hat, wie das rechtsstaatlich machbar ist, öffnet man sich der Kritik von rechts außen. In Österreich hatten wir seit 2017 unter ÖVP-Kanzlern im weltweiten Vergleich nicht nur mit die höchsten Asylantragszahlen pro Kopf, sondern auch eine hohe Anerkennungszahl. Das liegt daran, dass die Verwaltung und die regierenden Parteien, gerade auch die ÖVP, zum Glück nicht bereit sind, Recht und Verfassung einfach zu verletzen.

STANDARD: Der Begriff "Remigration" ist seit Jahren Teil rechtsextremer Propaganda. Warum hat er jetzt für einen solchen Aufschrei gesorgt?

Knaus: Es gibt gute Gründe dafür, rechtsextreme Bedrohungen sehr ernst zu nehmen. Gerade die radikalsten Verbände der AfD könnten in drei ostdeutschen Bundesländern 2024 Wahlen gewinnen. Dazu kam die Symbolik eines Treffens in Potsdam nahe des Wannsees, bei dem AfD-Mitarbeiter einem Identitären aus Österreich zuhörten. Die Kernidee der Identitären ist seit ihrer Gründung, Massen von Muslimen zu vertreiben. Vielen Leuten ist jetzt klar geworden, dass Björn Höckes (AfD-Fraktionschef in Thüringen, Anm.) Gerede über Vertreibungen von Minderheiten ernst gemeint ist. Und Vertreibungen gab und gibt es ja auch viele, jüngst die Vertreibung von hunderttausend Armeniern aus Karabach, die wiederum von serbischen Politikern in Belgrad heute als vorbildlich bezeichnet wird.

STANDARD: Sie haben 2015 den Migrationsdeal der EU mit der Türkei miterdacht, der unter der Formel Hilfsgelder gegen Rücknahme von Bootsflüchtlingen die europäischen Grenzen entlastete. Was hat Europa daraus gelernt?

Knaus: Nicht genug. Wenn man irreguläre Migration reduzieren will, ohne Recht zu brechen, gibt es Voraussetzungen dafür, dass das gelingt. Erstens braucht man einen sicheren Drittstaat, zweitens muss dieser Staat ein Interesse haben, Menschen aufzunehmen. Und drittens braucht man die Mittel für rechtsstaatliche und schnelle Rückführungen ab einem Stichtag. Nur so können Menschen entmutigt werden, sich in gefährliche Boote in Richtung Europa zu setzen. Daran sollten demokratische Parteien arbeiten. Gelingt das nicht, bleiben die beiden Optionen Kontrollverlust oder illegale Pushbacks und Gewalt, wie wir es in den vergangenen Jahren auch gesehen haben.

STANDARD: Sie haben vorgeschlagen, dass Flüchtlinge ihr Asylverfahren im ostafrikanischen Ruanda abwarten. In Großbritannien hat das Höchstgericht einen derartigen Versuch gestoppt. Warum bleiben Sie dabei?

Knaus: Es geht um eine umsetzbare Vision der Kontrolle und darum, den desaströsen Status quo zu beenden, in dem seit 2017 100.000 Menschen vom Meer nach Libyen zurückgebracht wurden, unter grauenhaften Bedingungen. 2023 sind auf diesem Weg trotzdem mehr als 45.000 Menschen nach Italien gekommen, mehr als 2000 ertrunken. Diese zynische Politik kann nicht die Antwort auf Rechtspopulisten sein. Stattdessen sollte die EU mit sicheren Drittstaaten kooperieren, wo man faire Asylverfahren durchführt. Ruanda hat sich dafür angeboten, kann aber, und das ist die Kritik der englischen Richter, derzeit noch keine glaubwürdigen Asylverfahren bieten. Das UNHCR könnte dabei helfen, diese Bedingungen zu schaffen.

STANDARD: Was könnte ein erster Schritt sein?

Knaus: Der erste Schritt liegt in Europa. Österreich könnte sich mit Deutschland und Dänemark an Großbritannien wenden und anbieten, jeden zurückzunehmen, der von Frankreich aus über den Ärmelkanal nach Großbritannien fährt. Nach zwei Monaten sollten dann keine Boote mehr auslaufen. Großbritannien sollte dafür geordnet jedes Jahr 20.000 Asylsuchende von uns aufnehmen, die dorthin wollen. Auch mögliche Partner in Afrika würde dann sehen, dass es nicht darum geht, dass reiche Länder ihre Asylverfahren in arme Länder auslagern, sondern dass beide Seiten ein Interesse daran haben, lebensgefährliche irreguläre Migration zu reduzieren und legale Wege auszubauen. In Deutschland wird darüber intensiv debattiert.

STANDARD: Was halten Sie von Bezahlkarten statt Bargeld für Asylwerber, wie es in Thüringen gerade geprobt wird (siehe Kasten)?

Knaus: Vielleicht könnte das dazu führen, dass weniger Menschen aus Albanien oder Nordmazedonien nach Deutschland kommen, deren Asylanträge ohnehin meist aussichtslos sind. Afghanen oder Syrer wird es aber nicht davon abhalten. Am besten wäre es aber, wenn aussichtslose Asylanträge anders entmutigt werden. Da sind Österreich und die Schweiz erfolgreicher als Deutschland. (Florian Niederndorfer, 11.2.2024)