Viel hat nicht mehr gefehlt. Nur mehr zwei Jahre, dann hätte Papier Lustig am Hohen Markt sein 200-Jahr-Jubiläum gefeiert. Doch dazu kommt es nun nicht mehr. Mit Ende Februar verabschiedet sich Besitzer Wilhelm Anton mit 67 Jahren in den Ruhestand, und das traditionsreiche Papierfachgeschäft schließt endgültig seine Pforten.

Die Geschichte des ehemaligen k. u. k. Hoflieferanten Josef Lustig und Co reicht bis ins Jahr 1826 zurück, in die Zeit des Biedermeier und der Herrschaft von Fürst Metternich. Vor 40 Jahren wäre es schon einmal fast zu Ende gewesen. "Es war keine einfache Situation", erinnert sich der scheidende Betreiber zurück. Anton hatte das Geschäft damals selbst kurz vor der Schließung übernommen. "Es war sogar schon alles abverkauft und die Übergabe an einen Friseur geplant", erzählt er.

Portrait von Wilhelm Anton vor dem Schild
Mit 67 Jahren geht es für denscheidenden Betreiber Wilhelm Anton in Pension.
Lea Sonderegger

Doch er wollte das Traditionsgeschäft noch nicht abschreiben und führte den Betrieb unter seinem Namen "Büroprofi Anton – Papier Lustig" als zweiten Firmenstandort fort. Bis jetzt. Dem Ende blickt er mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen: "Ich bin auch froh. Denn ich konnte mich und meine Art, wie ich mit Menschen arbeiten wollte, verwirklichen."

Steigende Mieten

Wollte niemand sein Lebenswerk weiterführen? "Meine Tochter hätte die Filiale gerne übernommen, aber die Miete wäre dann nicht mehr leistbar gewesen", erklärt der 67-Jährige. Rund das 2,5-Fache hätte der neue Mietpreis laut Anton dann ausgemacht. Und dieser wäre bereits jetzt durch die Indexierung deutlich höher als in vergleichbaren Lagen. "Nicht einmal der Meinl am Graben zahlt so viel wie wir hier pro Quadratmeter", sagt er.

Wenige Tage vor der Schließung ist DER STANDARD ein letztes Mal vor Ort. Bunte Grußkarten finden sich noch in den Wandhalterungen, auch eine kleine Auswahl an Taschenkalendern, Schreibwaren und Geschenkpapierbögen gibt es im vorderen Teil des Geschäftslokals. Verkäuferin Petra Filz schlichtet gerade die letzten Waren ein. Die Regale hinten sind bereits leer, die Verkaufsfläche nur mehr zur Hälfte begehbar. "Irgendwann ist eben auch einmal Schluss“, sagt die 48-Jährige. Sie war mehr als ein Jahrzehnt bei Papier Lustig am Hohen Markt tätig.

Alte Fotografie des Geschäfts
Nach 198 Jahren heißt es am Hohen Markt 4 Schluss mit "Lustig".
Lea Sonderegger

Vor allem die familiäre Atmosphäre werde sie künftig vermissen. Ihr Arbeitsplatz sei für sie mehr gewesen als nur ein Job. Zuvor hatte sie bereits einige Zeit in einer anderen Filiale in der Seilerstätte gearbeitet, ehe diese geschlossen wurde. Insgesamt sieben Standorte in Wien hat "Büroprofi Anton" einmal mit rund 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betrieben, immer wieder Lehrlinge ausgebildet. "Gefallen hat es hier allen. Aber eine Filiale leiten, das wollte fast keiner", sagt er.

Branche unter Druck

Mit diesem Schicksal steht Anton nicht allein da. Die ganze Branche ist in den letzten Jahren in Bedrängnis gekommen. "Als ich den Standort vor 40 Jahren übernommen habe, gab es im ersten Bezirk noch an jeder Ecke ein Papierwarengeschäft", sagt er, während er durch den breiten Gang in den hinteren Teil des Geschäfts geht. Insgesamt gibt es derzeit nur mehr rund 35 Papierfachhändler in der Bundeshauptstadt, die Zahl ist laut Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) über die letzten Jahre immer weiter gesunken.

Es werde immer schwieriger, Geschäfte in guten – oder ehemals guten – Lagen weiterzuführen, sagt der Obmann des Bundesgremiums Papier- und Spielwarenhandel der WKÖ, Andreas Auer. Vor kurzem meldete der Wiener Familienbetrieb Freudensprung nach 113 Jahren Insolvenz an, der Schreibwarenhändler Weidler zog nach 140 Jahren vom Wiener Graben in die weniger prominente Spiegelgasse um. Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Mieten steigen, die Umsätze sinken. "Die Margen werden immer geringer, gleichzeitig werden die Personal- und Betriebskosten höher. Aber auch der Fachkräftemangel und die fehlende Nachfolge wird immer mehr zum Problem", erklärt Auer.

Zufriedenheit im Mittelpunkt

Im Schaufenster von Papier Lustig locken nun Angebote wie "Totalabverkauf bis zu minus 70 Prozent". Doch statt Schnäppchenjägern kommen vor allem Stammkundinnen, um sich zu verabschieden. "Mit unserer großen Auswahl, aber auch mit unserer Beratung konnten wir immer begeistern", sagt Michael Buxbaum. 13 Jahre arbeitete er bei Papier Lustig, davon rund die Hälfte als stellvertretender Filialleiter. Er habe als Leiharbeiter in der Logistik angefangen und schließlich als Verkäufer seine Berufung gefunden.

Am wichtigsten sei immer die Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden gewesen, das betonen sowohl Anton als auch Buxbaum im Gespräch. "Bei uns wird ein Bleistift freundlicher verkauft als in machen Autohäusern ein Sportwagen", sagt Anton. "Egal ob ein teures Schreibgerät oder ein günstiges für ein bis zwei Euro", das beste Produkt für alle Bedürfnisse und Budgets habe immer an erster Stelle gestanden.

Portrait von Wilhelm Anton und Michael Buxbaum
Für Wilhelm Anton und Michael Buxbaum stand immer die Zufriedenheit der Kundschaft im Zentrum.
Lea Sonderegger

Blick zu den Nachbarn

Doch eben diese Beratung wird immer seltener – und auch weniger gewünscht? "Das Kaufverhalten hat sich stark verändert", sagt Obmann Auer. Schuld sei laut ihm nicht nur der Online-Handel, sondern auch die internationale Konkurrenz. Vor allem branchenfremde Filialisten, wie beispielsweise Tedi oder Action, würden für starken Preisdruck sorgen. "Dort wird aus jedem Sortiment ein bisschen was angeboten – zu niedrigen Preisen, dafür aber auch in geringerer Qualität", sagt er.

Wilhelm Anton beobachtet diese Entwicklungen im Handel seit Jahren kritisch. Dadurch würden die Einkaufsstraßen ihren Charakter verlieren, befürchtet er: "Egal, wo man hingeht, überall gibt es nur mehr die gleichen Geschäfte. In Deutschland ist das schon lange so." Bei unserem Nachbarn Italien würde es hingegen anders laufen: "Dort werden die lokalen Betreiber gefördert, statt immer neue Ketten zu importieren."

Auch Auer ist überzeugt, dass die Städte gefragt sind, ihre lokalen Händler zu halten. Zudem sollten große Einkaufzentren auf dem Land seiner Einschätzung nach seltener bewilligt werden. Beratung, Qualität und Nachhaltigkeit würden dadurch wieder in den Fokus rücken. "Dann geht es wieder mehr in Richtung lokales Einkaufen – das muss aber auch von den Konsumenten angenommen werden", sagt er.

Person mit Regenschirm steht vor dem Schaufenster von Papier Lustig
Statt Schnäppchenjägern kommen in den Tagen vor der Schließung vor allem Stammkundinnen, um sich zu verabschieden.
Lea Sonderegger

Wunsch nach Trendwende

"Ich wollte eigentlich bis zur Pension hier bleiben", sagt Buxbaum. Für den 40-Jährigen beginnt im April ein neuer Abschnitt bei "Büroprofi Kieninger & Lagler" – aber nicht ohne seine Kundschaft. Er habe mit seinem nun ehemaligen Chef vereinbart, dass er seine bisherigen Büro- und Firmenkunden in den neuen Job mitnehmen kann. "Konkurrenzdenken gibt es in der Branche nicht", sagt Anton. Ihm sei wichtig gewesen, seine zwölf Mitarbeitenden auch nach der Schließung gut untergebracht zu wissen.

Der 67-Jährige blickt positiv zurück auf seine Zeit im Handel – und auch auf dessen Zukunft. Das Interesse am Analogen wachse wieder, ebenso werde das die Nachfrage nach guter Beratung. Nicht jede und jeder sei bereit, vor einem Kauf Zeit in Online-Recherchen zu investieren – und das seiner Meinung nach zu Recht. "Es wird wieder in die andere Richtung gehen", ist Anton überzeugt. Falls es dazu kommt, dürfte es für viele Fachgeschäfte wohl zu spät sein. Nicht nur für Papier Lustig. (Anika Dang, 29.2.2024)