Besonders angetan hatte es ihr der Aal. Das dunkelgrüne, schlangenförmige Wesen mit dem langen Unterkiefer, das in der Nähe der Bahamas als Larve schlüpft und dann in einer langjährigen Reise nach Europa schwimmt, um sich schließlich im Süßwasser, etwa im Fluss Vjosa, zu tummeln, kam zur Zeit der großen albanischen Biologin Sabiha Kasimati noch häufig in ihrem Heimatland vor.

Portrait Sabiha Kasimati
Sabiha Kasimati war eine albanische Biologin, die das erste Buch über Fische in Albanien schrieb. Im Alter von nur 38 Jahren wurde die gut gebildete Frau vom Regime des Diktators Enver Hoxhas zum Tode verurteilt und erschossen.
gemeinfrei

Heute ist der Aal auch in Albanien schwer gefährdet. Kasimati beschrieb 1948 in einem Artikel namens "Probleme der Fische und Fischerei in unserem Land" die Lebensräume der Fische, die großen, geschützten Meeresbuchten in Albanien, in denen das Blau in allen Schattierungen des Grüns verfließt, die trüben, jahrtausendealten Sümpfe und den Schlamm in den Unterwasserbetten mit ihrem reichen Angebot an Wasserpflanzen, Krebstieren und kleinen Weichtieren.

Sie unterbreitete Vorschläge, wo und wie der Staat von der Fischerei profitieren könnte, und kritisierte schon damals eine wahllose, intensive Fischerei, die zur Verarmung des Fischfauna führt. Kasimati war eine umsichtige Wissenschafterin, eine Pionierin der Fischkunde und eine Frau im akademischen Leben Albaniens.

Unkonventionelles Leben, brutaler Tod

Der Umstand, dass ihre Familie weitgereist und welterfahren war, ein bisschen wie die Aale, die nach Albanien kamen, ermöglichten Kasimati ein unkonventionelles und freies Leben, das mit einem brutalen Mord beendet wurde. Der paranoide, stalinistische und wohl auch sadistische Diktator Enver Hoxha ließ die emanzipierte Biologin Kasimati im Jahr 1951 erschießen. Ihr selbstständiges Denken, ihr Forschen und ihr Interesse an der Evolution erschienen ihm offenbar als Gefahr für die eigene tönerne Macht.

Künstlerisches Filmprojekt
Mit dem Leben und dem Werk von Sabiha Kasimati beschäftigen sich Kunstschaffende nun in einem besonderen Filmprojekt. Eine große Rolle nehmen darin Fische und das Leben unter der Wasseroberfläche ein.
Driant Zeneli

Sabiha Kasimati wurde 1913 im damals noch osmanischen Edirne in der heutigen Türkei, nahe der griechischen Grenze, als Tochter eines Arztes geboren. Die Familie zog mit dem Vater mit, wenn dieser eine neue Stelle, etwa an der Grenze zum Irak oder in Adana an der Grenze zum Libanon, annahm. Nach dem Ersten Weltkrieg kaufte er eine Liegenschaft in der Nähe von Thessaloniki. Doch nach dem Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei musste die Familie 1927 nach Albanien zurückkehren.

In Korça besuchte Kasimati als erste junge Frau das Lyzeum. Auf Fotos ist sie mit einer Mütze mit rot-schwarzem Band gemeinsam mit dem späteren Diktator Enver Hoxha zu sehen, der ebenfalls das Gymnasium besuchte. Hoxha ließ später einige jener Leute vernichten, die ihn aus jungen Jahren persönlich kannten.

Stipendium für Fischkunde

Nach dem Gymnasium unterrichtete Kasimati an der Mädchenschule von Korça "Moralische Erziehung" und "Französisch", später in Kavaja auch Biologie. Diese wurde ihre Passion. 1935 bekam sie ein Stipendium, um an der Universität von Turin Biologie zu studieren, und sie entschied sich sofort für Fischkunde, die Ichthyologie. Kasimati tauchte alsdann in die Welt der Störe, Wolfsbarsche, Karpfen und Meeräschen ein. Sie promovierte mit Bestnoten über die Fauna der Süßwasserfische in Albanien.

Der Universitätslehrstuhl bot ihr eine Stelle als Assistentin an, doch Kasimati zog es zurück nach Albanien. Sie begann dort Biologie zu unterrichten und regte an, ein Naturkundemuseum zu errichten, eine Bibliothek anzulegen und Sammlungen aus der albanischen Pflanzen- und Tierwelt zu befördern. Tatsächlich wurde die Idee aufgenommen und 1948 ein Museum eröffnet.

Kasimati wurde gleich angestellt, sie lebte allein in Tirana, eine Lebensform, die damals für Frauen außergewöhnlich war. Auf Fotos aus dieser Zeit ist eine fröhliche, hellwache Frau mit einem klaren Blick zu sehen. Weil sie an Tuberkulose erkrankte, musste Kasimati in eine Lungenklinik nach Bozen, ab 1945 arbeitete sie dann wieder in Tirana. Auf Basis ihrer Doktorarbeit forschte sie weiter, unternahm Erkundungsreisen und arbeitete an einem umfassenden Werk genannt "Die Fische von Albanien", das etwa 200 Seiten umfasste und in dem sie 257 Fischarten in 211 Familiengruppen darstellte. Geplant war eine Auflage von 3.500 Stück.

Filmprojekt
Im Gedenken an die Biologin Sabiha Kasimati entstand ein Film, der die Forscherin zurück ins Bewusstsein der Menschen holen soll.
Driant Zeneli

Falsche Anschuldigungen

Als das Buch in Druck ging, wurde Kasimati festgenommen. Sie galt schon seit längerer Zeit als Feindin der Hoxha-Diktatur. Sie hatte ihre festgenommenen Freunde im Arbeitslager Juba in der Nähe von Durres besucht, die sie warnten. Weil immer mehr Wissenschafter wie etwa Selaudin Toto ermordet wurden, wandte sie sich sogar an den Diktator persönlich.

Das Gespräch ist folgendermaßen überliefert. "Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, dass Sie alle Intellektuellen töten, und ich möchte Sie fragen: Mit wem wollen Sie Albanien aufbauen, mit Blechschmieden und mit Schustern?" Hoxha soll geantwortet haben: "Hören Sie auf damit, über die französische Aufklärung zu lesen, ich rate Ihnen, Marx und Lenin zu lesen." Es war die Zeit, als sich die albanische Diktatur immer mehr von Jugoslawien ab- und der Sowjetunion zuwandte. Manche lehnten sich dagegen auf.

Am 19. Februar 1951 wurde die sowjetische Botschaft in Tirana mit einem Molotowcocktail beworfen. Am nächsten Tag wurden 22 Intellektuelle, darunter Kasimati, fälschlicherweise beschuldigt, mit dem Anschlag in Verbindung zu stehen. Kasimati, damals 38 Jahre jung, war die einzige Frau unter ihnen. Hoxha fügte ihren Namen persönlich zu der Liste der Leute, die ermordet werden sollten. Es gab keinen Prozess, keine Verteidigung, keine Berufung. Am 26. Februar wurde Kasimati mit den anderen 21 Intellektuellen erschossen und in einer Grube verscharrt.

Verwahrt im Geheimdepot

Der Biologe Uran Asllani, der Kasimatis Lebensgeschichte nachgegangen ist, zitiert sie in ihren Gerichtsaussagen so: "Ich war gegen diese Regierung, weil sie nicht mit meiner evolutionistischen Ideologie und Weltanschauung übereinstimmte. Ich war nie der Meinung, dass Sozialismus oder Demokratie mit einem revolutionären Akt erreicht werden könnten. Ich selbst habe weder ein Attentat begangen, noch habe ich an einer Versammlung teilgenommen, bei der über eine terroristische Tat entschieden wurde. Ihr seid Kriminelle und Tyrannen, die die Albaner mit Terror unterjochen wollen, aber eines Tages werdet ihr für diese Gräueltaten büßen."

Asllani zufolge wurde Kasimatis Buch über die Fische nach ihrer Ermordung sofort aus dem Druck genommen und im Geheimdepot des Instituts archiviert. Die Arbeit soll dann 1958 als Werk des russischen Wissenschafters Anatoli Poliakow veröffentlicht worden sein. Kasimatis eigene Version gilt als verschollen, manche meinen, es könnte noch irgendwo in einem Archiv ein Exemplar zu finden sein.

Kasimatis Name wurde jedenfalls nach ihrer Ermordung aus der Mitarbeiterliste des Instituts der Wissenschaften getilgt. 1993 wurden die Überresten der 22 Erschossenen gefunden, umgebettet, und die Intellektuellen wurden rehabilitiert. Im Jahr 2018 wurde das albanische Nationale Museum für Wissenschaft nach Kasimati benannt. Mit Kasimatis Denken und Werk beschäftigt sich nun ein Film, der am 21. Februar erstmals in Tirana gezeigt wird.

Filmprojekt
Das Filmprojekt "Die trüben Wasser" stellt das Wirken der albanischen Biologin Sabiha Kasimati in den Mittelpunkt.
Driant Zeneli

Hommage an Forschungsgeist

"Die trüben Wasser", konzipiert von dem Künstler Driant Zeneli in Zusammenarbeit mit dem Pappmaschee-Meister Deni Bianco, zeigt Fische, die von Studierenden der Kunsthochschule und Schule für Elektrotechnik in Tirana und in Putignano geschaffen wurden, wie sie sich in freundlichen und feindlichen Gewässern bewegen. Mithilfe von Ton, Papiermaschee und Robotik werden die Fische lebendig. Das Licht, das immer wieder zu ihnen durchsticht, soll die Forschung von Kasimati symbolisieren, die das Leben dieser besonderen Wesen erhellt.

Zu sehen ist auch ein Betondamm, an dem die Fische schließlich anschlagen, so wie Kasimati an der Diktatur. Der Film ist allen gewidmet, die "sich entschieden haben, die Politik und soziale Stereotype und sogar den Tod selbst im Namen der Wissenschaft und der Freiheit herauszufordern", heißt es am Ende. Aale sind übrigens in der Lage, außerhalb des Wassers beachtliche Strecken über feuchtes Land zurückzulegen, denn sie können lebensnotwendigen Sauerstoff über die Haut aufnehmen. Und sie können sogar Betonwehren überwinden, doch viele werden heute Opfer von Wasserkraftwerken, wie sie in den vergangenen Jahren vermehrt auf dem Balkan gebaut wurden. (Adelheid Wölfl, 24.2.2024)