Stoyanov volkstheater heit bin e ned munta wuan
Frau Q. (Samouil Stoyanov) ist am 31. Dezember allein zuhause, sie träumt vom Mann gegenüber.
Marcel Urlaub / Volkstheater

Noch berühmter als die Wiener Linien, die Wiener Netze oder der Wiener Eistraum ist die Wiener Gruppe. Zu dieser losen Dichtervereinigung der Nachkriegszeit gehörten ab 1954 Autoren wie Konrad Bayer, Gerhard Rühm oder H.C. Artmann. Des Letzteren Gedicht heit bin e ned munta wuan ist nun Titel der neuen, bei der Premiere am Freitag herzlich beklatschten Inszenierung im Volkstheater.

Die Wiener Gruppe war angetreten, nach dem nationalsozialistischen Stillstand zu einer neuen Sprache zu finden. Sprachskepsis und -kritik waren Antriebskräfte für eine neue, radikale Dichtkunst, die immer erst beim Performtwerden so richtig wirkt – etwa die Lautpoesie Ernst Jandls.

"i schmia da oanö"

Mit dessen humanistää! feierte das Volkstheater 2022 seinen bisher größten Erfolg. Auch dieses Mal könnte der Zuspruch groß werden, triggert Dialektlyrik, auf die hier der Fokus gerichtet ist, doch eine gewisse Rührseligkeit gegenüber dem umgebenden städtischen Sprachbiotop. Mit Verständnisproblemen dürfte der Abend kaum zu tun bekommen, denn hier transportiert die Lautpoesie die Inhalte. Etwa dann, wenn Frau Q. (Samouil Stoyanov) ihre Schimpftiraden aus dem Fenster hinunter in den Gemeindebauhof schickt: "i schmia da oanö/ i wassad dö/ i zindd da oanö" (Friedrich Achleitner).

Um diese Frauenfigur herum hat Wolfgang Menardi die vielfältigen Texte zu einer Lebensmomentaufnahme aufgefädelt, die nicht ganz ohne Klischees abgeht. Frau Q. – ihr abgekürzter Name spielt auf den Wiener Schauspieler Helmut Qualtinger an, der selbst lange im Gemeindebau lebte – bewohnt ein morbides Apartment im 1970er-Jahre-Stil. "I sitz in da kuchl/ und hear ia zua/ da oedn scheibichn kuchlua" (Gerhard Rühm).

Stromschlag bei jedem Läuten

Dass Frau Q. auch noch Tierpräparatorin ist, deren unzählige ausgestopfte Vögel die dunkelgrünen Wände gruselig bevölkern, ist ein entschieden unsubtiler Umgang mit der Todesverliebtheit im Wienertum. Ähnlich verhält es sich mit der exorbitanten Sissy-Huldigung der Mieterin. Publikumsliebling Stoyanov aber hütet in diesem dicht bevölkerten Habitat (Bühne: Menardi) mit akkuraten Bewegungen und Ernst davor ab, zu einer lachhaften Mrs. Doubtfire (Kostüm: Jelena Miletić) zu werden. Vor allem bringt ein als erweiterte Stimmen von Frau Q. inszeniertes Musiktrio (Ingrid Eder, Flora Geißelbrecht, Sixtus Preiss) die nötige tonale Irritation in den Abend. Viele Texte werden gesungen.

Auch die Regie weiß sich zu helfen: Jedes Klingeln der Wohnungstür versetzt Frau Q. einen Stromschlag; am Anrufbeantworter meldet sich stets: die Wiener Gruppe! Dreht Madame das Radio auf, ertönt ebenfalls H.C. Artmann oder das Ave Maria. Einmal muss die Dame auf die Toilette („geh weida/ geh weida/ geh weida“). Gewisse Gemütsregungen sind indes nicht jugendfrei "oaschmama/ oaschpapa/ futschasoasch" (Konrad Bayer/Rühm).

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Die lyrischen Texte werden in dieser handfesten Inszenierung zu Puzzlestücken einer Erzählung, die ihre Widersprüche oder Lücken aber nicht verhehlt. Dafür hat Regisseur Menardi eine Rahmenhandlung gewählt, die es ermöglicht, nach vielen Auf/Zu-Vorhängen immer wieder neu auf die Momente im Leben von Frau Q. zu schauen.

In dieser Rahmenhandlung agiert Claudia Sabitzer als ehrwürdiger Pompfüneberer vor dem Vorhang und erklärt der Welt mit Kerzen, Kränzen und Sarg anschaulich, wie die Verabschiedung der Toten am Wiener Zentralfriedhof vonstatten geht. Sie folgt dabei ganz dem Text aus dem Dokumentarfilm Die Pompfüneberer (1994) von Arpad Bondy und Margit Knapp.

Höhepunkt des hundertminütigen Abends ist der Tanz von Frau Q. mit dem "eroberten" Nachbarn (Matteo Haitzmann) aus dem Gemeindebau, als Kaiserpaar Sissy und Franz. Dessen schlaffe Glieder müssen aus hier nicht zu erörternden Gründen wie die einer Puppe geführt werden. Ein Anblick, den man nicht so schnell vergisst. (Margarete Affenzeller, 17.2.2024)