Maciej Kuzminski „Memoryhouse“ in Linz - die Bühne ist ein echtes Meisterwerk von Gabriela Neubauer.
Maciej Kuzminski „Memoryhouse“ in Linz - die Bühne ist ein echtes Meisterwerk von Gabriela Neubauer.
Philip Brunnader

Wie könnte ein psychischer Raum für Erinnerungen aussehen? Wer sich darunter etwas Freundliches vorstellt, etwa ein lichtdurchflutetes Glashaus mit bunten biografischen Blüten, kommt wohl einer Verklärung nahe. Das "Memoryhouse" im gleichnamigen Werk des polnischen Choreografen Maciej Kuźmiński jedenfalls sieht ganz anders aus.

Am Freitag feierte das Stück als neue Produktion der Kompanie Tanz Linz am dortigen Schauspielhaus seine Uraufführung. Am Ende gab es begeisterten Applaus, obwohl Kuźmiński ein zutiefst unheimliches Szenario zeigt: Um das Relikt einer gewaltigen Betonrolle oder -höhle (ein echtes Meisterwerk von Gabriela Neubauer) tanzen Figuren, die wie Nachfolger der Beckett-haften Gestalten in May B anmuten. Dieses ikonische Werk der französischen Choreografin Maguy Marin aus dem Jahr 1981 war mehrmals auch in Österreich zu sehen.

Es scheint, als hätten Kuźmińskis 15 Tänzerinnen und Tänzer mit dem Memoryhouse die zwielichtige Komplexität der menschlichen Psyche aufgesucht und sich dort als grau geschminkte und gekleidete Gespenster in den Echos längst verwehter Ereignisse eingelebt. Sie geistern als Gruppe herum, die trancehafte Trios – gedacht als Anspielungen auf die drei griechischen Schicksalsgöttinnen –, flüchtige Duette und somnambule Soli hervorbringt.

Die Psyche wird hier als ein "Unort" dargestellt, in dem sich private und gesellschaftliche Mythen bilden. Die Figuren darin tanzen wie von unbewussten Mächten getrieben. Dabei zeigt sich, dass die Linzer Kompanie seit ihrer gelungenen letzten Uraufführung im vergangenen Herbst mit Caroline Finns Romeo und Julia noch weiter an Qualität gewonnen hat.

Linzer Höhenflug

Angesichts der ausgezeichneten Choreografie von Memoryhouse wirkt es fast seltsam, dass Maciej Kuźmiński (39) bei den heimischen Tanzveranstaltern bisher noch nicht wirklich angekommen ist. Jetzt ist es Roma Janus, seit knapp zwei Jahren Leiterin von Tanz Linz, die den international gefragten Polen endlich an einer größeren österreichischen Institution arbeiten lässt.

Im Vorjahr hat der vielfach ausgezeichnete Künstler ein Stück mit Studierenden des Institute for Dance Arts an der Linzer Bruckner-Uni entwickelt. Und Anfang 2017 war er mit seiner eigenen Gruppe in Millstatt zu Gast. Der Bogen seiner Arbeiten reicht von choreografischem Theater bis hin zu primär tanzorientierten Werken wie Memoryhouse. Seit Beginn von Putins mörderischer Attacke gegen die Ukraine konzentriert sich Kuźmiński thematisch auch auf die Folgen des Krieges für dessen Opfer. Ein Beispiel für dieses Engagement ist das 2022 in Gdańsk (Danzig) uraufgeführte Every Minute Motherland. 2019 löste die Uraufführung von Plateau in Bytom eine Debatte aus, mit der Folge, dass die Performance, so der Choreograf, "informell, aber effektiv zensuriert" wurde.

Nach unruhigen Zeiten vor dem Abgang von Mei Hong Lin 2022 sieht es so aus, als hätte Tanz Linz mit Janus eine künstlerische Leiterin gefunden, die der Kompanie mit ihrer klugen Auswahl von Gastchoreografinnen und -choreografen einen Höhenflug ermöglicht. (Helmut Ploebst, 11.2.2024)