Comal Wien Mexikaner Restaurantkritik Corti Der Standard
Im Comal im Vierten geht es an einem bleiernen Februardienstag ziemlich hoch her. Na gut, ist auch eine echt mexikanische Adresse.
Gerhard Wasserbauer

Das frühere Grace in der Danhau­sergasse ist ein überraschender Ort für eine aus allen Nähten platzende Taqueria mit wuselnden Kellnern, schaumgekrönten Humpen, grellbunten Cocktails und fetten, vor Würze und Fülle förmlich überschwappenden Tacos und Quesadillas. In dem Lokal, das in einen dezidiert rustikalen Teil mit schwerer Holzdecke und in einen vergleichsweise neu gestalteten, sehr hell erleuchteten, aber fensterlosen Raum zerfällt, entwickelte der Brite und Ex-Steirereck-Küchenchef Oliver Lucas mit seiner Frau Petra einst seine sehr individuelle, manchmal fast streng anmutende Idee vom Fine Dining. Fürs Protokoll: Die beiden renovieren gerade eine alte Dorfschule in der Südsteiermark, die noch heuer als Frühstückspension mit großem Menü (dem Vernehmen nach aber nur für Hausgäste) eröffnet werden soll.

Im Grace war es stets eher still und, bei aller Freude übers Essen, auch eher ernst. Seit daraus das Comal der mexikanischen Köchin und Gastronomin María Báez wurde, geht es anders zu. Fastenzeit? Februarfadesse? Nicht in der Danhausergasse. Zwar weist kein Geschäftsschild, schon gar keine Leuchtreklame auf das Lokal in dieser stillen Ecke des vierten Bezirks hin, dennoch wird man hier abends kaum achtlos dran vorbeigehen – dafür ist die Hütte einfach zu voll und das Kommen und Gehen unablässig. "It’s a bit crazy", sagt María José Báez, die Servicechefin (im Bild oben) und Tochter von Köchin und Betreiberin María Báez, "aber wir sind vom ersten Tag an so gut wie immer ausgebucht."

Liegt wohl auch daran, dass es das Comal zuvor bereits in einem vergleichsweise winzigen Lokal im Achten gegeben hat und die Familie (auch Vater Victor arbeitet im Service) sich schon dort eine Fan-Community anerzogen hat. Wundert nicht, sobald etwa der "Plato fuerte" mit Tacos vor einem steht, die mit Cochinita Pibil gefüllt sind und samt einem Tiegel knackiger, saurer, mit Halmrüben und Habañero-Chilis marinierter Zwiebeln zum Drüberstreuen serviert werden. Die braucht man auch, um durch die schmalzige Reichhaltigkeit dieses faszinierend würzigen, in seine Fasern zerfallenen Gerichts zu schneiden. Tacos sind klassisches Fingerfood, man darf aber nicht hoffen, dass sich diese hier ohne gewaltige Patzerei und g’scheit fettige Finger essen ließen. Es rinnt und schießt der Saft, das Schmalz, dass es eine Lust ist.

Cochinita Pibil, in Mexiko ist das ein ganzes Ferkel, das mit viel Limette und Anatto-Samen („Achiote“) in Bananenblätter geschlagen in einem glühend heißen Erdloch vergraben und über Stunden gegart wird. Große, archaische Küche, die man nicht vergisst. Das Comal hat zwar einen lauschigen Hofgarten unter alten Bäumen, ein Erdloch-Ofen geht sich aber leider nicht aus. Báez schlägt das Tier dennoch in Kochbananenblätter und gart es bis jenseits des Zerfallstadiums im Backrohr. Will man haben!

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Quesabirrias, mit Käse und einer Art Pulled Beef gefüllte Tortillas mit einer Schüssel Schmorsaft zum Tunken.
Gerhard Wasserbauer

Tunk den Käse

Neben diesem Stargericht gibt es anderes Gutes. Quesabirrias zum Beispiel (siehe Bild), mit Käse und einer Art Pulled Beef gefüllte Tortillas wie in Tijuana, die mit einer Schüssel gefährlich roten Schmorsafts zum Tunken, in dem noch zusätzlich Fleisch dümpelt, zu Tisch kommen: kaum weniger heftige, auch tief zufrieden machende Kombination, wieder mit marinierten rohen Zwiebeln zum Abfangen der Fett’n dazu. Vegetarische Tacos, ob mit Hibiskusblüten in einer Salsa aus geräucherten Chilis und Erdnüssen, mit Pilzen und Oregano oder mit einer hausgemachten Tofu-Chorizo und Erdäpfeln, können es aber auch, die Tinga Tacos mit Hendl in Chipotle-Sauce detto. All das verlangt natürlich nach entsprechend hochprozentiger Begleitung. Die Margaritas und anderen Cocktails von Keeperin Alessia sind zu Recht beliebt, Kenner aber werden sich die raren Meskalsorten (Panchita La Peligrosa, Zignum etc.) aus kleinen handwerklichen Brennereien nicht entgehen lassen wollen. (RONDO, Severin Corti, 23.2.2024)