Streaming, Twitch, Nacon
Die Hardware ist neben der Zeit die größte Investition auf dem Weg zur Streaming-Karriere.
STANDARD, aam

"Hallo Chat", sage ich motiviert. Wissend, dass da niemand ist. Aber vielleicht schaut ja noch jemand vorbei. Ein Freund, ein Bekannter oder einfach jemand, der zufällig nach meinem Namen auf der Streamingplattform Twitch sucht. Spoiler: Keiner ist vorbeigekommen. Das sagt zum einen viel über meine Freunde aus und zum anderen über die Anfangsschwierigkeiten, die man als Jungstreamer so hat.

Im Rampenlicht stehen nämlich, wie in so vielen anderen Bereichen des Lebens, jene, die es geschafft haben. Wenn die deutschen Streamer und Content-Creators Montanablack oder Trymacs von ihren Millionen sprechen, die sie mittlerweile mit ihren Job einnehmen, zeichnet sich ein sehr idealisiertes Bild eines komplexen Bereichs ab. Bissl quatschen, bissl zocken, und die Werbeagenturen klopfen fleißig an die eigene Tür – so läuft es tatsächlich selten bis nie.

In Wirklichkeit ist der Weg zu Ruhm und Reichtum ein steiniger. Speziell wenn man erst jetzt in die schöne, bunte Streaming-Welt eintaucht. Die technischen Hürden sind aber schnell genommen, wie ich in meinem Selbsttest feststellen konnte. Allein das Community-Building erwies sich als schwierig – und der tägliche Druck, unterhaltsamen Content liefern zu müssen.

Twitch Streaming
Meine ersten Gehversuche unternahm ich in einem Spiel, das ich gut kenne: "Marvel Snap".
Twitch

Aller Anfang ist Hardware

Nachdem ich mit einem Powerhouse von einem PC ausgestattet bin, sofern das für das Streamen relevant ist, und mir Nacon sein neues Streaming-Microphone (circa 70 Euro) sowie eine schicke Webcam (circa 70 Euro) hat zukommen lassen, war ich eigentlich bereit, meine Zweitkarriere zu starten. Meine Chefredakteurin nickte die Story leichtsinnig ab, offenbar unwissend, welch großartiges Entertainment-Talent in mir steckt.

Auf Twitch hatte ich bereits einen Account, aber selbst das Anlegen eines neuen gehört zu den einfachsten Dingen auf dem Weg zum Streaming-King. Auf der Twitch-Seite wird dann gut erklärt, was man zum Start benötigt. Da wäre zunächst einmal Twitch Studio, das man sich runterladen muss. Dies ist das Hub, mit dem ihr den Stream starten, Videos aufzeichnen und die Informationen zu eurem Stream einstellen könnt. Dann wählt man ein Spiel und sagt der Software, dass sie ab jetzt das Signal von ebendiesem Spiel abgreifen soll. Eine angesteckte Webcam wird automatisch erkannt und damit mein Gesicht in einem kleinen Fenster links unten sichtbar.

Hat man sich kurz versichert, dass im Hintergrund keine peinlichen Dinge rumliegen, drückt man das erste Mal auf "Stream starten". Schnell merkt man, wie der Puls höher geht und die Aufregung steigt. Alles, was man jetzt sagt, wird live auf der Plattform Twitch gestreamt. Nichts, was man zurücknehmen kann. Es ist dann draußen im Netz ... hallo Chat? Ist da jemand?

Nacon Microphone
Mit einer Kamera und einem guten Mikrofon kann man schon einmal reinstarten in die Streaming-Karriere.
STANDARD, aam

Da ist jemand

Ich wähle "Marvel Snap" als Titel. Ich kenne und spiele das Game seit rund einem Jahr, und mir hat mal jemand gesagt, dass es gut ist, wenn Gehirnkapazitäten frei bleiben, um mit dem Chat zu interagieren. Das sei wichtig, weil so wird Kundenbindung aufgebaut. Zockt man einfach verträumt und fluchend vor sich hin, sind die Leute schnell wieder weg. Dafür müssen sie aber zunächst einmal da sein, was sie auch nach 20 Minuten, zumindest in meinem Stream, nicht sind. Ich schaue auf die Twitch-Website und suche in der Kategorie "Marvel Snap". Da ich oben nicht aufscheine, scrolle ich runter und runter und runter. Am Ende finden sich rund 15 Leute, die mit einem Follower streamen. Ich bin nicht dabei. Offenbar wird man erst sichtbar, wenn die Community durch ihre Anwesenheit den Streamer ins Rampenlicht schiebt.

Erst als ich meinen Namen suche, finde ich meinen Stream. Ich bin online.

Schnell schreibe ich zwei Freunde an. Einer ist gerade Schach spielen, der andere muss spät arbeiten. Undankbares Pack, denke ich mir und streame noch 20 Minuten weiter. Der Chat bleibt leer.

Der schnöde Amon

Es ist viel, was man sich überlegen muss als Streamer. Wie man "Inhalte monetarisiert", wird auf Twitch erklärt. Erst durch Abos, später durch das Abspielen von Werbung – sofern man den "Affiliate-Status" und später den "Partner-Status" erreicht hat. Als Text oder in kurzen Videos wird auch erklärt, wie man die eigene Community wachsen lassen kann. "Namentliches Begrüßen von Zuschauern im Chat" wird da genannt, das "Beantworten ihrer Fragen" und vieles mehr. Für die Stimmung im Stream ist man natürlich auch verantwortlich. Es gibt Richtlinien, die "ein Gefühl der gemeinsamen Verantwortung fördern" und dafür sorgen sollen, "dass alle Nutzer zusammen eine freundliche und positive Umgebung für unsere weltweite Community schaffen".

Was man nämlich schnell vergisst: Als Streamer ist man auch für die Inhalte im Chat verantwortlich. Deshalb kann man Inhalte melden, wenn sie beispielsweise beleidigend sind. Ist man berühmt, machen das Moderatorinnen und Moderatoren. Als kleiner Streamer ist man selbst der Mann fürs Grobe.

Im Idealfall macht man dann auch einen Streaming-Plan, an welchen Tagen man online ist und welche Inhalte man plant. Große Streamer wie der Kärntner Thomas, besser bekannt als Jessirocks, lassen auf sämtlichen Social-Kanälen ihre Community wissen, was sie wann spielen, damit auch viele einschalten. Eine Strategie, die mir auch hätte einfallen können. Auch die Wahl des Spiels ist nicht unwesentlich. Aktuelle Hype-Games aufgreifen mag ein Weg sein, so mancher Streamer empfiehlt allerdings, eher auf Nischen zu setzen, diese aber konsequent zu bespielen.

Kein Selbstläufer

Ich habe das in der Woche, in der ich meine Karriere durchstarten wollte, nicht getan. Ich habe mein Lieblingsspiel genommen, bei dem ich auch einigermaßen unterhaltsam daneben plaudern konnte. Interessiert hat das niemanden. Leute wie Rafael "Eisler" Venicraft haben mir in den letzten Jahren immer wieder erzählt, wie mühsam der Weg nach oben ist und wie viel Zeit man investieren muss, bis an einem Tag hoffentlich der Erfolg zum Content-Creator findet. Manchmal klappt es nie, wie mir der Langzeit-Streamer Christian Haumer im Vorjahr erzählte.

Für ungeduldige Naturen ist Streaming also nichts. Vor allem Twitch, wie mir auch Rene "Luigikid" Wurz im Gespräch erzählt. "Versuch lieber Youtube oder Tiktok", sagt er mir. Dort sei der Algorithmus besser, "um gefunden zu werden", verrät mir Wurz. Generell sollte man schon eine Social-Media-Fanbase haben, um diese dann auf Twitch "rüberzuziehen". Oder man ist Profispieler und kann allein durch sein Können über Zeit diese Fanbase aufbauen.

Auch Sebastian Hunger, Head of Content bei Stream TV, spricht beim Streaming von einem "Marathon". Hunger: "Früher hieß es, einfach viel streamen und irgendwann wächst man, das ist heute nicht mehr so." Streaming sei heute höchst kompetitiv, und man müsse sich schon "abheben", um an die Zuschauerinnen zu kommen. Am besten gleich einen Discord einrichten, um die Community zu binden, gutes Setup besorgen, vor allem bei der Audioqualität sollte man nicht sparen. Bei den Streaming-Zeiten auch nachdenken, wann weniger Mitbewerber online sind. "Am besten im deutschen Sprachraum am Vormittag streamen." Am Abend seien auch die großen Streamer oftmals online.

Twitch
Auf der Twitch-Seite bekommt man zahlreiche Infos, was es alles zu tun gilt.
Twitch

Learnings

Um dem Text hier noch ein wenig Fülle zu geben, gehe ich noch einmal online. Kollege Zellinger leistet mir Gesellschaft, um mir Feedback zur Ton- und Bildqualität zu geben. "Ton passt sehr gut", meint er. "Bild könnte besser sein." Ich wechsle von "Marvel Snap" auf "Last Epoch", um einen aktuellen und technisch aufwendigeren Titel auszuprobieren. Auf einmal sind noch zwei Leute im Chat. Einer scheint mich zu kennen, spricht mich auf das ältere STANDARD-Videoformat "Wir spielen" an und wann es zurückkommt. Ich plaudere kurz, parallel kommt noch jemand in den Chat und stellt Fragen zum Spiel.

Ich weiß gar nicht, wem ich zuerst antworten soll. Ich arbeite mich durch die Fragen, fachsimple über das im Stream laufende Spiel. Ich frage, wie mich die Leute gefunden haben. Einer sagt, er habe den Link auf X gefunden, da Kollege Zellinger dort unbezahlte Werbung für meinen Auftritt gemacht hat. Der andere sagt, ich sei der erste Streamer, der auf der Seite in deutscher Sprache "Last Epoch" zockt. Ich bin aufgeregt. Könnten da noch mehr kommen? Tatsächlich sind innerhalb von zehn Minuten sieben Leute im Chat. Die wenigsten schreiben etwas. Ich versuche zu spielen, das Gezeigte zu erklären und parallel zu schauen, ob jemand Fragen stellt. Es macht Spaß, auch wenn es mich ein wenig stresst.

Langsam merke ich aber, warum man Gefallen an dem Hobby oder auch Job finden kann. Solange der Chat freundlich ist, fühlt es sich wie Spielen mit Freunden an und gleichzeitig wie ein Panel, bei dem man über sein Lieblingshobby plaudern kann. Ich werde gefragt, wann ich wieder online bin. Ich weiß es nicht. Noch habe ich keinen Streaming-Plan, aber vielleicht lege ich mir noch einen zu. (Alexander Amon, 25.2.2024)